Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!
Eine erste deutschsprachige Monografie über Wim Wenders und Peter Handke im Vergleich
Von Stefan Höltgen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Werke des österreichisch-slowenischen Schriftstellers - und zeitweiligen Regisseurs - Peter Handke und des deutschen Autorenfilmers Wim Wenders besitzen zahlreiche Gemeinsamkeiten. Diese begründen sich vor allem in ihrer Zusammenarbeit: Bei drei Filmprojekten Wenders' dienten Erzählungen und Drehbücher Handkes als Vorlage: beim Kurzfilm "Drei Amerikanische LP's" (1969), dem Film "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1972) und nicht zuletzt bei dem mehrfach ausgezeichneten "Der Himmel über Berlin" (1987). Die Filme weisen die typische "Handschrift" beider Autoren auf - inwiefern diese Handschrift auch im übrigen, nicht-kooperativen Werk der beiden vergleichbar ist, untersucht Carlo Avventi in seiner jüngst im Remscheider Gardez! Verlag erschienenen Dissertation "Mit den Augen des richtigen Wortes".
Die Untersuchung ist grob in zwei Teile gegliedert. Im ersten fundiert Avventi seine Analysen auf einer methodischen Basis: Er verfolgt zunächst die film- und literaturwissenschaftlichen Bemühungen, beide Medien miteinander vergleichbar zu machen. Nachdem er das grundsätzliche Problem solch einer Vergleichbarkeit darstellt, etabliert der Autor die Methode seines eigenen Vorgehens: Als Erzählmedien mit gemeinsamen narrativen Eigenschaften sollen beide fokussiert werden. Die Schnittstelle beider Medien basiert auf den Avventi zufolge bei Wenders und Handke zentralen "Wahrnehmungs"- und "Kommunikations"-Phänomenen. Der darauf folgende Teil des Theorie-Komplexes widmet sich der Eingrenzung dieser beiden Begriffe aus psychologischer und (vorrangig) systemtheoretischer Richtung. Der zweite Großteil der Arbeit untersucht Wahrnehmungs- und Kommunikationsphänomene im Werk Wim Wenders' und Peter Handkes. Hier werden zunächst die bei beiden Autoren auffällig häufigen "Störungen" beider Phänomene untersucht, dann die sich vor allem in den Reise-Motiven wieder findenden "Horizontverschiebungen" (Kap. 5) und schließlich die "mythischen" Kommunikations- und Wahrnehmungsdarstellungen beider Autoren einander gegenübergestellt.
Der Erkenntnisgewinn der Arbeit ergibt sich neben den bislang bei Wenders so nicht untersuchten Wahrnehmungs- und Kommunikationsproblemen vor allem aus den Kapiteln über die mythischen Kommunikations- und Wahrnehmungsstrategien der Protagonisten beider Autoren. Letztere stellen - vor allem bei Handke - "eine Verbindung von Wahrnehmung und Gefühlsregung" dar, in der das wahrnehmende Subjekt mit dem Objekt der Wahrnehmung verschmilzt und die gestörte Wahrnehmung der (Um-)Welt in einem Prozess der Symbiose zwischen Ich und Welt versöhnt. Hierin erklärt sich vor allem der bei Handke auffällige Akzent der Landschaftsbeschreibungen, die mehr noch als Worte und Taten die Romanfiguren charakterisieren. Das Konzept der "mythischen Wahrnehmung" erhellt im Gegenzug vor allem die Bildwelten Wim Wenders'. Es rekurriert auf eine "Urverbundenheit von Sprache und Welt", aus der eine neue Bildsprache zu schöpfen sei. Wenders problematisiert diese Bild-Suche mehrfach (am deutlichsten wohl in "Tokyo-Ga" (1985) - und dort in den Ausführungen seines Kollegen Werner Herzogs). Wenders' Filme betonen so zwar einen "Realitätsverlust" (213); dennoch "vermag die Sprache der Kunst für Handke und Wenders die Wirklichkeit einzuholen und als zweite gleichberechtigte Realität neben dieser zu stehen."
So stimmig diese Erkenntnisse Avventis' an sich sein mögen, gründen sie doch auf einer recht problematischen methodischen wie empirischen Basis: Der Autor nimmt gleich zu Beginn seiner Dissertation zwei gravierende Abgrenzungen vor: Zum einen klammert er das filmische Werk Peter Handkes, unter dessen Eigenregie immerhin drei Filme entstanden ("Chronik der laufenden Ereignisse" von 1971, "Die linkshändige Frau" von 1977 und "Die Abwesenheit" von 1993), vollständig und ohne plausible Begründung aus. Damit beraubt er sich der Möglichkeit, eine eventuell bei Handke vorzufindende "écriture filmique" als Basis seines "adaptionsfreudigen" Werkes darzustellen (welche zweifellos vorhanden ist). Das zweite Problem stellt die methodische Abgrenzung der Untersuchung dar, die "keiner bestimmten, institutionalisierten wissenschaftlichen Methode verpflichtet" ist. Avventi unternimmt im Wesentlichen eine auf der Charakterisierung der literarischen und filmischen Figuren basierende Gegenüberstellung anhand deren Aussagen. Die empirische Basis sowohl seiner Literatur- als auch seiner Filmuntersuchung bilden Textzitate und Dialog-Transkriptionen. Dies führt dazu, dass die Filme Wenders' von Avventi zumeist wie Literatur behandelt werden, was sie als eigenständige Filmkunstwerke nicht nur illegitim reduziert, sondern einige Komplikationen mit sich bringt.
Zunächst ist diese Reduktion der Filme natürlich in der Hinsicht unbefriedigend, dass das spezifisch Filmische, nämlich die Mise-en-Scène, die Montage, die Kadrage, Kamerabewegungen und -einstellungen etc. größtenteils unberücksichtigt bleibt - auf jeden Fall aber methodisch nicht korrekt erfasst wird. Film erzählt ganz anders als Literatur und wesentlich mehr als seinen Plot und seine Dialoge - nämlich in Bildern. Auch und besonders für die von Avventi aspektierten Phänomene von "Wahrnehmung" und "Kommunikation" gilt dies. Den Filmen lässt der Autor solche Untersuchungen nur selten angedeihen: Die eigentümliche Stummheit des Protagonisten Bloch in "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" findet etliche emblematische Verdopplungen im Film - die Metaphorik dieser Sprachbehinderung weist Avventi zwar noch aus, vernachlässigt die bei Wenders vor allem in der "eloquenten Montage" der Adaption vorgenommene "bildliche Stummheit" jedoch ganz. (Interessanterweise interpretiert Avventi zuweilen Schreibweisen bei Handke als "filmisch", dann auch unter Verwendung filmanalytischer Begriffe - wie etwa im Roman "Die Hornissen".) Im Gegenzug erklärt die Untersuchung medienspezifische Eigenheiten von Literatur und Film zum Differenzierungskriterium: "Noch stärker als bei Handke stehen bei Wenders laute Geräusche, v. a. Verkehrslärm, im Vordergrund." Diese Beobachtung, wäre sie denn das Ergebnis einer quantifizierenden Gegenüberstellung, hätte ja noch einen gewissen Erkenntniswert; angesichts der Tatsache, dass (Ton-)Film nun einmal eine stärkere akustische Präsenz besitzt als Literatur, wirken sie jedoch trivial.
Dass sich einige der Werke von Handke und Wenders ganz besonders gut miteinander vergleichen lassen, weil sie Adaptionen voneinander darstellen, ,verdrängt' die Untersuchung bisweilen. "Die Figur Peter Handkes und Wim Wenders', die wohl am stärksten unter Wahrnehmungs- und Kommunikationsstörungen leidet, ist Josef Bloch". Neben der ganz richtigen Beobachtung wird hier jedoch auch wieder mit der Ähnlichkeit beider Oeuvres argumentiert, die hier jedoch eine selbstverständliche ist - basiert doch Wenders' Film eben auf dem (gleichnamigen) Roman Peter Handkes. Diese Einsicht forciert einen sich durch die unspezifische Methodik der Untersuchung immer weiter ins Bewusstsein drängenden Verdacht, dass die "Ähnlichkeiten", wie sie die Dissertation herausstellt, eigentlich willkürlich, so zumindest jedoch nur schwer zu argumentieren sind. Gerade hier hätten sich Gegenüberstellungen von Wenders' und Handkes Filmen (oder beider Literaturen) eher angeboten!
"Mit den Augen des richtigen Wortes" ist als eine der ganz wenigen gegenüberstellenden Untersuchungen von Handkes und Wenders' Schaffen ein notwendiger Anfang. Die offensichtliche Vergleichbarkeit beider Oeuvres stellt den Anreiz von inter-/transmedialen Gegenüberstellungen dar. In der vorliegenden Publikation wurde jedoch eindeutig "zu wenig" geleistet. Die durchaus interessante Perspektive, Wahrnehmungs- und Kommunikationsphänomene gegenüberzustellen, prallt leider auf eine inadäquate Vorgehensweise. So bleibt die Menge an Befunden, die Avventi in seinem Text präsentiert, oft behauptet und, mehr noch als es Interpretationen sein sollten, der Subjektivität des Interpreten geschuldet.