"Genossen, richtet Klubs ein! Klubs! Mehr Klubs! Und so schnell wie möglich!"

Mit den Arbeiterklubs setzt Christiane Post einen vernachlässigten Strang des russischen Konstruktivismus ins Rampenlicht

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Beschäftigung mit Arbeiterklubs hat schon so manch einen gefesselt. Dass das Gros der Interessierten sich dabei allerdings mit enormem Forschungsdrang und Elan eher auf eine populäre Ballsportart kaprizierte, ficht Christiane Post nicht an. Sie hat in ihrer Untersuchung gänzlich andere Klubs im Visier: die gewerkschaftlichen Häuser, die als Versammlungs- und produktive Begegnungsorte konzipiert, in der Sowjetunion ab den zwanziger Jahren als kulturelle und politische Kristallisationspunkte errichtet wurden. "Als neue Bauaufgabe der sowjetischen Avantgarde" betitelt Post ihren Gegenstand und bezeichnet damit zwei wesentliche Elemente des Themas. Der Wille der jungen Macht, Klubs für Arbeiter in hoher Dichte zur Verfügung zu stellen, produziert ein neues Ressort, das aus den postrevolutionären Ansprüchen nach der Herausbildung und Förderung einer speziellen proletarischen Klassenkultur mit den Klubs als Schmiedestätten erwächst. Dass die Avantgarde hier im Spiel ist, hat seinen besonderen Grund darin, dass Post sich auf die Anfänge der Arbeiterklubarchitektur bezieht und folglich ins Zentrum ihrer Beobachtungen die konstruktivistischen Strömungen stellen kann, die bis zur offiziellen Diskreditierung und Marginalisierung Anfang der 30er Jahre nicht nur die sowjetische Kunst- und Architekturlandschaft innovierten. Da die eigentliche Bauperiode erst zum 10-jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution einsetzte, konzentriert sich die Arbeit auf den Zeitraum 1927-1930. Dabei verfolgt Post das Ziel, über einen architekturhistorischen Zugang auch kulturwissenschaftliche Fragen z. B. nach der Funktion für die Entwicklung eines proletarischen Kulturbegriffes oder nach der politischen Aufladung der verwendeten Formen zu beantworten.

Die Programmatik der Klubs war dabei die Installation einer Zentrale des kulturellen Lebens der Arbeiter. Ab 1917 sahen der Proletkult, das kulturpolitische Organ des Staates und nach 1921 die parteipolitisch instruierten Gewerkschaften in den Arbeiterklubs Zentren der kreativen Entfaltung sowie der politischen Bildung respektive der Massenpropaganda. Bereits nach der Revolution von 1905 jedoch war es zur Konstitution erster politischer Klubs gekommen, die sich wiederum entfernt an den bildungsorientierten Volkshäusern des 19. Jahrhunderts orientierten, die von paternalistischen Liberalen als Erziehungs- und Weiterbildungsinstrumente kreiert worden waren. Die Fundamente waren hier also bereits gelegt, allerdings noch in stets etwas unsicher bleibendem Status gegenüber dem argwöhnisch bis feindlichen Staat. Unter der Federführung des Proletkults, wurde ab 1917 erstmals das politische Potential der dezentralen Klubs im Rahmen von Agitation und Koordination beträchtlicher Arbeitermassen genutzt. Waren die ersten politischen Klubs nach 1905 im Stile spontaner, situativer Projekte organisiert, institutionalisierten sich die Klubstrukturen nach der Oktoberrevolution in umdefinierten Villen, Hotels, Werkshallen. Erst bei den Planungen für das Jubiläum der Revolution wurden auch die finanziellen Weichen bei den Gewerkschaften auf konzertiert angelegte Neubauprojekte gestellt. An diesem Punkt gewann der Konstruktivismus, der zum Stil der Klubkomplexe gemacht werden sollte, Bedeutung für die Gewerkschaften. Die Vorstellungen vom Gesamtkunstwerk Arbeiterklub, der angefangen bei der Architektur über die Inneneinrichtung bis zum Produktdesign einen "Corporate-Design-Charakter" erhält, zeugen Post zufolge von dem gesteigerten Gewicht, welches die Anlagen im Konzept der Herausschälung einer sozialistischen Lebensweise, einer kollektiven sozialistischen Alltagskultur einnahmen und welch entscheidenden Beitrag die konstruktivistischen Ideengeber daran hatten. In einer Mischung aus Theater, Bildungsverein, Kneipenersatz und Versammlungszentrum sollten diese gestreut an allen wichtigen Industriekomplexen zu errichtenden Klubs das gesamte Freizeitengagement der Arbeiter bündeln und absorbieren. Dass daraus dann einige der heute noch faszinierenden radikalmodernen Ensembles entstanden sind, ist gänzlich den in dieser frühen Formierungsphase der sowjetischen Architektur noch partiell sehr einflussreichen Konstruktivisten zu verdanken. Ihre technik- und baustoffverliebten, rationellen wie einfachen Entwurfsprinzipien, die sowohl in auf industrielle Reproduzierbarkeit angelegten Typenstandards aufgingen als auch in experimentellen, solitären Bauten, beschreibt und stellt Post in aller gebotenen Detailgenauigkeit aus. Auch die bald aufkeimende, von vielen Seiten erhobene Kritik gegen Resultate des Konstruktivismus wird dabei instruktiv kontextualisiert. Dabei ist die Vielfalt der Ablehnungen durchaus interessant bezüglich des sich darin ankündigenden Paradigmenwechsels zugunsten eines stalinistischen, antimodernen sozialistischen Realismus. Konfrontiert wird man mit an Josef Frank gemahnenden Formalismusvorwürfen, die zweckmäßig minimalistischen Funktionalismus auf dem Weg zu einem neuen kanonisierten Fassadenfetisch sehen, mit Vorhaltungen über das Defizit an Kunstcharakter, das einen konterrevolutionären architektonischen Nihilismus nach sich ziehen und eingedenk der sehr tayloristisch inspirierten Bewegungsdiagramme im Effekt kapitalistischen Logiken folgen würde. Inklusive der Darstellung omnipräsenter Anschuldigungen, mit der Fetischisierung der Industrieform, die zu Lasten der Agitations- und Kulturvermittlung gehe und demzufolge reaktionär und wenig proletarisch sei, entfaltet Post ein dichtes und sehr aufschlussreich kontroverses Meinungspanorama in der landeseigenen Architekturdebatte der späten zwanziger Jahre. Wunderbar kann die Argumentation nachvollzogen werden, dass sich in der Entwicklung der Arbeiterklubs der Aufstieg und das Ende der sowjetischen Avantgarde spiegelt und man es hier mit einer geradezu paradigmatischen Debatte zu tun hat. Als geradezu tragisch rezipiert man den im Ausblick beschriebenen tief greifenden Umschwung der Architekturtendenz, wenn in der breiten Darstellung von zehn exemplarischen Arbeiterklubs, die durch exzellente historische und zeitgenössische Bebilderung unterfüttert ist, die kompositorische, raumorganisatorische, ästhetische wie funktionale Stärke dieser Linie manifest wird. Die besonders breite Präsenz Konstantin Melnikovs wird zu Recht durch sein skulpturales, bestechend differentes Design gerechtfertigt, wie auch insgesamt verdeutlicht werden kann, welch symbolische Kraft die Bauten für die noch relativ offene gesellschaftlich-kulturelle Entwicklung in dieser Periode hatten. Die Organisation des neuen Lebens, des Proletariers in frischen Kulturzusammenhängen hatte hier noch ein adäquates Antlitz.

Titelbild

Christiane Post: Arbeiterklubs als neue Bauaufgabe der sowjetischen Avantgarde.
Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2004.
199 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-10: 3496012951

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