Shooting Star oder peinlicher Langweiler?

Über drei neue Schiller-Biografien für Kinder und Jugendliche

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Schiller zum Vergnügen" ist eine der vielen Neuerscheinungen anlässlich des Schiller-Jahres 2005 untertitelt. Doch Vergnügen bereitet der deutsche Klassiker den Millionen von Schülern, die seine Balladen auswendig lernen und sich in Klausuren Gedanken über die "Räuber" als typisches Sturm-und-Drang-Schauspiel machen müssen, bekanntlich eher selten. Ein Dilemma nicht nur für die Pädagogen, sondern auch für die Verlage, denen die junge Leserschaft wegzubrechen droht. Seit einigen Jahren gibt es deshalb im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur immer wieder neue Ideen und Strategien, wie die vermeintlich öden Klassiker einem jugendlichen Publikum schmackhaft gemacht werden können. Und so finden sich natürlich auch unter den Biografien und Monografien dieses Schiller-Jahres etliche speziell für Kinder und Jugendliche.

"Schiller als einen Menschen aus Fleisch und Blut, als Idol und Shooting Star seiner Zeit" soll beispielsweise die Biografie von Manfred Mai zeigen, denn "offenbar machen Lehrpläne und Richtlinien noch den wildesten Dichter zum Langweiler". Ganz so jugendlich-lässig, wie die Verlagsinformation Mais Werk "Friedrich Schiller - Was macht den Mensch zum Menschen?" anpreist, schreibt der renommierte Jugendbuch-Autor letztlich jedoch nicht. Sicher: Es fallen Begriffe wie "Midlife Crisis" oder Weimars "High Society". Doch biedert sich der 56-Jährige, der vor allem Geschichtsbücher für Jugendliche verfasst hat, seinen Lesern keineswegs blind an, sondern schafft es, auf unterhaltsame, verständliche Weise Interesse zu wecken - und zwar auf eine Art, die auch für Leser, die das Abitur schon hinter sich haben, eine solide Einführung darstellt. Bei Manfred Mai wird der Verfasser scheinbar dröger, unendlich langer Gedichte und pathetischer Dramen überraschend lebendig: als "normaler" Junge, "Fritzle" genannt, der unter dem strengen Regiment der Carlsschule leidet, als Regimentsarzt, der den Grenadieren berüchtigte Rezepte ausstellt, "weil er der Meinung war, sie sollten, ihre Krankheiten auskotzen'", als unermüdlicher Arbeiter an seinen literarischen Werken und eben als Mensch mit Stärken und Schwächen, der bei allzu großer Eifersucht auch mal eine klitzekleine Intrige spinnen konnte. Immer wieder lässt der Biograf Schiller selbst sprechen, indem er größere Passagen aus den Werken zitiert und diese kurz kommentiert. Vielleicht sind diese Auszüge gelegentlich etwas zu ausführlich geraten - doch was den einen zum Überblättern reizen mag, regt den anderen möglicherweise gerade an, sich mit den Werken des Dichters noch etwas näher zu beschäftigen.

Mit nur 190 Seiten ist die Lebensgeschichte des schwäbischen Klassikers in Harald Gerlachs Buch "Man liebt nur, was einen in Freyheit setzt" wesentlich knapper gehalten als bei Manfred Mai. In Gerlachs Schiller-Biografie, die nun aus dem Nachlass des 2001 verstorbenen Dramaturgen und Autors veröffentlicht wurde, werden die Ereignisse nicht chronologisch, sondern eher essayistisch geschildert - eine Vorgehensweise, die jedoch ohne größeres Hintergrundwissen manch inhaltlichen Sprung nicht ganz nachvollziehbar macht. Speziell als Jugendbuch scheint die Ausgabe deshalb - trotz Auszeichnung der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur - nicht unbedingt geeignet. Da schreckt allein das Geleitwort von Prof. Dr. Lothar Ehrlich (Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlung) ab, der Gerlachs einfühlsamen "epischen Lakonismus" preist.

Einer Klientel mit etwas Vorwissen wird allerdings eine prägnante Aufbereitung von Schillers Leben geboten, einsetzend von der Flucht des 22-Jährigen nach Mannheim bis zu den Nachwirkungen des Dichters samt Schiller-Kult in Weimar. Die wichtigsten Probleme Schillers (Schulden, Krankheiten) arbeitet Gerlach heraus und weist zugleich auf die Schwierigkeiten beim Rückgriff auf die Aussagen von Zeitzeugen hin: "Die Dokumente, die etwas über Schillers Kindheit und Jugend aussagen, sind äußerst karg. Wir wissen nicht genau, wie es wirklich gewesen ist. [...] Denn auch dann, wenn wir wissen, was von ihm selbst oder von Zeitzeugen darüber gesagt wurde, so wissen wir nicht, warum es gesagt wurde." Eine derart vorsichtige Annäherung gefällt - ganz im Gegensatz zu arroganten Urteilen, wie z. B. die Aussage Geralds, die Dürftigkeit der "Gedichte an Laura" hänge "mit dem Gegenstand der Verehrung zusammen".

Wie wohl Friedrich Schiller als Zeitgenosse im 21. Jahrhundert wirken würde, fragen Christiana Engelmann und Claudia Kaiser in ihrem Lesebuch "Möglichst Schiller" gleich zu Beginn - mit ernüchternden Antworten. Wäre Schiller mit seinem offenen Überschwang der Gefühle nicht nur peinlich und uncool, mit seiner Energie und dem Wissensdurst bloß nervig? Zweifelhaft ist, ob ihm heute ein Unbekannter nur auf einen Brief hin eine Fahrkarte bezahlen und seine Schulden begleichen würde, wie es einst Christian Gottfried Körner tat. Sicherlich jedoch wäre Schiller im 21. Jahrhundert kerngesund - seine Krankheiten wären allesamt behandelbar. Nach einem solchen Auftakt ist schon nach wenigen Seiten klar, dass Christiana Engelmann und Claudia Kaiser dem jugendlichen Publikum am meisten verpflichtet sind, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Ihr Anliegen formulieren die beiden Autorinnen eindeutig: "Friedrich Schiller aus der Gruft geholt und sein Werk zum Leben erweckt!"

Wie sie dem Klassiker dabei Leben einhauchen, ist nicht ungeschickt. Die Dramen des Dichters werden in thematisch gegliederten Kapiteln konsequent auf mögliche Identifikationsangebote abgeklopft: Ist Karl Moor nicht ein spannender Abenteuerer und jugendlicher Aussteiger, dem die Zeitgenossen nur als Nieten und impotente Spießer erscheinen? Kann man die Aufgabe der Jungfrau von Orleans nicht auch als "mission impossible" betrachten? Und wie sieht es mit Schillers Leben aus? Aus Geldmangel machte der Dichter mit WGs Erfahrung, als Autor der "Räuber" konnte er sich vor Fanpost kaum retten, seine Rollenklischees für Frauen und Männer waren um 1800 bereits umstritten, und zusammen mit Goethe wurde er auch schon mal als "elitärer Sack" eingestuft. Unterhaltsame Anekdoten gibt es zahlreiche, wie die Autorinnen zeigen. So schoss der junge Schiller in seiner Dissertation mit recht respektlosen Bemerkungen zu Forschungsergebnissen weit übers Ziel hinaus, wenn er über den damals renommierten Arzt und Dichter Albrecht Haller, den Begründer der modernen Physiologie schreibt: "Aber wie Haller so auf der Oberfläche schweben konnte, das begreif ich nicht."

Unbegreiflich erscheint es nach der Lektüre auch, Schiller einfach nur langweilig zu finden. Mindestens für sein Leben, für seine Kompromisslosigkeit dürften auch heute noch Pädagogen bei Jugendlichen Interesse wecken können. Für das Lesebuch "Möglichst Schiller" spricht neben seinem günstigen Verkaufspreis und der einfachen, klaren Sprache, dass es bei aller Saloppheit den Dichter keineswegs anbiedert, sondern auch kritische Distanz wahrt. Dazu tragen nicht zuletzt die zahlreichen Originalzitate bei, die den Jugendlichen Schillers Sprache ganz ungeglättet zumutet. Erst jüngst hat der Schulbuchverlag Cornelsen mit seiner problematischen Reihe "Einfach klassisch" dafür gesorgt, dass dies keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Titelbild

Harald Gerlach: "Man liebt nur, was einen in Freyheit setzt". Die Lebensgeschichte des Friedrich Schiller.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2004.
191 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3407808771

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Christina Engelmann / Claudia Kaiser: Möglichst Schiller. Ein Lesebuch.
dtv Verlag, München 2004.
377 Seiten, 7,50 EUR.
ISBN-10: 3423621966

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Manfred Mai: Was macht den Mensch zum Menschen? Friedrich Schiller.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
304 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3446205209

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch