Schön legitim

Das Berliner Holocaust-Mahnmal versöhnt seine Kritiker

Von Claus LeggewieRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claus Leggewie und Erik MeyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erik Meyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas sei "verlogen", "ein monumentaler Akt der Anbiederung und Anmaßung", erklärte am Tag der Eröffnung der Politologe Peter Reichel in einem ZDF-Online-Interview. Es war nicht zu erwarten, dass die massive Kritik, die die Denkmalsinitiative im Allgemeinen und die nun realisierte Variante im Besonderen erfahren hat, verstummen würde, aber das Fazit vieler Erstbegehungen lautet gleichwohl: Es wird ein Erfolg. Wie ein Denkmal erfolgreich sein kann, ist zwar von heute aus überhaupt nicht zu bestimmen, auffällig ist jedoch, wie rasch sich auch herbe Kritiker mit dem Berliner Mahnmal "versöhnen" (Götz Aly). Das liegt daran, dass die Realisierung Peter Eisenmans überzeugt, ist aber unserer Auffassung nach wesentlich auch der Legitimation durch eine demokratische Entscheidung im Deutschen Bundestag zu verdanken. Die Denkmalsinitiative von 1988 war ein Musterbeispiel bundesdeutscher Vergangenheitsbewältigung, und sie wurde ein Lehrstück von Geschichtspolitik, die ja stets mehr über die Gegenwart als über die Vergangenheit aussagt.

Unser Eindruck ist, dass die Intervention der Politik für die Verwirklichung des Mahnmals notwendig und nützlich war, und auch in diesem Fall gilt die Faustregel, dass das Ergebnis von Politik meist ein anderes ist, als ursprünglich beabsichtigt. Für einen Berufspolitiker sind symbolische Materien heikel, aber im Kern bearbeitet er sie nicht anders als etwa Gesundheitspolitik: Dabei zählt nicht "schön oder hässlich", es zählen Rechtslage und Finanzierbarkeit, und nicht zuletzt der machtpolitische Gegensatz zwischen Regierung und Opposition. Jedes öffentliche Monument ist umstritten, und letztlich muss entweder eine Verwaltung administrieren oder der Souverän entscheiden - über Standorte und Gestaltungsalternativen, über Widmung und Nutzung, notfalls auch über die Sicherheit eines Mahnmals, wenn es, wie dieses, die Zerstörungswut von Nazis auf sich ziehen könnte.

Dieses Procedere war keineswegs selbstverständlich - man erinnere sich nur an Ignatz Bubis Diktum, im Hohen Hause werde das Denkmal wohl endgültig zerredet. Die MdB's, allen voran Peter Conradi, haben sich davon nicht beeindrucken lassen, auch nicht von der Kritik seitens Kunstsachverständiger, die aus heutiger Sicht ziemlich daneben gelegen haben. Die Anmutung des Mahnmals ist weder "monumental" noch "labyrinthisch", wie Modelle der diversen Eisenman-Varianten fast einhellig verdammt wurden. Im Durchgang wirkt es überraschend übersichtlich, im Stadtbild geradezu zierlich. Der New Yorker Architekt hat eine begehbare Skulptur geschaffen, deren "Stelen" durch raffiniert gewählte Neigungswinkel organisch wirken wie ein wogendes Feld, sich aber jeder kitschig-konkreten Symbolisierung verweigern. Der formalen Abstraktion ist keine Vorschrift zu entnehmen, wie des Mordes an Millionen Juden zu gedenken sei, was die meisten Debattenbeiträge ja nahe gelegt hatten - Gedenken soll und kann nicht programmiert oder gar standardisiert werden.

Wer das Denkmal benutzt, ist damit allein. Es bietet keine Hierarchien oder Knotenpunkte für eine Dramaturgie des Durchschreitens, ist aber auch kein Erlebnisraum angemaßter Gefühle. Es ist offen, solange es nicht massiv von Nazis angegriffen wird, was nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln ist. Die exklusive Widmung an die jüdischen Opfer ist ihm nicht anzusehen, und sie beginnt, sich im summarischen Terminus "Holocaust-Mahnmal" aufzuheben. Aber die gelungene Korrespondenz mit dem unterirdischen "Ort der Information", Anziehungs- oder Ausgangspunkt der Begehung am Südostende, verhindert eine völlige Anonymisierung von Anlass und Zweck des Mahnmals. Dort, in den Räumen der Dimensionen, der Familien, der Namen und der Orte, herrschen Personalisierung und Visualisierung vor, als Gegenpole zur geometrischen Rasterung des Denkmals. Auch das ist also anders gekommen: abstraktes Mahnmal, konkrete Information.

Diese Wechselwirkung widerlegt jene, die sich in der Debatte für "Eisenman pur" oder den Vorschlag Richard Schröders stark gemacht hatten, der eine schlichte Inschrift "Morde nicht" in hebräischer Schrift wollte. Die Realisierung des Mahnmals lag nach dem Beschluss des Bundestages in den Händen der Stiftung, die dem "Ort der Information" ein großes, aber kein erdrückendes Gewicht gegeben hat; dass er so klein ausgefallen ist, könnte die Achillesferse des Mahnmals werden. Ansonsten muss man einmal ausdrücklich den politischen Prozess loben, der die vielen an der Mahnmal-Debatte beteiligten "großen Egos" gebändigt und aus sich radikal widersprechenden Expertisen einen moderaten und tragfähigen Kompromiss erreicht hat. Dass die Debatte fürs erste verstummt ist, bedeutet nicht Resignation, sondern Anerkennung der souveränen Selbstbindung im Hohen Hause.

Apropos Offenheit: Es mag ein deutsches Nationaldenkmal entstanden sein, dass den "negativen Gründungsmythos" der Bundesrepublik bekräftigt, wonach Auschwitz sich nicht wiederholen dürfe. Doch rekurriert dieses Mahnmal weniger auf Staatsräson als auf die Urteilskraft einer freien Bürgergesellschaft, die sich durch eventuelle Aufmärsche von Rechtsradikalen und nazistische Schmierereien bitte nicht aus der Ruhe bringen lässt. Die Coolness, die der amerikanische Architekt möglichen "Entweihungen" entgegenbringt, sollte in Deutschland Schule machen. Die Vorstellung, dass das Holocaust-Mahnmal quasi ein in Stein gehauener Schlussstrich sei, wie einige befürchtet oder vielleicht sogar erhofft haben, trifft nicht zu. Das Stelenfeld ist deutungsoffen und hat keine eindeutige Botschaft. Man kann an den Stelen nicht ablesen, was sie uns vermitteln sollen. Der Besucher, der durch dieses Stelenfeld wandern wird, ist letztendlich auf seine eigene Wahrnehmung angewiesen. Vorschläge, was man dort empfinden müsste, zielen ins Leere, weil sich jeder Besucher ein eigenes Bild machen wird. Schon aufgrund der Architektur ist die Rede verfehlt, dass es sich um eine in Stein gehauene Geschichtspolitik oder einen "steinernen Schlussstrich" handele.

Das Mahnmal eignet sich im Übrigen nicht als "Kranzabwurfstelle"; die obligaten Kränze am 8. Mai 2005 wurden an der Neuen Wache deponiert, und ausländische Gäste wird man kaum zu offiziellen Ritualen ans Mahnmal bitten. Das Wort haben stattdessen die "Nutzer" des Mahnmals, denen Bundeskanzler Schröders die flapsige, aber inhaltlich zutreffende Bemerkung auf den Weg gegeben hat, es möge ein Ort werden, an den man gerne geht. Die Deutungsoffenheit des Denkmals verführt aber auch zu Vereinnahmungsversuchen, wie die der Initiatoren Eberhard Jäckel und Lea Rosh, die von Beginn an recht konventionelle Konzeptionen des Totengedenkens verfolgt haben. Jäckel beharrt weiter auf dem Verständnis des Monuments als Kenotaph, als leeres Grabmal. Dieser Auffassung folgend verkündete Rosh bei der Einweihung in einer medienwirksamen Geste, sie wolle den Backenzahn eines unbekannten jüdischen KZ-Opfers in einer der Stelen deponieren. Das diese Geschmacklosigkeit einhellig zurückgewiesen wurde, ist ein weiterer Beleg dafür, wie Geschichtspolitik selbst die Eitelkeit einer "Initiatorin" einhegen kann.

Doch das Holocaust-Mahnmal ist schon lange keine Privatangelegenheit mehr, und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, protestierte zu Recht gegen diesen Voluntarismus. Seine darüber hinausgehende Grundsatzkritik, das Denkmal thematisiere nicht ausreichend den Aspekt der Täterschaft, kann hingegen nur unter Vorbehalt akzeptiert werden: Sollte das Dokumentationszentrum der nahe gelegenen "Topographie des Terrors" jetzt nicht mit aller politischer Entschlossenheit errichtet werden, würde das Ensemble der Berliner NS-Gedenkstätten in der Tat einen blinden Fleck aufweisen.

Bundestag und Bundesregierung sind damit nicht entlassen, was ein zeitgemäßes (und das heißt heute: europäisches, auch die andere totalitäre Erfahrung einbeziehendes) Konzept des Gedenkens angeht. Weiterhin besteht ja die Gefahr, dass anderen Gedenkstätten nicht nur die Aufmerksamkeit der Besucher abgezogen wird, sondern sie mangels finanzieller Grundlagen demnächst herunterkommen und veralten. Verlangt wurde von prominenten Historikern deswegen eine Renovation, an deren Ende ein Masterplan, also eine zentrale museale Gesamtdarstellung des Nationalsozialismus stehen soll. Die Kulturstaatsministerin Christina Weiss hat diesen Vorstoß reserviert zur Kenntnis genommen. Zu viel Zentralisierung würde in der Tat hinter Eisenmans Ansatz zurückfallen, der der Pluralität der Erinnerungskulturen Reverenz erweist.

Vielleicht hilft aber ein Vorschlag weiter, der als Denkmal nicht verwirklicht wurde: das Projekt "Bus Stop" von Renata Stih und Frieder Schnock. Shuttle-Busse könnten Berlin-Besucher zwar nicht wie vorgesehen zu den KZ-Gedenkstätten fahren, zumindest aber zukünftig vom Mahnmal aus zur "Topographie des Terrors" oder ins Haus der Wannseekonferenz bringen. Angemessen wäre auch eine stärkere virtuelle Vernetzung der Gedenkstätten mit Fachinformationen via Internet. Einen ersten Eindruck davon, wie eine solche Integration anmuten könnte, bietet eine interaktive Applikation im Online-Angebot des ZDF zum Holocaust-Mahnmal unter www.heute.de. Die multimediale Präsentation verbindet die Darstellung des Monuments mit historischem Bild- und Tonmaterial sowie Features zum Denkmalssetzungsprozess. Wie bei ähnlichen Angeboten ist jedoch die Tendenz zu konstatieren, den Einsatz des dokumentarischen Materials aus der NS-Zeit recht suggestiv zu inszenieren. Die flexible Architektur des Netzes bietet beste Möglichkeiten zur Information - und zum Nachdenken über ein Menschheitsverbrechen, das immer noch und immer wieder die Frage provoziert, wie es überhaupt geschehen konnte. Dass man angesichts des Mahnmals solche Fragen nach dem Wie und Warum wieder stellen kann, ist auch ein Resultat der Tatsache, dass der Diskurs über Darstellungsfragen nun beendet ist.

Anmerkung der Redaktion: Der Text erschien zuerst in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" Ausgabe 06/2005. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.

Weitere Veröffentlichungen zum Thema:

Claus Leggewie: Am Ende der Sonderwege, in: Daniel Haufler/Stefan Reinecke (Hg.), Die Macht der Erinnerung. Der 8. Mai und wir, Berlin 2005, S. 47-8 (taz-Journal 2005/1)

Claus Leggewie: Ende und Anfang des Leids. Der 9. Mai: Europas gespaltene Erinnerung, in. Süddeutsche Zeitung 7./8. Mai 2005, S. 13


Titelbild

Claus Leggewie / Erik Meyer: Ein Ort, an den man gerne geht. Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
396 Seiten, 23,50 EUR.
ISBN-10: 3446205861

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