Vom Bund zur Bande

Ulrike Brunotte untersucht Männerbünde im frühen 20. Jahrhundert

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stets schon ist der Firnis der Kultur auch in so genannten Zivilgesellschaften dünn, und oft führt das Unbehagen gegenüber "Degenerationen" einer industriell fortschreitenden Gesellschaft zu einer irrationalen Regression ins Primitive, wobei das antizivilisatorische, antiurbane Ressentiment rasch destruktive bis eliminatorische Züge annehmen und die Treibkraft in einen Rückfall in die Barbarei sein kann. Exemplarisch hierfür war im frühen zwanzigsten Jahrhundert, als der Prozess der Modernisierung in der Umbruchphase um 1900 tradierte, vor allem bürgerlich-männliche Gesellschaftsrollen in Frage stellte, die Regression auf archaische Rituale männlicher Stammesgesellschaften. Anfangs bildete sich in der lebensreformerischen Bewegung der "Wandervögel" eine asexuelle Kameradschaft in einem durchweg männlich ausgeprägten Jugendkult heraus, welche den Grundstock für die Ideologie männerbündischer Gemeinschaften in späteren Jahren legte, die von Ressentiments gegen alles Weibliche, Jüdische, Friedfertige und Demokratische geprägt und ihr Ideal im eindimensionalen Männerhelden sahen, der im mythischen Todesritual und rauschhaften Kriegserlebnis seine Bestimmung zu finden hoffte. Die Revolte gegen das Patriarchat mündete schließlich in Misogynie und brutalem Antisemitismus. So führt eine Linie von den "homoerotischen" Wandervögeln mit ihrer unterschwelligen, aber verdrängten Homosexualität zu den Banden der Freikorps und der SA. Den NS-Staat bezeichnete Heinrich Himmler in einer Geheimrede als "Männerstaat", doch musste die NSDAP in ihrer Homophobie alle anfänglichen Spuren der Homosexualität aus dem "historischen Text" tilgen.

Diese komplexen Entwicklungen untersucht die Berliner Religions- und Kulturwissenschaftlerin Ulrike Brunotte in ihrer Studie "Zwischen Eros und Krieg: Männerbund und Ritual in der Moderne". Nicht allein den historischen Entwicklungen in den ersten drei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts spürt sie darin nach, sondern stellt auch den Niederschlag männerbündischer Vorstellungen in literarischen Arbeiten von Autoren wie Gottfried Benn, Ernst Jünger und Thomas Mann vor. Zentrale Figur ist freilich der Psychotherapeut Hans Blüher, der als ambivalenter Mittler zwischen dem romantischen Kult der Männerfreundschaft der "Wandervögel" und dem "rassisch" reinen, antisemitischen Männerbund reaktionärer und nazistischer Prägung fungierte. Offen bekannte er sich zu seiner Homosexualität und kämpfte gegen die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. In den zwanziger Jahren stieß er zur "Konservativen Revolution", in deren Orbit der "Eros" des Männerbundes ins Völkische des "idealen Staates" abdriftete, in dem Frauen wie Juden keine Existenzberechtigung hatten. Schließlich ergänzte sich Blühers Antifeminismus mit dem Antisemitismus.

Freilich verspricht der Untertitel mehr, als das Buch schließlich einzulösen vermag. Männerbündische Spektakel waren weder auf Deutschland noch auf das frühe 20. Jahrhundert begrenzt. Wie Brunotte treffend in ihrer Einleitung aufzeigt, sind männliche Selbstinszenierungen im Krieg und in der Kultur leider immer noch aktuell. Zum anderen gab es auch in anderen Ländern solche Phänomene, wie sie Brunotte in ihrer Untersuchung darstellt. Schon vor Jahren wies beispielsweise die amerikanische Feministin Catherine R. Stimpson auf den misogynen Charakter der vorwiegend männlich geprägten "Beat Generation" hin, deren Befreiung von sexuellen Restriktionen der amerikanischen Gesellschaft in eine Apologie einer homosexuell grundierten antiweiblichen Maskulinität mündete. Markantester Vertreter dieser Strömung war der "Anarch" William S. Burroughs, in dessen Werk weibliche Geschlechtsteile immer wieder als omnivore Schlingpflanzen im menschlichen Dschungel auftauchen. Für ihn waren Frauen schlichtweg ein "biologischer Fehler".

Trotz dieser Einwände ist Brunottes Studie durchaus lesenswert, auch wenn sie stellenweise mit akademischer Schwerfälligkeit und Zähigkeit daherkommt. Damit ist das Thema nicht erschöpfend behandelt, und das Buch lässt Ansatzpunkte für weitere notwendige Arbeiten erkennen.

Titelbild

Ulrike Brunotte: Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005.
170 Seiten, 20,50 EUR.
ISBN-10: 3803151708

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