Fragen nach den Fragen, auf die der Antisemitismus die Antwort ist

Ein neuer Sammelband zu Antisemitismus, Paganismus und Völkischer Religion

Von Per RöckenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Per Röcken

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Antisemitismus ist als integrativer Bestandteil kultur- und zivilisationskritischer Ideologien beschreibbar als eine Art Mythos, eine funktional an die Deutung und Erklärung der je eigenen Gegenwart gebundene Erzählung. In diesem Sinne jedenfalls versuchen die insgesamt dreizehn Beiträge des vorliegenden Bandes, von denen sieben in englischer, sechs in deutscher Sprache (mit englischer Zusammenfassung) abgefasst sind, Antisemitismus in seinen vielgestaltigen historischen Spielarten in religions-, sozial- und kulturhistorischer Perspektive als "an imaginaire, a social myth, as a system of stereotypes, as a cognitive system as well as a belief system" zu fokussieren. Der Komplexität der verhandelten Sachverhalte entspricht die interdisziplinäre Ausrichtung der meisten Beiträge. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt der zeitlich und räumlich primär auf das Deutschland des späten 19. und 20. Jahrhunderts bezogenen Darstellungen auf den vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen dem Phänomen des Antisemitismus und dem kaum systematisch zu durchdringenden - wenngleich mitunter institutionell organisierten - synkretistischen Amalgam aus vermeintlich arteigener germanischer Religion, Deutschchristentum, Neuheidentum usw. Zuweilen werden in groben Zügen Ergebnisse umfangreicherer Forschungsprojekte vorgestellt; offenbar, um im neuen - nämlich englischsprachigen - Gewande jenen Kreis der scientific community anzusprechen, der über die im deutschen Sprachraum erarbeiteten Wissensbestände und Interpretamente noch nicht hinlänglich informiert ist.

Der erste, von Hubert Mohr verfasste Aufsatz des Sammelbandes mit dem ambitionierten Titel "Remarks on 'The Jew' as a social Myth and some theoretical Reflections on Anti-Semitism" versucht - und gibt damit zugleich einen Rahmen für die übrigen Beiträge ab - ausgehend von dreizehn Thesen eine Annäherung an die kultur- wie sozialgeschichtliche Komplexität des Antisemitismus, wobei im Vordergrund der Erörterungen wiederum das "social Myth"-Deutungsmuster steht. Im überaus gelehrsam wirkenden Rekurs auf - freilich aus verschiedenen theoretischen Kontexten herausgelöste - Begrifflichkeiten Pierre Bourdieus, Norbert Elias', der École des Annales, Aby Warburgs, Jürgen Habermas', Ernst Blochs, Thomas S. Kuhns sowie des natürlich unvermeidlichen Michel Foucault entfaltet der Autor ein leider wenig systematisches Sammelsurium theoretischer Reflexionen auf verschiedene Aspekte und Ebenen des Antisemitismus. Zunächst wird mit Exkursen zur sozial-psychologischen Dynamik des Phänomens eine semiotisch-kommunikationstheoretische Fundierung der Analyse des Antisemitismus vorgeschlagen: Dieser lasse sich als partiell auf eine soziale Realität bzw. einen historischen Kontext rekurrierendes und damit auf entsprechende Intentionen und Handlungsweisen der historischen Akteure zurückführbares kollektives mentales Konstrukt profilieren, das seinen Ausdruck, seine Manifestation und damit seine diskursive Wirksamkeit in Gestalt von Symbolisationen (Texten, Bildern, Artefakten, Handlungen) finde. In diesem Sinne besitze Antisemitismus eine spezifische "communicative structure", mithin eine Semantik, eine Syntax sowie einen pragmatischen "Sitz im Leben". Dabei besitze gerade das Arsenal an gängigen Stereotypen und Schlagworten in seiner Formelhaftigkeit einen diachronen Index, dessen Nachvollzug es gestatte, die Dynamik bestimmter Symbolisationen in Relation zum jeweiligen historischen Kontext zu analysieren. Überdies sei erforderlich, die auf verschiedenen semiotischen Ebenen angesiedelten "Erzählungen" des Antisemitismus sowie vor allem deren ikonografisches Inventar und dessen Provenienz "within a framework of determinative macro belief systems" zu erörtern, im Konnex also mit übergeordneten Welterklärungsmodellen wie denen der Religion, der Nation oder der Wissenschaft. Eine Kritik dieser Annahmen ist hier schon deshalb nicht geboten, weil Mohr sie explizit als Thesen formuliert, ein Versuch, diese zu plausibilisieren, indes nicht in gleicher Weise erkennbar ist. Der Autor begnügt sich in der Regel damit, Spezifikation und nähere Erläuterung seiner Hauptthesen in Gestalt subordinierter Teilthesen vorzunehmen, wohingegen Argumentation bestenfalls implizit stattfindet.

Weiter im Text: "Concerning the historical framework" entwickelt Mohr im Rekurs auf Rürup/Nipperdey die These, Antisemitismus sei als eine "postemanzipatorische" Hervorbringung der Modernisierungskrise seit Mitte des 19. Jahrhunderts anzusehen, beschreib- und erklärbar also im Kontext der Industrialisierung, der Entwicklung großstädtischer Subkultur, des Bedeutungsverlusts des Bildungs- im Vergleich zum Wirtschaftsbürgertum, der Deregulation von Gesellschaft und Wirtschaft, der mit der Delegitimation vor allem metaphysischer Autoritäten verbundenen Rationalisierung und Verwissenschaftlichung usw. Zum Verständnis dieses Paradigmenwechsels sei freilich erforderlich, eine mit Beginn des 16. Jahrhunderts einsetzende Phase des "proto-anti-Semitism" zu postulieren, die es zum einen gestatte, die Provenienz vieler antijüdischer Stereotype aus der christlichen Tradition nachzuvollziehen, zum anderen ermögliche, die neue Qualität des im deutschen Kaiserreich entstehenden antisemitischen Diskurses richtig einzuschätzen. Besonders - und daran kann tatsächlich kein Zweifel bestehen - sei hierbei der Anteil der Human- und Geisteswissenschaften an der Etablierung, Organisation und Elaboration des neuen Paradigmas zu fokussieren. Wie bei anderen ähnlichen Neologismen erfüllt das Präfix "Proto-" hier eine zwiespältige Funktion, da das Kompositum sowohl das Noch-nicht-Existieren wie ein spezifisches Doch-schon-Vorhandensein besagten Phänomens suggeriert. Ob mit derlei terminologischen Kunstgriffen ein Erkenntnisgewinn verbunden ist, bleibt doch sehr stark zu bezweifeln; überdies stellt sich die Frage, ob die hier vorgeschlagene begriffliche Präzisierung bzw. Einschränkung konsensfähig ist und ob nicht vielmehr die positive Vagheit des Antisemitismusbegriffs zuallererst die produktive Zusammenschau des Ungleichzeitigen und Verschiedenen gestattet.

Mohrs weitere Ausführungen beziehen sich auf die Funktionen - u. a. "a strategy of forced collective identity formation" - und Strukturen des Antisemitismus bzw. des "sozialen Mythos vom Juden", zum Beispiel also auf dessen "interior syntax" und "external structure". Schließlich wird auf den - oftmals hybride Konstellationen hervorbringenden - Konnex zwischen Antisemitismus und anderen (christlichen, paganen, ethnoreligiösen, philhellenischen usw.) Glaubenssystemen und deren antijüdischen Traditionen sowie darauf aufmerksam gemacht, dass - der europäischen Aufklärung zum Trotz - gerade im Rahmen der "Moderne" eine Beschleunigung der "phantasmatic accumulation of the mythic structure" stattgefunden habe. Es versteht sich von selbst, dass Mohrs Aufsatz dem Phänomen des Antisemitismus in seiner tatsächlich beträchtlichen Vielschichtigkeit nicht gerecht zu werden vermag: Vieles wird lediglich angedeutet oder vereinfacht; in seiner Zusammenschau verschiedener Beschreibungsebenen und seiner Spiegelstrichoptik macht der Aufsatz zuweilen einen geradezu eklektischen Eindruck. Dennoch: Ungeachtet der mangelnden Systematik gibt der Autor einen kleinen Einblick in Möglichkeiten und Grenzen einer an gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Deutungsmustern orientierten Analyse des Antisemitismus.

Zu verschiedenen Zeiten erfüllten antijüdische Ressentiments und Stereotype verschiedene Funktionen: Hubert Cancik und Hildegard Cancik-Lindemaier veranschaulichen dies in einem überaus lehrreichen Beitrag zum "ethnologischen" Exkurs "de origine et moribus Judaeorum" in Tacitus' Historiae, der anders als die seit der Renaissance in Deutschland breit rezipierte Germania von der Forschung bislang kaum beachtet wurde. Dass und wie die bei Tacitus greifbare nicht-christliche Tradition antisemitischer Argumentation in der Moderne aufgegriffen werden konnte, wird an deren Rezeption und Instrumentalisierung durch Friedrich Nietzsche verdeutlicht, der einen durch humanistisches Bildungsgut fundierten, intellektuell-aristokratischen Antisemitismus pflegte und Tacitus als Gewährsmann dafür nahm, dass Juden - wie freilich auch Christen - bereits in der Antike als Feinde von Kultur und Staat betrachtet werden konnten.

Am konkreten Fallbeispiel der kleinen württembergischen Gemeinde Buchau stellt Andrea Hoffmann mit erfreulich klarer Aufmerksamkeit auch für die "eigenen Forschungsstereotype" das Bild des allzu fortschrittlichen, großstädtischen und mithin "zersetzenden" "jüdischen Modernisierers" als Stereotyp antisemitischer Agitation vor. Der kurze Beitrag lässt sich als geglückte Werbebroschüre für die Ergebnisse eines größeren Forschungsprojekts zum Thema "Jüdische Modernität und Antisemitismus" lesen, an dem auch die Autorin beteiligt war. Tatsächlich zeigen neuere Forschungen, dass Juden in punkto kultureller und sozioökonomischer Modernisierung oftmals eine Vorreiterrolle einnahmen, wobei "Akkulturation und Modernität" der jüdischen Minderheit "gleichermaßen als Mittel und Ziel des sozialen Aufstiegs" dienten. Umso auffälliger die Sprachregelung in Buchau, wo der jüdische Kleinhändler in Gewerbesteuerakten unter der pejorativen Bezeichnung des "Schacherers" firmierte. Hoffmann kommentiert: "Hier bestand eine Kluft zwischen Lebensrealität [...] und dem überkommenen Bild des Fremden aus voremanzipatorischer Zeit". Eine solche Fortschreibung vormoderner Stereotype habe die Grundlagen gelegt für die spätere Stigmatisierung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung der kleinen Gemeinde: Von den hundertzweiundsechzig Juden, die 1933 in Buchau gemeldet waren, wurden 64 in Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Der folgende, von Martin Ulmer verfasste Kurzbeitrag präzisiert das Stereotyp des jüdischen Modernisierers anhand einer Untersuchung antisemitischer Großstadtkritik im Kaiserreich. Unbehagen an der Moderne, Angst vor dem Verlust bestehender Privilegien und traditioneller Werte, Kulturpessimismus, Großstadtfeindlichkeit usw. werden - am Beispiel der deutschnationalen "Süddeutschen Zeitung" (Stuttgart) - als Kontexte der publizistischen Verbreitung besagten Stereotyps ausgewiesen. Besonders aufschlussreich ist hier der Hinweis auf die zunächst implizite, chiffrierte, dem Eingeweihten indes verständliche Gestalt antisemitischer Agitation.

Anhand einer Beschreibung des 1888 in Marburg abgehaltenen "Fenner Prozesses" sucht Gesine Palmer sich der - ausweislich ihrer Rezeption - für Liberale wie Konservative gleichermaßen faszinierenden Gestalt Paul de Lagardes anzunähern. Ihr ambitionierter Aufsatz bezieht seine faszinierende Wirkung aus der gelungenen Gegenüberstellung der Experten, die in besagtem Prozess als Gutachter fungierten - neben Lagarde namentlich Hermann Cohen -, und ihrer konträren Auffassungen hinsichtlich der Beurteilung "jüdischer Sittlichkeit". Aus dieser Gegenüberstellung heraus wird auf hohem theoretischen Niveau der Versuch unternommen, die spezifische Konzeption einer idealen nationalen Religion bei Lagarde nachzuvollziehen.

Zu den übrigen Beiträgen im Überblick: In Form einer ebenso kompetenten wie kompakten Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse seiner Habilitationsschrift zur "Völkischen Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich" diskutiert Uwe Puschner die facettenreichen Spielarten, Funktionen und Allianzen des Antisemitismus im Kontext der gleichermaßen vielschichtigen völkischen Ideologie, wobei wichtige Organisationen, Organe und Exponenten besagter Sammelbewegung vorgestellt werden. Das völkische Netzwerk der Weimarer Republik, dessen Knotenpunkte (Personen, Bünde, Orden, Vereine, Verlage) sowie deren publizistische "Methoden systematischer Weltanschauungsproduktion" in einem "heimlich offenen Bund für das große Morgen" (Lagarde) werden vor dem Erklärungshintergrund des bürgerlichen "Unbehagens an der Modernität" und der mit dieser Kulturkritik verbundenen Sehnsucht nach einer "Wiederverzauberung der Welt" von Justus H. Ulbricht mit gewohnt beeindruckender Materialfülle und Faktenkenntnis vorgestellt. Im Fokus des Interesses stehen dabei vor allem die völkische Verlagsarbeit, die Kooperationen völkischer Verlage "wider Juda, wider Rom" sowie die wichtigsten Organe des "geheimen Deutschland" (Heimdall, Hammer, Volkserzieher usw.) bis zu deren Untergang im Nationalsozialismus.

Für eine integrative historische Analyse von Nationalismus und Antisemitismus spricht sich dezidiert Renate Best aus, deren Aufsatz sich im Wesentlichen als kritischer Forschungsbericht lesen lässt. Anhand einiger plakativer Beispiele wird die Geltung der These "The correlation between German nationalism, religion and confession should the historians spend more attention" überzeugend unterstrichen. Alltägliche Erscheinungsformen des Antisemitismus im Deutschland der dreißiger Jahre, die Realität jüdischen Lebens, die Haltung der Deutschen gegenüber antijüdischen Maßnahmen des Regimes, informell kursierende Vorstellungen hinsichtlich jüdischer Kultur und Religion, das alltäglich in Quantität wie Qualität zunehmende Ausmaß antisemitischer Gewalt und dergleichen mehr zu eruieren ist das Ziel eines breit angelegten Editions- und Forschungsprojekts zu geheimen NS-Lage- und Stimmungsberichten, die zum Zwecke einer "ungeschminkten Unterrichtung" der Reichsregierung im deren Auftrag von Verwaltung, Justiz oder Polizei mehr oder weniger regelmäßig erstellt wurden. In Gestalt eines vielversprechenden Projektberichts skizziert Georgia Hauber die Struktur des Berichtswesens, den Quellenwert der Dokumente sowie anhand einiger Beispiele die Möglichkeiten zu deren Auswertung.

In stilistisch überaus starkem Kontrast zu den bisherigen Beiträgen des Bandes steht der nachfolgende Essay von Richard Faber. Ausgehend von Nietzsches plakativer Formel "Rom gegen Judäa, Judäa gegen Rom" und dem hiermit inaugurierten "todfeindlichen Widerspruch" zwischen den Juden als "die Widernatur selbst" und der "unbedingten Herrschaft der aristokratischen Werthe, der römischen Werthe", setzt sich Faber kritisch mit dem "schwarzen" (romanophil-imperialistisch-katholischen) Nietzscheanismus auseinander, mit der Rezeption besagter Dichotomie bei Autoren wie Carl Schmitt, H. U. von Balthasar, Theodor Haecker, Charles Maurras u. a. Fabers feinsinnige Thesen, die sich in ähnlicher Form schon in seinem Buch zum "Lateinischen Faschismus" (2001) finden, sind im besten Wortsinne kontrovers, wenngleich für den in den eigentümlichen Jargon aus Walter Benjamin-Zitaten, bloßen Andeutungen, politischen Anspielungen und unausgesprochen vorausgesetzten Werturteilen nicht Eingeweihten oftmals nur schwer nachzuvollziehen.

Die letzte Abteilung des Sammelbandes befasst sich thematisch mit dem Konnex von Antisemitismus und paganen Religionsentwürfen: Der Beitrag Ulrich Nankos hat eine bislang nicht systematisch untersuchte Phase in der Geschichte deutschgläubiger Religion zum Gegenstand. Seine Darstellung religiöser Gruppenbildungen ehemaliger "Deutschgläubiger" nach 1945 beschreibt die politischen Voraussetzungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, stellt die Umorganisationen und Neugründungen ausgewählter Organisationen dar und konstatiert einen Ausdifferenzierungsprozess der deutschgläubigen Bewegung sowie deren Aufspaltung in eine rechtsradikale und eine freigeistig-liberale Richtung. Die Positionierung gegenwärtig bestehender neugermanisch-heidnischer Gruppierungen in Deutschland zwischen Naturreligion und rassistischem Kult, zwischen New Age und Rechtsradikalismus, deren Geschichte, Weltanschauung und Organisationsstruktur sowie die tatsächliche Gefahr, die von derlei Gruppierungen ausgeht, sind die Themen des Aufsatzes von Stefanie von Schnurbein. Da sich ihr erwartungsgemäß überaus kompetenter Beitrag auf Ergebnisse ihrer bahnbrechenden Dissertation "Religion als Kulturkritik. Neugermanische Heidentum im 20. Jahrhundert" (1992) sowie ihrer Abhandlung "Göttertrost in Wendezeiten" (1993) stützt bzw. diese zusammenfasst, sei auf eine eingehendere Erörterung ihres Beitrages verzichtet und auf die Rezensionen besagter Titel sowie auf den von J. H. Ulbricht und S. von Schnurbein herausgegebenen Sammelband "Völkische Religion und Krisen der Moderne" (2001) verwiesen. Dass die völkischen und antisemitischen Grundlagen neopaganer, arteigener Religionsentwürfe bis in die Gegenwart hinein eine nicht unbeträchtliche Wirksamkeit besitzen, macht im abschließenden Beitrag des Bandes Horst Junginger deutlich: Am Beispiel der 1999 verstorbenen Autorin, "Unitarierin" und "intellektuellen Führungsgestalt der Neuen Rechten" Sigrid Hunke, deren vielsagende Biografie - als Studentin Bekanntschaft mit Hans F. K. Günther, 1937 Eintritt in die NSDAP, in der 1940er Jahren Mitarbeit beim SS-Ahnenerbe, später als vermeintliche "Orient-Expertin" im Auftrag der Bundesregierung Vorlesungen an mehreren arabischen Universitäten - und spirituelle Weltsicht er darstellt, zeigt Junginger auf, dass die Ideologie der hier projektierten "Neuen Religion" in beträchtlichem Umfange mit altbekannten (antisemitischen) Stereotypen operiert, deren Virulenz vor allem mit Blick auf die beträchtlichen publizistischen Erfolge Sigrid Hunkes - eine Auswahlbibliografie ist beigegeben - durchaus als besorgniserregend eingeschätzt werden kann.

Generell bleibt festzuhalten: Die versammelten Aufsätze divergieren sowohl in Quantität wie Qualität erheblich, ihre thematische Verknüpfung ergibt sich eher zwanglos denn zwingend im Rekurs auf die titelgebende Trias "Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion", eine einheitliche Orientierung am Deutungsmuster des "sozialen Mythos" etwa lässt sich nicht ausmachen. Dessen ungeachtet macht gerade die letztlich der Komplexität und Mehrdimensionalität der verhandelten Themenkomplexe geschuldete Vielfalt der Forschungsansätze den Reiz des vorliegenden Bandes aus. Ein leserfreundliches Register der Namen, Institutionen und Organisationen, das die Orientierung erheblich erleichtert und überdies gestattet, die aus mehrerlei Perspektiven mitgeteilten Informationen zusammenzuschauen, rundet den Band ab. Freilich bleibt in punkto Leserfreundlichkeit und hinsichtlich der Gesamtkonzeption des Bandes zu bemängeln, dass dieser bei einer Seitenzahl von nur 172 mit beträchtlichen 78 Euro zu Buche schlägt und damit wohl außerhalb der finanziellen Reichweite des lediglich privat an besagten Themen Interessierten liegen dürfte.

Titelbild

Hubert Cancik / Uwe Puschner (Hg.): Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion.
K. G. Saur Verlag, München 2004.
172 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 3598114583

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