Autoren - Bücher - Abenteuer

Betrachtungen und Erinnerungen des Verlegers Kurt Wolff

Von Gerhard MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die deutsche Literatur der Moderne verdankt Kurt Wolff viel. Nennen wir gleich einige Namen: Brod, Hasenclever, Heym, Kafka, Lasker-Schüler (1913), Kraus, Sternheim (1914), Trakl (1915), Becher, Benn, Ehrenstein (1916), Kokoschka, Unruh (1917), Carl Hauptmann, Heinrich Mann (1918), Erich Mühsam (1920) und so weiter; dann, aus dem amerikanischen Exil: Burckhardt, Stefan George (1943), Broch (1944), Werner Heisenberg (1952) ...

Die Beiträge, die in diesem Buch versammelt sind, gehen auf Radiovorträge Wolffs zurück, die er nach 1960 gehalten hat. Unter dem Titel "Bücher und Abenteuer" stehen drei allgemein gehaltene Texte zum Verleger, zum "Abenteuer des Verlegens" und zu den Autoren. Drei weitere Texte gelten als biografische Miniaturen wichtigen Schriftstellern: Carl Sternheim, Franz Kafka, Karl Kraus. Beschlossen wird der Band durch die Chronik "Lebensdaten", zusammengestellt von Helen Wolff, sowie bibliografische Angaben. Die Originalausgabe dieser Erinnerungstexte Kurt Wolffs erschien 1965, als erstes der Quarthefte des neu gegründeten Klaus Wagenbach Verlags. Die vorliegende Taschenbuchausgabe wurde zum 40. Jubiläum des Verlags publiziert. Eine passende Gabe des Wagenbach Verlags an seine Leser und ein Signal in einer von "Monster-Unternehmungen" dominierten Verlagslandschaft. Reflexions-, Erinnerungstexte und Lesevergnügen in einem - und natürlich eine Hommage an Kurt Wolff.

1965 waren die genannten Funkbeiträge gegenwärtig - heute aber liegen sie zeitlich zurück und wirken, ich meine es nicht polemisch, wie ein Abglanz längst vergangener großer literarisch-verlegerischer Zeiten. Seit 2000 übrigens existiert auch eine Kurt Wolff-Stiftung (Leipzig, Haus des Buches), die sich "die Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene in Deutschland" zum Ziel gesetzt hat.

Von Wolff (1887-1965) stammt ja das öfter zitierte Diktum: "Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen. Verleger der zweiten Kategorie zählen für uns nicht - nicht wahr?" Wolff kann den "Begriff des wahren Verlegers" "nur innerhalb gewisser Größenordnungen" sehen. "Ein Unternehmen, das jährlich 100 bis 400 neue Bücher herausgibt (und deren gibt es zahlreiche in der Welt) [Konnte er die Buchfabriken heutigen Schlages ahnen?!], mag sehr respektabel sein, kann auch gute Bücher unter den vielen haben - der Ausdruck einer individuellen Verleger-Persönlichkeit kann es natürlich nie sein. Man wird im allgemeinen feststellen - wenn's gelegentlich auch Ausnahmen gibt - daß die Bücher der großen Autoren nicht bei den Monster-Unternehmungen [dieser Ausdruck wirkt jetzt zeitgemäß!] erschienen sind, und literarisch wichtige Bewegungen von kleinen Firmen, das heißt von individuellen Verlegern getragen und entwickelt wurden: der Georgekreis wurde vom Outsider Bondi betreut, S. Fischer gründete einen Verlag für die naturalistische Bewegung am Jahrhundertbeginn, der Expressionismus fand Obhut im Kurt Wolff Verlag."

Die Beiträge sind glänzend geschrieben und allen Literaturinteressierten und Germanistikstudenten zu empfehlen. Sie enthalten persönliche Schlaglichter u. a. auch zu Gerhart Hauptmann, Alfred Kerr oder Franz Werfel. Man könnte seitenlang zitieren. Nur eine Episode sei zum Abschluss herausgegriffen:

"Wie oft ich mit Kafka zusammen war, erinnere ich nicht. Die erste Begegnung steht mir jedenfalls in spukhafter Deutlichkeit vor Augen. Es war am 29. Juni 1912. Kafka war mit Max Brod auf einer Ferienreise, die beiden [...] machten auf dem Weg nach Weimar Station in Leipzig. / Am Nachmittag brachte Max Brod, der schon in Beziehung zum Verlag stand, Kafka in das schäbige kleine Verlagsbureau [...]. Möge mir Max Brod verzeihen, mir, der ich der letzte wäre, seine gar nicht abzuschätzenden Verdienste um den lebenden und toten Freund verkleinern zu wollen - aber ich habe im ersten Augenblick den nie auslöschbaren Eindruck gehabt: der Impresario präsentiert den von ihm entdeckten Star. Natürlich, so war's ja auch, und wenn dieser Eindruck peinlich war, so war das in Kafkas Wesen begründet [...]. / Ach, wie er litt. Schweigsam, linkisch, zart, verwundbar, verschüchtert wie ein Gymnasiast vor den Examinatoren, überzeugt von der Unmöglichkeit, die durch die Anpreisung des Impresarios geweckten Erwartungen je zu erfüllen. [...] Ich atmete auf, als der Besuch vorbei war und nahm Abschied von den schönsten Augen, dem rührenden Ausdruck eines alterslosen Menschen, der damals im dreißigsten Jahre stand, dessen Erscheinung aber zwischen krank und kränker schwankend für meinen Eindruck immer alterslos blieb: man konnte sagen: ein Jüngling, der nie den Schritt ins Mannesalter getan. / Bei der Verabschiedung an jenem Junitag 1912 sagte Kafka ein Wort, das ich nie früher noch nachher von einem anderen Autor gehört habe und das mir daher unverrückbar mit dem einzigen Kafka verbunden blieb: 'Ich werde Ihnen immer viel dankbarer sein für die Rücksendung meiner Manuskripte als für deren Veröffentlichung.'"

Titelbild

Kurt Wolff: Autoren - Bücher - Abenteuer. Betrachtungen und Erinnerungen eines Verlegers.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2004.
141 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3803124883
ISBN-13: 9783803124883

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