Schiller für die Westentasche

Über die dtv-Veröffentlichungen im Schiller-Jahr

Von Heidi-Melanie MaierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heidi-Melanie Maier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Deutsche Taschenbuchverlag hat sich aus aktuellem Anlass Schiller aufs Revers geschrieben und - ohne Autorisierung des Dichters - vice versa. Den als Bildbiografie aufgemachten dtv Verlagsprospekt, das so genannte "dtv Schiller-Magazin", schmückt eine Abbildung Schillers, auf der er das Logo des Verlags im Revers trägt.

Hinter der Internetadresse http://www.friedrich-schiller.de verbirgt sich nicht etwa eine der Marbacher oder Weimarer Institutionen, sondern das Verlagsduo dtv und Hanser. So viel Aneignung macht misstrauisch. Freilich, es gibt zweifelhaftere Wege, als mit Literatur Geld zu verdienen - gerade als Verlag. Doch die allumfassende Marketingmaschinerie, die zu Dichtergedenkterminen alljährlich veranstaltet wird, ist ermüdend. Letztes Jahr wurden angeblich Mörike, Tschechow und auch Kant gelesen. Dieses Jahr sind es Schiller, Verne und Andersen.

Und man fragt sich: Lebt unsere kulturelle Landschaft nur noch von der Retrospektive? Konstituiert sich Identität nur noch über die Erinnerung? Ist eines der kulturellen Highlights des Jahres tatsächlich die 24-stündige staatstragende Schiller-Rezitation mit Otto Schily - deutschlandweit übertragen? Findet die Musealisierung der Aktualität nun auch schon in der Literaturszene statt?

"Denn er war unser!" Das Goethe-Diktum über den Freund und Antipoden steht dem genannten dtv Schiller-Magazin als Motto voran. Die einseitige Einleitung zum sich anschließenden biografischen Abriss, ergänzt um bibliografische Hinweise aus dem Verlagshaus, verweist auf die angebliche Aktualität des Dichters: "Aber: Ist er noch unser? Ist Schiller noch lebendig? Die Frage nach seiner Aktualität gehört zum Festritual. Eine Antwort wird ernsthaft nicht erwartet, weil sich in Wahrheit dahinter das trutzige Bekenntnis verbirgt: Er ist noch unser!" Der informierte Leser bejaht das zweifellos, wenn er sich auch über den naiven Gebrauch gerade dieses Zitats wundern mag. Haben doch schon ganz andere behauptet, er sei ihrer gewesen. Ein wenig Reflexion und kritisches Hinterfragen würden nicht schaden und noch dazu eine interessante Dimension der Auseinandersetzung zwischen Dichter und Leser eröffnen.

Aber darf man eine Antwort, wie oben forsch negiert, nicht doch erwarten oder gar fordern, informiert oder nicht? Ist es nicht der eigentliche Sinn eines solchen Gedenkjahres, über die möglichen zahlreichen Aktualisierungen Schillers nachzudenken und zu diskutieren, anstatt sie mit wichtigtuerischem Pathos als selbstverständlich zu nehmen? Dazu kommt: Gerade dtv spricht keine im wissenschaftlichen Diskurs verwurzelte Leserschaft an. Und da wären einige Hinweise recht hilfreich, weshalb Schiller aktuell und relevant ist. Und das enthebt noch nicht der Verpflichtung zum Selbstdenken.

Natürlich, möchte man zynisch bemerken, Schillers Größe erschließt sich offensichtlich über die Vielzahl der Publikationen zu seinem Ehrenjahr. Im Schiller-Magazin schmückt man das dann noch mit einem Thomas Mann-Zitat und mehreren von Goethe, und jedes kritische Hinterfragen sei im Keime erstickt. Doch genug der Kritik eines hauseigenen Verlagsprospektchens, das mehr Symptom als Ursache ist.

Vier handliche Schiller-Publikationen liegen hier zur Begutachtung vor: die Biografie von Kurt Wölfel, erschienen in der Reihe "dtv portrait", die Gedicht-Anthologie "Und das Schöne blüht nur im Gesang", die Weisheiten-Sammlung "Des Lebens wechselvolles Spiel" und das "Kleine Lexikon der Schiller-Zitate".

Wölfels Biografie ist kompakt, was aber nicht auf Kosten des Informationsgehalts geht. Trotz der Beschränkung lässt Wölfel an vielen Stellen die Orginalquellen sprechen, sodass sich, lebendig zu lesen, Biografie und Werkinterpretationen nebeneinander finden. Stellenweise sind Wölfels Erkenntnisse erfrischend originell, etwa wenn er die Karlsschüler-Zeugnisse über Schiller einander gegenüberstellt: "Durch den Einfall des Herzogs, die Schüler übereinander urteilen zu lassen, sind uns aus dem Herbst 1774 eine Fülle 'moralischer Steckbriefe' über Schiller überliefert: 'Ein kränklicher und schwächlicher Leib hat ihm bisher noch nicht zugelassen, seine Gaben so anzuwenden, wie er gern wollte.' Hoven, der einzige, der auch Schillers 'Fehler' nennt, spricht von seinem Eigensinn und davon, dass er 'aus der Reinlichkeit nicht die große Tugend' mache. Auffallend oft wird sein 'Witz' hervorgehoben, und neben dem Urteil: 'Seine Haupteigenschaft ist, immerdar lustig zu sein', steht: 'Seine Haupteigenschaften sind Aufrichtigkeit und Eingezogenheit'." Solche Einsichten vermutet man nicht unbedingt in einer Biografie dieser Art. Dazu kommt: Das Buch ist farbig bebildert und abwechlsungsreich gestaltet.

Die Weisheiten-Sammlung, herausgegeben von Johann Prossliner, und die Gedicht-Anthologie von Joseph Kiermeier-Debre sind ordentlich gemachte Bändchen. Die Auswahl der Gedichte ist wohl begründet: wenig Jugendwerk, die Elegien, Balladen und philosophischen Gedichte, die Schiller 1803 auch für die im Leipziger Verlag Crusius erschienene Prachtausgabe gewählt hatte. Anders bei den Liedern: "Hier haben zweihundert Jahre bewundernde oder auch ablehnende Rezeption und natürlich das subjektive Empfinden des Auswählenden die meisten Abweichungen ergeben." Die Weisheiten-Sammlung besticht durch ihr auf Schillers "Glocke" akzentuiertes Nachwort. Der Herausgeber stellt den praktisch denkenden Menschen Schiller in den Vordergrund - den, der auch für den heutigen Leser Nützliches zu sagen hat, wie Goethe einst bemerkte: "Es ist bei Schillern jedes Wort praktisch, und man kann ihn im Leben überall anwenden." Das kommt teilweise ein wenig verspielt daher, zeugt aber durchaus von einem durchdachten Konzept.

Dagegen fällt das "Lexikon der Schiller-Zitate" ein wenig ab, das ebenfalls von Prossliner besorgt wurde. Die Verweissystematik mutet ein wenig umständlich an. Letztlich ist es eben ein Nachschlagewerk, dessen Gebrauch etwas mehr Wissenschaftlichkeit impliziert als der einer Suchmaschine. Ob es auch praktischer ist, möge jeder für sich entscheiden.

Dtv mischt im Schiller-Jahr selbstbewusst mit. Mit Publikationen wie dem Lebensporträt von Kurt Wölfel durchaus zu Recht, wenn auch nur für eine bestimmte Zielgruppe. Und da mag das dtv Schiller-Magazin eben doch ein wenig zu viel Anspruch formulieren, den man nicht einzuhalten im Stande ist. Kiermeier-Debre formuliert in seinem Nachwort zu dem Gedichtband wahrscheinlich die Haltung vieler Leser der vorliegenden dtv-Publikationen - und das ist wahrlich keine schlechte, wenn sie denn gelingt: "Versuchen Sie den Einstieg nach Gutdünken und seien Sie nicht gleich entmutigt, wenn Ihnen die Gedichte nicht in Unmittelbarkeit, eben als 'Erlebnis' hervortreten. Ein gewisses Durchhaltevermögen wird nötig sein; ohne die Mühen des Aufstiegs ist das Gipfelglück nicht zu haben. Nur die Kunst, nicht die Wissenschaft, nicht die Theorie und nicht die Philosophie darf als die vorrangige Aussageweise der Welt gelten. Ihre geistigen Gehalte offenbaren sich als eine sinnlich-ästhetische Erfahrung. Der Entwurf des Reichs der Schönheit, das Schöne selbst, es realisiert sich letztendlich nur im Gedicht und nicht in den Bezirken der diskursiven Ebenen. Schillers Auskünfte dazu sind eindeutig: 'Und das Schöne blüht nur im Gesang'."

Titelbild

Friedrich Schiller: Des Lebens wechselvolles Spiel. Weisheiten.
Herausgegeben von Johann Prossliner.
dtv Verlag, München 2004.
143 Seiten, 6,00 EUR.
ISBN-10: 342313271X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Kurt Wölfel: Friedrich Schiller.
dtv Verlag, München 2004.
187 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3423310162

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Johann Prossliner (Hg.): Kleines Lexikon der Schiller-Zitate.
dtv Verlag, München 2004.
255 Seiten, 6,95 EUR.
ISBN-10: 3423341459

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Friedrich Schiller: Und das Schöne blüht nur im Gesang. Gedichte, Balladen und Lieder.
Herausgegeben von Joseph Kiermeier-Debre.
dtv Verlag, München 2004.
206 Seiten, 5,00 EUR.
ISBN-10: 3423132701

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch