Behauptung des Selbst

Eine Sammlung digitaler Autobiografien

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Digitale Bibliothek im Berliner Verlag Directmedia ist bekannt und muss nicht weiter vorgestellt werden - spätestens seit der im Herbst letzten Jahres stattfindenden Verteilung einer (nahezu) kostenlosen CD-ROM mit der "freien" Enzyklopädie Wikipedia (http://www.wikipedia.de).

Eine aktuelle Neuerscheinung stellt eine umfangreiche Textsammlung der literarischen Form "Autobiographie" dem Leser bzw. Rechercheur zur Verfügung. Die Sammlung umfasst Texte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert und verzeichnet auf dem Umschlag die Berufsfelder der Personen, deren persönliche Aufzeichnungen präsentiert sind: Arbeiter, Gelehrte, Ingenieure, Künstler, Politiker und Schriftsteller. Weshalb Musiker und Architekten, Sportler und Heilkundler fehlen, bleibt dem Leser verborgen. Dafür stellt man fest, wenn man sich das Personal der "Deutschen Autobiographien" näher ansieht, dass die Eingrenzung dann doch nicht so genau genommen wird - was der Textsammlung und damit dem Benutzer zugute kommt. Auch verweist die Veröffentlichung letztendlich auf das Dilemma aller elektronischen Publikationen, die große Textkorpora benutzbar machen wollen: Es wird der Wunsch nach Vollständigkeit geweckt. Und: Es fehlen immer gerade die in der Zusammenstellung nicht vorhandenen elektronischen Texte! Aber diesem Problem hilft die Digitale Bibliothek systematisch ab: Mit der bei den letzten Neuerscheinungen neu vorgestellten Software ist es nun möglich, die einzelnen Bände der Digitalen Bibliothek nicht mehr nur nacheinander im CD-ROM-Laufwerk des Computers zu nutzen. Die neue Funktionalität macht die Bände der Digitalen Bibliothek auf den eigenen Computer kopierbar, sodass alle elektronischen Texte der Digitalen Bibliothek nebeneinander genutzt werden können, ohne jeweils die einzelnen CDs wechseln zu müssen. Damit wird eine neue Qualität in der Nutzung der digitalen Texte möglich, die man bisher als häufiger Anwender schmerzlich vermisst hat.

Hat man nun die neuen Funktionen der Software der Digitalen Bibliothek aktiviert - nachdem man sich über das Internet auf der Webseite des Verlages hat registrieren lassen, um die Programmoption "Verwaltung" freizuschalten - kann man die Sammlung der "Deutschen Autobiographien" über die Bibliotheksverwaltung auf den jeweiligen PC kopieren, um dann, ohne Wechseln oder Einlegen der CD ins CD-ROM-Laufwerk, die Textsammlung zu öffnen. Im Inhaltsverzeichnis findet man die Geistes-, Wissenschafts- und Gesellschaftsgeschichte in nahezu allen ihren Varianten vertreten: Ernst Moritz Arndt steht neben Carl Friedrich Benz, Wilhelm von Bode neben Marie von Ebner-Eschenbach, Carl Hagenbeck neben Heinrich Heine, Johanna Schopenhauer und Amalie Schoppe neben Rudolf Steiner. "Die vorliegende Anthologie deutscher Autobiographien versucht ihrem Leser eine Auswahl von Texten zugänglich zu machen, in der sowohl der Kanon mustergültiger Lebensläufe enthalten ist wie die Abweichungen davon. Wie erläutert, trägt jede Sammlung autobiographischer Texte, jeder historische Rückblick unweigerlich auch zur Typisierung und Vereinheitlichung bei. So lässt sich auch im hier versuchten historischen Längsschnitt nicht vermeiden, dass zahlreiche, für die Geschichte der Autobiographie relevante Texte nicht berücksichtigt werden. Der Zeitraum der gesammelten Texte erstreckt sich vom Ende des 17. Jahrhunderts bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, wobei aus Gründen des Urheberrechts nur Autoren berücksichtigt werden konnten, die vor mehr als 70 Jahren verstorben sind. Während das Ende des hier umrissenen Zeitraums somit erzwungen ist, oblag der Einstieg einer freien Entscheidung. Um die Auswahl an Autoren im überschaubaren Rahmen zu halten, wurden die zahlreichen Autobiographien des Mittelalters ausgeschlossen, gleichwohl sie seit einigen Jahren im Fokus der Forschung stehen. Die älteste hier digitalisierte Autobiographie ist der bereits erwähnte 1690/91 niedergeschriebene Lebenslauf des Pietisten August Hermann Francke (1663-1727)."

Wie in den Vorbemerkungen zur elektronischen Edition beschrieben: Viele relevante Texte für die Geschichte der Autobiografie fehlen, wurden aus editorischen Gründen ausgespart. Textüberschneidungen sind zwar in einigen wenigen Fällen zu anderen digitalen Texten vorhanden, bleiben aber marginal (Goethe o. ä.). Aber: Die Auswahl stellt auch eine ganze Reihe schwer zugänglicher Texte elektronisch und vollständig zur Verfügung und erlaubt damit der Forschung Themenfelder wie "Identität" zu bearbeiten (Man suche nur einmal nach dem Begriff "Identität"! Gehörte er 1870 schon zum Sprachgebrauch? Oder um das Jahr 1800?) und auf eine breitere Textbasis zu stellen. Der Zugriff auf einen relativ komplexen und vielschichtigen Textkorpus - in gesellschaftsgeschichtlicher, soziologischer, pädagogischer und psychologischer Hinsicht - ist nun problemlos und bandübergreifend möglich.

Zusammenfassend kann man konstatieren: Eine umfassende Textsammlung mit einer interessanten und vielfältigen Textauswahl, die auf weitere autobiografische Texte neugierig macht, viele Entdeckungen zulässt und darüber hinaus mit der neuen Software die vorhandenen Textsammlungen der Digitalen Bibliothek hervorragend zu einer immer umfassenderen "Digitalen Bibliothek" zusammenwachsen lässt.

Titelbild

Oliver Simons (Hg.): Deutsche Autobiographien 1690-1930. Digitale Bibliothek Band 102. CD-ROM für Windows ab 95/98/ME/NT/2000/XP; MacOS 10.2.
Directmedia Publishing, Berlin 2004.
75,00 EUR.
ISBN-10: 3898535029

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