Die Welt des Rechts in Schillers Werken

Moderne Entwicklungen waren bei ihm schon angelegt

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fragen nach Herrschaft und Recht, nach Verbrechen und Schuld, Strafe und Sühne sind in Schillers Dichtungen ständig präsent und auf weite Strecken sogar das zentrale Thema. Berühmt und deshalb häufig kommentiert ist beispielsweise die Geschichte vom "Verbrecher aus verlorener Ehre", dessen Tragik darin besteht, dass das Strafrecht sich nur für die Momentaufnahme seiner Taten interessierte, nicht aber für sein Leben, das ihn unheilvoll zu diesen Taten gedrängt hat. Auch Gedichte wie "Die Bürgschaft", "Der Gang zum Eisenhammer" oder "Das Lied von der Glocke" berühren die Welt des Rechts, ferner "Der Geisterseher", der als "Geschichte einer psychischen Manipulation" kriminalistische Neugier zu wecken vermag.

Klaus Lüderssen, Jahrgang 1932, emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie, interpretiert Schillers Werke unter juristischen Gesichtspunkten und entdeckt dabei viele neue und bisher wenig beachtete Aspekte. Neben einigen seiner theoretischen Schriften öffnen vor allem Schillers Dramen, die ohnehin den Schwerpunkt seiner literarischem Arbeit ausmachen, den Blick für verborgene gesellschaftliche und menschliche Quellen des Rechts am Beginn der Moderne.

Sie präsentieren das Recht auf verschiedenen Stufen. In den "Räubern" und im "Fiesco" spielt der Dichter gleichsam mit Modellentwürfen, die in ihrer genialischen Zuspitzung die Fantasie, auf die das Recht sehr wohl angewiesen ist, in Gang setzen. Beide bewegen sich - zwischen Anarchie und Usurpation oszillierend - noch im Vorfeld des Rechts.

In "Kabale und Liebe" ist die Scheidung von Recht und Unrecht eindeutig. Die sozialen und politischen Anklagen zielen auf rechtliche Willkür. Dies wird im Stück ebenso anschaulich wie die optimistische Vision einer besseren Rechtsgesellschaft. Am Ende werden Bewertungen provoziert, die die ganze Skala von Recht und Unrecht ausfüllen. Mit Don Karlos, Wallenstein und Maria Stuart wiederum gerät Schiller, meint der Autor, an die Grenzen des Rechts. In "Wilhelm Tell" treffen dagegen Gerechtigkeit und Macht im Rahmen eines klar definierten Widerstandsrechts zusammen. Hier geht es um Widerstand gegen ein Regime, das im Unrecht ist, während der Widerstand im Recht ist. Das Stück gilt als Beweis dafür, wie man aufrecht und wirksam gegen die Herrschaft des Unrechts angehen kann.

In Schillers Werk ergeben sich, laut Lüderssen, im Hinblick auf Recht und Gesellschaft oft Deutungen, die sich nicht ohne weiteres in die erhabenen Gefilde der Idealität verweisen lassen, wie man sie bei einem Dichter des Idealismus wohl vermuten könnte. Immerhin hat Schiller in seinem Brief vom 21. März 1796 an Wilhelm von Humboldt selbst bekannt: "Vordem habe ich wie im Posa und Karlos die fehlende Wahrheit durch schöne Idealität zu ersetzen gesucht, hier im Wallenstein will ich es probieren, durch die große Wahrheit für die fehlende Idealität entschädigen." Wichtig ist zudem, dass das Recht den Menschen in seiner Realität ernst nimmt und zwar in seiner Realität, zu der ganz elementare Bedürfnisse gehören, die erfüllt werden müssen, ehe an die Verwirklichung von Idealen und Ideen gedacht werden kann. Das wusste auch Schiller, denn wie sagte er doch? "Würde des Menschen. Nichts mehr davon, ich bitt' Euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen. Habt Ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst." Schiller betrachtete die Würde des Menschen mithin nicht als entrücktes Ideal, sondern als abhängig von den Grenzen, die die Realität setzt. Schließlich hatte er selbst materielle Not am eigenen Leib erfahren, als dass er sich blind hehren Idealen hätte verschreiben können. Ebenso ist die Fähigkeit des Menschen, "als ein sittliches Wesen zu handeln", Voraussetzung für seinen "Anspruch auf Freiheit".

Als in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts über die Französische Revolution in Weimar und Jena diskutiert wurde, ging es nicht zuletzt um die Frage, welche Bedingungen die Menschen erfüllen müssen, um frei zu sein für eine verantwortungsvolle Veränderung der gesellschaftlichen Zustände. Schiller hat bekanntlich den Akteuren der Französischen Revolution diese Reife abgesprochen und in seinen "Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen" Vorschläge ausgearbeitet, wie sich der Mensch innerlich zivilisieren kann, damit er für die Freiheit fähig wird.

Der Autor beleuchtet detailliert und kenntnisreich Entwicklungen im Recht und in der Jurisprudenz und weist darauf hin, dass gerade heute bei aller Modernität mannigfache Beziehungen zur Epoche Schillers bestehen, weil in ihr die gesamte moderne Entwicklung angelegt sei. Zumindest habe das 21. Jahrhundert die Maßstäbe mit humanitären, allenfalls völkerrechtlich zu legitimierenden kriegerischen Interventionen und Terrorismus-Bekämpfung nur verschoben, "so dass uns Schillers - dramatisch verpackte - abgestufte Rechtswelt und seine juristischen Gratwanderungen wieder näher kommen", ebenso wie die Auffassung, die erneut an Boden gewonnen habe, man entlaste das Böse, wenn man es zu verstehen suche.

Zweifellos ist Klaus Lüderssens Abhandlung ein wichtiger wegweisender Beitrag zum diesjährigen Schiller-Jahr, der mit seiner speziellen Frage nach dem Recht bei Schiller die allgemeine Diskussion über das "richtige Schillerbild" wesentlich bereichert. Allerdings dürfte die Lektüre Leser, die in der Jurisprudenz nicht allzu gut bewandert und mit rechtsphilosophischen Fragen wenig vertraut sind, stellenweise überfordern.

Titelbild

Klaus Lüderssen: "... daß nicht der Nutzen des Staats Euch als Gerechtigkeit erscheine". Schiller und das Recht.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
222 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3458172424

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