Ein dienendes Mitglied der Familie

Zum 70. Geburtstag des Schriftstellers Fritz Rudolf Fries

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

"Vor der Tür rumort ein Kamerateam, das nur darauf wartet, mich ins Visier zu bekommen, um den Fernsehzuschauern entweder das Bild eines zerknirschten Sünders oder unbelehrbaren Verbrechers vorzuführen", notierte der Schriftsteller Fritz Rudolf Fries vor drei Jahren in seinem Erinnerungsband "Diogenes auf der Parkbank". Er beschreibt darin die Vorfälle, die sich Mitte der 90er Jahre abspielten, als bekannt geworden war, dass er als IM "Pedro Hagen" seit 1982 für den Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet hatte. Von Reue ist bei Fries bis heute wenig zu spüren. Er stellte damals sogar die provozierende Frage: "Hatte ich je einen mir vertrauten Menschen verraten?"

Nach Fries' Enttarnung ergab sich eine völlig neue Lesart seines zuvor erschienenen Romans "Die Nonnen von Bratislava" (1994). In diesem als Schelmenstück getarnten Roman, in dem sich Ulbricht, Breschnew, Gorbatschow, Honecker, Marx, Engels und Lenin auf kuriose Weise tummeln, bekannte der Protagonist Mateo Aleman, dass er "ein dienendes Mitglied unserer Familie" geworden ist.

Plötzlich erschien Fries' DDR-Vita in einem völlig anderen Licht, denn lange galt er als geduldeter Querdenker, der sich Nischen suchte und beharrlich den SED-Kulturdogmen widersetzte. Doch diese von Fries selbst gepflegte Legende endete spätestens im Oktober 1982, als er sich auf den Deal mit dem Staatssicherheitsdienst einließ.

Fritz Rudolf Fries wurde am 19. April vor 70 Jahren in Bilbao geboren, kam 1942 nach Deutschland, studierte Anglistik und Romanistik in Leipzig und war bis 1966 Assistent an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. Auf Vermittlung von Uwe Johnson erfolgte im Suhrkamp Verlag die Veröffentlichung des Romans "Der Weg nach Oobliadooh" (1966). "Fries widerlegte die Vorstellung vom handwerklich ungeschickten, thematisch eingeengten, formal vorsichtigen und bieder erzählenden DDR-Schriftsteller", befand Gabriele Wohmann. Vielleicht gerade wegen der Lobeshymnen aus dem Westen verlor Fries noch im gleichen Jahr seinen Job bei der Akademie.

Bis zur politischen Wende waren - trotz seiner späteren Stasi-Tätigkeit - Fries' Bücher in der DDR nicht erhältlich. Dabei handelten seine besten Romane ("Das Luftschiff" 1974; "Alexanders neue Welten" 1983; "Verlegung eines mittleren Reiches", 1984) ohnehin in einer fernen fremden Welt, in einem durch den Einfluss der spanischen Mutter geprägten leicht exotischen Ambiente.

Große Verdienste erwarb sich Fries als Übersetzer und Nachdichter spanischsprachiger Lyrik, während seine jüngsten literarischen Werke ("Im Jahr des Hahns", 1996; "Septembersong", 1997; und "Der Roncalli-Effekt"; 1999) von der Kritik äußerst zwiespältig aufgenommen wurden. Erst in seinem jüngsten Roman "Hesekiels Maschine oder Gesang der Engel am Magnetberg" (2004) fand Fries wieder zu alter, experimenteller Stärke zurück. Und vielleicht lässt er durch die Hauptfigur Daniel Abesser auch eine späte Einsicht formulieren, wenn von der Flucht aus einem Kulturkreis die Rede ist, "der auf Lüge, Verrat und Betrug aufgebaut war. Der unfähig zu Leid und Trauer war und also unfähig, die eigenen, nie zu vergebenden Taten zu bereuen."

Fritz Rudolf Fries, der seit 1966 im brandenburgischen Petershagen lebt und mit angesehenen Literaturpreisen (Heinrich-Mann-Preis der DDR 1979, Spanischer Orden der Königin Isabella 1987, Hörspielpreis der Kriegsblinden 1996) ausgezeichnet wurde, trat 1996 sowohl aus dem ostdeutschen PEN-Zentrum als auch aus der Akademie aus, weil er vor deren Ehrenrat nicht zu seiner Stasi-Tätigkeit Stellung beziehen wollte.