Anja Schonlau über "Syphilis in der Literatur"

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahre 1495 erstmals als neues, verheerendes Krankheitsbild wahrgenommen, erscheint Syphilis literarisch zunächst in Lehrgedichten und Allegorien über ihren Ursprung, nach Rückgang der Seuchengefahr als Nebenmotiv. Erst im Jahre 1881 avanciert die Geschlechtskrankheit in Henrik Ibsens Drama "Gengangere" zur Basis einer poetischen Struktur, während gleichzeitig die Gefährdung durch Folgekrankheiten so gering wie nie zuvor erscheint. Von diesen Beobachtungen ausgehend, untersucht die Arbeit anhand der Innovationsschübe in der Syphilisforschung zwischen 1880 und 2000, welche Bedeutung (Natur-) Wissenschaftsgeschichte für die Literatur in diesem Zeitraum hat. Die physiologischen Eigenschaften der Syphilis und deren kulturelle Deutungen machen die Krankheit zum Schmelztiegel verschiedener Diskurse über Ästhetik, Moral und Genie. Für die Literaten spielt künstlerisches Interesse an der Wirklichkeit und Faszination am Ekelhaften ebenso eine Rolle wie geschlechts-, rassen- und klassenspezifische Konstrukte und der Mythos des genialen Syphilitikers.

Die Arbeit untersucht nach einem historischen Abriss zunächst diachron Künstlerbiografien zu Nikolas Lenau und Friedrich Nietzsche und zieht dann im zweiten Schritt lyrische, epische, dramatische Texte heran, die von Joris-Carl Huysmans "A rebours" über Oskar Panizzas "Das Liebeskonzil" (1894), Alexandr Kuprins "Jama" (1915), Ernest Hemingways "One writer writes" (1933) und Thomas Manns "Doktor Faustus" (1947) reichen. Abschließend erörtert die Arbeit literarische Beziehungen zwischen der ehemals so gefährlichen Geschlechtskrankheit und der Immunschwäche Aids, die das kulturelle Erbe der Syphilis weitgehend angetreten hat.

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Anja Schonlau: Syphilis in der Literatur. Über Ästhetik, Moral, Genie und Medizin (1880-2000).
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2004.
571 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-10: 3826027817

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