Schiller sucht eine Frau

Jörg Aufenangers gelungene Spurensuche nach dem Dichter-Menschen

Von Antje PolanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antje Polanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er hat doppelte Torschlusspanik. Er ist jetzt schon achtundzwanzig, und bis dreißig will er verheiratet sein. Er glaubt nicht älter als fünfzig zu werden und hat literarisch noch sehr viel vor. Er sucht nicht die Liebe seines Lebens, aber eine, die ihm Ruhe verschafft, denn die braucht er zum Schreiben wie die faulen Äpfel in der Schublade, an denen er riechen kann, um in Stimmung zu kommen, und daran darf sie keinen Anstoß nehmen. Er ist keine viel versprechende Partie und auch sonst alles andere als ein leichter Fall. Bekommt Körbe, ist aber doch sehr gefragt und voller Sehnsucht, sich "bald als Teil eines anderen Ganzen zu fühlen".

In der Flut der Neuerscheinungen zum Schiller-Jahr ist Jörg Aufenangers Biografie "Schiller und die zwei Schwestern" etwas rundum Geglücktes. Unaufgeregt, dafür ansteckend hoch motiviert, nicht sensationslüstern, wie in Jubiläumsjahren oft die Gefahr besteht, wenn - weil über das Genie schon alles gesagt ist - die gierige Suche nach dem Allzumenschlichen einsetzt, begibt sich der Autor mit sehr feinem Gespür für das Ausgewogene der Betrachtung auf die Suche nach einem Dichter, der auch Mensch ist. Ist Goethe längst auch auf diesem Gebiet gnadenlos entdeckt, gibt es bei Schiller durchaus noch "Nachholbedarf", wie Aufenanger beweist. Er hat gründlich recherchiert und meistert den Balanceakt, auf hohem Niveau zugleich gelehrig, unterhaltend und allgemeinverständlich zu sein. Er nimmt den Leser mit, den Dichter-Menschen Schiller in seinem Umfeld zu entdecken, wobei Letzteres erfreulicherweise nicht zu kurz kommt. Denn wenn einem auf der Suche nach der ewigen Bindung ein überhaupt oft hin- und hergerissener, ja ein zerrissener Dichter begegnet, der früh von sich schreibt: "Ich könnte mich nie mit mir selbst versöhnen", dann korrespondiert diese Befindlichkeit auf sehr interessante Weise mit der des 'Who is Who?'-Getümmels und Geklüngels im klassischen Weimar.

Frauen spielen in seinem Umfeld, das lässt der Titel des Buches ahnen, eine große Rolle, und die kommt bei Aufenanger vor allem denen zu, die eine größere Erschließung nach dem Vorbild der Charlotte von Stein auch zukünftig noch verdienen. Charlotte von Kalb etwa, eine Zeit lang Schillers Geliebte, die mit Goethe bekannt war und sich auch als Freundin von Jean Paul und Hölderlin einen Namen machte. Oder der Familie von Wolzogen, der ein Platz in den Reihen der von Arnims und Brentanos gebührt: Die Familie kam, ebenso wie der Dichter, aus dem Schwäbischen, und Henriette von Wolzogen, die ihm wie eine zweite Mutter war, unterstützte ihn großzügig finanziell und räumlich. Da ist vor allem ihre Schwiegertochter, Caroline von Wolzogen, eine der "beiden Schwestern", die schon unglücklich vergeben ist, zu der Schiller dennoch eine hoch sinnliche wie geistvolle Leidenschaft unterhält und die mit ihrem Roman "Agnes von Lilien" (gerade neu herausgegeben von Thomas Anz) eine berühmte Schriftstellerin ihrer Zeit werden sollte. Ihr zweiter Mann Wilhelm war es, der den Dichter auf der Suche nach einer Frau in das Haus der Schwestern von Lengefeld einführte, in Rudolstadt, das heute wie damals etwas außerhalb der Zeit, ein bisschen "hinter den sieben Bergen" liegt. Ausgerechnet hier wurde der gefeierte Dichter der "Räuber", in Liebesdingen durchaus nicht mehr unerfahren, in Charlotte schließlich fündig. Er hatte sich schon für viele Frauen entzündet. Weder von anziehendem Äußeren, noch adlig oder zumindest wohlhabend hatte er dennoch als Dichter bei ihnen einen Stein im Brett. Sein Lieben war immer mehr ein Schwärmen, ganz seiner unruhigen, launischen, häufig kränkelnden Natur - zwischen "Spannung und Ermattung, Opiumschlummer und Champagnerrausch" - entsprechend, die alles andere als eine stabile Persönlichkeit war. Sich dessen bewusst, suchte Schiller ganz gezielt nach dem gegenteiligen ausgleichenden Moment, ein nicht erotisch aufwühlendes, dafür bodenständig häusliches Wesen "im Hintergrund", das ihm den Rücken freihalten und stärken würde, damit er so optimal wie möglich zum Arbeiten, zum Dichten frei wäre - eine Leistung, mit ihm zu leben. Noch viel mehr, da das stürmische Genie mit seinem antiquierten Ehefrauenideal, über das sich nicht nur die Brüder Schlegel lustig machten, auf Leidenschaft durchaus und auch künftig nicht ganz verzichten wollte, und so wagt er, wenn auch halbherzig, weil ihm Goethes Mut zum Unkonventionellen fehlte, das komplizierte, für alle Beteiligten nervenaufreibende Experiment einer Liaison à trois ...

Titelbild

Jörg Aufenanger: Schiller und die zwei Schwestern.
dtv Verlag, München 2005.
195 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3423244461

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