Weiterleben nach dem großen Schock
Christoph Heins viel gelobter Roman für Kinder und Erwachsene als Insel-Buch
Von Liliane Studer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMama ist für Ulla, die eigentlich Ursula heißt, der nächste Mensch, ihre liebste Freundin eigentlich, sie liebt sie noch ein bisschen mehr als Papa, was sie ihm aber nicht sagen will, um ihn nicht zu kränken. Zur Familie gehören noch die beiden Söhne Karel und Paul, klug und hilfsbereit. Und selbstverständlich Strolch, der Terrier. Papa ist ein anerkannter Künstler, Bildhauer, die Mutter Regisseurin. "So war alles wunderbar", lässt sich dieses idyllische Familienleben zusammenfassen, bis Mama eines Tages im Sommer plötzlich krank wird und kurz darauf stirbt. Papa und Kinder finden sich ganz allein auf sich gestellt, die Familie scheint ganz zerbrochen, nichts ist mehr wie vorher. Ulla kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie das weitergehen soll, wenn Mama nicht mehr da ist. Und doch, das Leben geht weiter. Langsam tasten sie sich vor, suchen die Nähe der anderen, auch wenn sie mit ihrer Trauer letztlich allein bleiben. Schmerzhaft erfahren sie, dass zwar vieles wie vorher gemacht wird, aber nie mehr so sein wird wie früher. Wenn Papa vorliest, ist es einfach nicht das gleiche wie wenn Mama vorgelesen hat. Auch die Lieblingsgerichte schmecken anders. Der gemeinsame Urlaub schweißt die Familie zusammen, öffnet gleichzeitig neue Perspektiven. Karel verliebt sich, ein neues Mitglied findet Aufnahme in der Familie. Papa verarbeitet Trauer und Schmerz in einer Pietà, sein bisher bestes Werk, das vor dem Dom einer süddeutschen Stadt bewundert wird.
Christoph Hein erzählt diese Geschichte, die 2003 gleichzeitig bei Beltz & Gelberg als Jugendbuch und im Suhrkamp Verlag (Heins Verlag) erschienen ist und nun im Insel Verlag in einer schön gestalteten Leinen-Ausgabe herausgegeben wurde, in einer eindringlichen, jedoch unpathetischen, einfachen Sprache. Sein Blick ruht auf den Details und Eigenheiten, er zeigt mit viel Einfühlung auf, welch großen Schock der Tod der Mutter auslöst und dass eine Rückkehr zur Normalität viel Zeit und auch Mut braucht. Sehr deutlich kommt zum Ausdruck, wie jede Veränderung erstmal Ablehnung bewirkt, Neues mobilisiert Angst. Diese Angst wächst etwa, wenn eine neue Frau in welcher Funktion auch immer auftaucht und sich die Kinder sehr rasch einig sind, dass sie Papa schützen müssen - und vielmehr sich selber schützen wollen, da schon der Gedanke, eine andere könnte den Platz von Mama einnehmen, nicht auszuhalten ist.
Obwohl kaum etwas auszusetzen ist an diesem Text, bleibt ein Nachgeschmack. Fragt man sich doch bei der Lektüre immer wieder, ob denn da gar nie etwas nicht harmonisch verläuft. Der Schmerz, die Trauer scheinen die Familienmitglieder so sehr zusammenzuschweißen, dass nirgends auch nur der Hauch einer Rebellion Platz hat. Papa ist ein Vorzeigevater, der sich intensivst um seine Kinder kümmert und seine Trauer ganz in seine Kunst "verbannt", die Kinder sind vernünftig, liebevoll hilfsbereit zueinander. Nicht jede Familie dürfte mit dem plötzlichen Tod von Mama so vorbildlich umgehen können.
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