Die fabelhafte Welt des Max Goldt

In seinem neuen Buch werden die Lesefröschchen zur Abwechslung wieder recht freundlich behandelt

Von Ansgar VautRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ansgar Vaut

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt wohl kaum einen deutschen Autor, dessen Lektüre so viel Freude bereitet, wie Max Goldt. Wer ihn kennt, der liebt ihn in der Regel auch, seine Texte sind niveauvoll und gleichzeitig sehr zugänglich. In seinen Kolumnen für "Titanic", "Die Zeit", "SZ" und viele andere bringt er den grauen Alltag mit sprachlichem Witz und skurrilen Ansichten zum Glänzen.

Nun steht wieder ein neues Max Goldt-Buch in den Regalen. "Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens" heißt es und enthält die gewohnten Goldt'schen Kolumnen, denen der Berliner in erster Linie seinen Ruhm zu verdanken hat. Daneben gibt es eine Hand voll Dialoge im Stile von Goldts "Radiotrinkerin" oder "Ein Leben auf der Flucht vor der Koralle": schräges Thema, nicht so pointenfixiert wie die Kolumnen und mit glasklarem Blick für sprachliche Klischees. Sollten diese Dialoge auf eine Theaterbühne gebracht werden, wie es mit der "Radiotrinkerin" geschah - ein volles Haus wäre ihnen gewiss. Außerdem bietet "Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens" die Goldt-typischen Dada-Überschriften: "In Toronto gab es Kuchen mit Semikolon", "Äpfel im Bett, Ärzte im Bergwerk" oder "Kölner Kotze", die allein schon den Kaufpreis wert sind. So bietet das neue Buch das Altbekannte - gut so.

Bemerkenswert ist der Titel des Buches: "Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens". Das Vorbeigehen meint in der entsprechenden Kolumne das Vorbeigehen an einem Weihnachtsmarkt. Warum sollte man an Weihnachtsmärkten vorbeigehen? Weil sie, so Goldt, neben Autos und Fußball zu den "drei großen Volksschwächen" gehören. Was stört den Autor an diesem Triumvirat, von dem Deutschland länger regiert wird als von Kohl und Schröder zusammen? Zum einen der gesammelte Tand und der erhitzte Billig-Rotwein. Daneben ist es aber wohl vor allem der allgemeine 'Gutfind'-Konsens, der über Autos/Fußball/Weihnachtsmarkt herrscht, der Goldt erschreckt und das Vorbeigehen für ihn so zauberhaft macht.

Vorbeigehen - das ist ein Thema, welches sich durch Goldts gesamtes Werk zieht. Vorbeigehen - das heißt Abgrenzung vom Mainstream und von allem Gewöhnlichen, um das Krethi und Plethi sich begeisternd applaudierend scharen. Was Goldt dem entgegnet, ist die Haltung des souveränen Darüberstehens. Man muss Weihnachtsmärkten nicht mit grimmiger Miene begegnen, ebenso wenig wie man ätzende Rezensionen über das neueste Marius Müller-Westernhagen-Werk verfassen muss. Der ideale Großstadtbewohner nach Goldt geht unaufgeregt an Weihnachtsmarkt und Westernhagen-CD-Regalen vorbei und schert sich nicht um den FC Deutschland 06.

Goldts Furcht, sich gemein zu machen - man ist geneigt es einen horror consensui zu nennen -, bezieht sich allerdings keineswegs nur auf die genannten Verkaufsschlager. In der Vergangenheit stieß Goldt sich auch schon mal am Film "Die fabelhafte Welt der Amelie", und die "taz" kommt bei ihm auch nicht sonderlich gut weg: Einmal von der Redaktion jener Zeitung um einen Beitrag zum Thema "taz muss sein" gebeten, fielen ihm nur die fünf Worte "taz muss überhaupt nicht sein" ein. Was ihn an solchen doch eigentlich ganz bereichernden Kulturgütern stört, ist leicht zu erraten: Sie sind zwar keine Quotenknüller wie Klinsi, Glühwein oder Volkswagen, aber sie werden dennoch von denen, die sie zur Kenntnis nehmen, gut und wichtig gefunden. Dass Max Goldt dagegen die "taz", Amelie und dergleichen nicht schätzt, geht natürlich in Ordnung, ist auch ganz erfrischend. Aber: Über Max Goldt selbst herrscht auch ein breiter Konsens: Studenten, Arztfrauen, Feuilleton-Redakteure - wer Goldt kennt, der schätzt ihn in der Regel auch. Negative Rezensionen, wie die von Florian Illies in der F.A.Z. vor zwei Jahren sind selten.

Wie findet ein Konsens-Verächter wie Goldt es wohl, dass er selbst so wenig polarisiert? Nun, in der Rolle des Everybody's Darling fühlt er sich sichtlich unwohl. Seine Abneigung gegen Journalisten ist bekannt, Interviews gibt er grundsätzlich nicht. Offenbar will er, dass ihn die Leute wegen seiner Bücher schätzen und nicht, weil sein Gesicht gerade in einer Zeitschrift zu sehen ist. Und er will lange nicht von jedem geschätzt werden. Als sei der zunehmende Erfolg der vergangenen Jahre ihm unheimlich, beschimpfte Goldt sein Publikum in den letzten Büchern gerne. Er ranzte über "zu viele Lesefröschchen", schimpfte über sein "verkommenes Publikum" und ließ sich schon mal zu einem "Fahrt zur Hölle, Personen die ich meine" hinreißen. Was da durchschien, war nicht mehr die Niedlichkeit der frühen Jahre, sondern immer häufiger die schwer erträgliche Selbstgewissheit eines Franz Josef Wagner.

Im neuen Buch kommen solche Ausfälle nicht mehr vor. Goldt ist geschmackselitär, aber nicht arrogant. Vielleicht hat er diese neue Gelassenheit gegenüber seinem Publikum entdeckt, weil seine Comics mit dem Zeichner Stefan Katz Erfolg haben, ohne dabei gleich auf einer allzu breiten Zustimmungs-Plattform zu stehen. In ihnen findet die Goldt'sche Liebe zur Skurrilität ihre Oase, ohne gleich wieder von der Mehrheit umarmt und vereinnahmt zu werden. Und so kann der Kolumnen- und Dialogautor Goldt bleiben, was er seit mehr als 15 Jahren ist: Eine einzigartige, wunderbare Erscheinung in der deutschen Literatur, die man nach wie vor mit größter Freude liest.

Titelbild

Max Goldt: Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004.
172 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3498024973

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