Konstruktion und Subversion

Nicole Masanek stellt die These eines spezifisch weiblichen Schreibens auf den Prüfstand

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde von einigen feministischen Literaturwissenschaftlerinnen die These aufgestellt, dass weiblichem Schreiben im Unterschied zu der von Männern verfassten Literatur per se ein subversives Moment innewohne. Eine Auffassung, die schon bald kritisiert wurde und zu Beginn des 21. Jahrhunderts eigentlich nicht mehr vertreten wird. "[D]ass jedes literarische Werk, gleichgültig, ob es mit dem Namen einer Frau oder eines Mannes, die androzentrisch-metaphysische Matrix und im besonderen den hierarchisch organisierten Geschlechter-Diskurs zwar konstruiert, dass sich genau dieser Diskurs aber zugleich durch ein in jedem Text eingeschriebenes selbstsubversives Potential zu Fall bringt", ist denn auch nicht unbedingt eine bahnbrechende These. Gewagt ist sie dennoch. Und zwar durch die Allquantoren "jedes" und "jedem". Nicole Masanek stellt sie in ihrer Untersuchung "[z]ur Konstruktion und Subversion in der Literatur" auf. Da es Universalisierungen nun einmal eigen ist, aus empirischen Gründen nicht verifizierbar zu sein, kann Masanek ihre Leitthese nicht beweisen, auch wenn sie nicht - wie ihre Formulierung suggeriert - Texte schlechthin meint, sondern nur literarische Texte. So versucht sie es auch gar nicht erst. Was ihr allerdings gelingt, ist, sie plausibel zu machen und anhand der von ihr Untersuchten Romane (Ingeborg Bachmanns "Das Buch Franza", Elfriede Jelineks "Die Klavierspielerin", Unica Zürns "Der Mann im Jasmin", Robert Musils "Die Versuchung der stillen Veronika" und Bodo Kirchhoffs "Ohne Eifer, ohne Zorn") die Annahme einer "geschlechtsspezifischen Binarität der Ästhetik", die sich in ein "weiblich-subversives" und ein "männlich-konstruktives" Scheiben "aufspaltet", zu widerlegen.

Masanek, die der "gesamte[n] vordekonstruktive[n] feministische[n] Debatte" eine "Umkehr der Wertigkeiten zugunsten der Frau bzw. des Weiblichen" vorwirft, stützt ihre Ausführungen auf Erkenntnisse des dekonstruktiven Feminismus, mit dem sie darin übereinstimmt, dass "die Positionen von Mann und Frau (und damit auch die von Autor und Autorin) nicht mehr als substantielle, sondern alleine als sprachlich verfasste" aufzufassen sind. Allerdings, so erklärt Masanek, geht ihr Ansatz nicht nur über den dekonstruktiv verfahrenden, sondern überhaupt über jeden Feminismus hinaus, indem er "die beiden Komponenten der Geschlechterdyade, den Mann und die Frau, in ein relationales Verhältnis zueinander setz[t] - und damit beide Pole als Objekt des Fragens begreif[t]". Daher sei er weniger feministisch als vielmehr "gender-orientiert". Zweifellos verortet die Autorin ihre Arbeit zu Recht in der Gender-Forschung. Doch offenbart sie auch ein etwas überholtes Feminismusverständnis, haben sich feministische WissenschaftlerInnen doch längst nicht nur die Erkenntnisse der Gender-Forschung und -Theorie angeeignet, sondern betreiben diese auch mit nicht eben geringem Erfolg.

In den Einzeluntersuchungen zeigt Masanek, "dass auch literarische Texte, die angeben aus einer weiblichen Position verfasst worden zu sein", "keinesfalls ausschließlich subversiv" sind, sondern auf das "kulturelle Gut des Abendlandes" zurückgreifen und es in sich einschreiben, während "eine Bewegung der Subversivität" auch in den von ihr untersuchten "männlichen Texten" zu erkennen ist. Konstruktive und subversive Bewegungen könnten daher "auf keinen Fall voneinander getrennt, abgespalten und an verschiedenen (geschlechtsspezifisch divergierenden) Orten positioniert werden". Allerdings zeigten sich die subversiven Bewegungen in den "männlichen Texten" "minder zerstörungswütig und blutrünstig" sowie "weniger auf den 'totalen' Zerfall angelegt". Des weiteren hält Masanek fest, dass in allen untersuchten Texten Frauen auftreten, "die häufig in Passivität und einem selbsternannten Opferstatus verharren", während die männlichen Figuren "meist in der Position des Täters verharren" und "grundsätzlich in der Lage sind, die Welt zu ordnen". Allerdings treten die ProtagonistInnen in keinem der Texte als "ontologisches Substrat" ihres Geschlechts auf, sondern geben sich als "Resultat einer 'höheren Moral'" oder als "Effekte einer kulturellen Anordnung" zu erkennen.

Zwar, so lautet das Fazit der Autorin, gebe es ein weibliches Schreiben in dem Sinne, "dass die unterlegene Position, die Frau, sich die Sprache zunutze machen kann", doch nicht in dem Sinne, "dass es sich untrennbar mit einem bestimmten (als weiblich gesetzten Körper) verbinden" und einem als männlich begriffenen Körper konträr-dichotomisch gegenübersteh[en]" würde.

Titelbild

Nicola Masanek: Männliches und weibliches Schreiben? Zur Konstruktion und Subversion in der Literatur.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2005.
311 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3826029410

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