Der kunstvolle Blick aus der Asphaltperspektive

Hermann Kants Roman "Kino"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hermann Kants neuer Roman macht seinem Titel alle Ehre, denn die Dramaturgie erinnert tatsächlich an einen Kinofilm. So lässt sich der Satz "Hau ab, es ist Kunst" auch doppeldeutig interpretieren. Sein in die Jahre gekommener Ich-Erzähler, der im Herbstregen auf einer Flaniermeile in Kants Geburtsstadt Hamburg in einem Schlafsack auf dem Pflaster kauert, will mit diesen Worten sein eigenes unkonventionelles Verhalten rechtfertigen; dahinter verbirgt sich aber auch der Anspruch des 78-jährigen Autors, der mit seinem Spätwerk nun noch einmal alle künstlerischen Register zieht.

Der Einstieg in die verschrobene Gedankenwelt dieser Figur ist für den Leser mindestens ebenso verblüffend wie dessen Begegnung mit seiner einstigen Jugendfreundin Dorit, die ihn mit der Frage konfrontiert, was er zum Henker da mache.

Hermann Kant, der Altmeister der DDR-Literatur und über viele Jahre Vorsitzender des SED-hörigen Schriftstellerverbands, vermengt humorvoll erzählte Anekdoten über gestrandete Figuren mit den nicht weniger skurrilen Lebensläufen der schwerreichen Boulevard-Flaneure. Dass sein Ich-Erzähler seine "Sinnstudie", wie er seine Beobachtungen nennt, ausgerechnet aus der Bodenperspektive betreiben will, lässt sich durchaus politisch - als Studie von "unten" - interpretieren.

Er beobachtet kleine Scharmützel der Bettler und der fliegenden Händler, die um die besten (sprich: lukrativsten) Plätze rangeln. Mit Argusaugen registriert er auch das unterschiedliche Verhalten der müßiggängerischen Upper Tens.

In diesem flotten und in einer unangestrengten Sprache erzählten Roman schieben sich Bilder übereinander wie beim Film, Sequenzen werden aneinander gereiht, und das Personal wechselt, wie bei einem schnellen Schwenk mit der Kamera.

Mit der gewählten formalen Komposition des bisweilen abrupten Übergangs verwischt Hermann Kant auch die Grenzen zwischen den sozialen Klassen. Schein und Sein verlieren ihre Kontraste und lösen sich im Nebel des geschäftigen Boulevard-Treibens auf.

Der Protagonist hat sich aus der "Augenhöhe" verabschiedet und sich in eine geradezu meditative Kellerloch-Perspektive zurück gezogen. Wer denkt da nicht gleich an Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" und deren grüblerische Hauptfigur? "Nicht stören und nichts spenden" steht auf einem Zettel, den er vor seinem Schlafsack platziert hat. Doch die erbetene Ruhe wird ihm verweigert, weil er erfahren muss, dass Kunst wie das Gewerbe mit einen kommerziellen Charakter gekoppelt sei. In der Behördenkausalität bedeutet dies, dass beide Tätigkeiten, also auch seine "fragwürdige Kunst", der Genehmigung bedürfen. Köstlich, wie Hermann Kant hier den deutschen Amtsschimmel wiehern lässt. Mit "Kino" hat er noch einmal den Beweis geliefert, dass er zu Zeiten des "Eisernen Vorhangs" im Westen zu Unrecht auf den ideologisch vereinnahmten SED-Autor reduziert wurde.

Titelbild

Hermann Kant: Kino.
Aufbau Verlag, Berlin 2005.
203 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3351030363

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch