Neue Zugänge zum Forschungsfeld weiblicher Gelehrsamkeit

Ein Sammelband geht dem Wissen von Frauen in der Frühen Neuzeit nach

Von Ruth AlbrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ruth Albrecht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage nach Bildungsmöglichkeiten, Wissen und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit hat sich in den letzten Jahren zu einem umfassenden Forschungsfeld etabliert. Untersuchungen zu diesem Thema können mittlerweile auf bereits vorhandene Ergebnisse zurückzugreifen und so das Themengebiet differenzierter ausleuchten. Diese Pfade beschreitet die vorliegende Aufsatzsammlung. Die in diesem Band abgedruckten Beiträge gehen, bis auf eine Ausnahme (Eva Cescutti: Quia non convenit ea lingua foeminis - und warum Charitas Pirckheimer dennoch lateinisch geschrieben hat, Berlin 2003) auf die 2001 in Berlin veranstaltete Tagung über "Wissen - Bildung - Gelehrsamkeit: Gelehrte Frauen in der Frühen Neuzeit?" zurück. Neben der Einführung der beiden Herausgeberinnen enthält das Buch elf Einzelstudien, von denen eine in Englisch abgefasst ist.

Der zeitliche Bogen spannt sich vom Spätmittelalter bis ins beginnende 19. Jahrhundert; neben dem deutschen Sprachraum werden Fallbeispiele aus England, Italien und dem islamisch geprägten Nahen Osten herangezogen. Während einige der Autorinnen Einzelgestalten wie Dorothea Christiana Erxleben, Luise Gottsched, Elisabeth I. von England oder Charitas Pirckheimer herausgreifen, um Aspekte der Bildungsgeschichte von Frauen zu illustrieren, wählen andere den Weg, soziale Institutionen, religiöse Gemeinschaften oder literarische Produkte wie Lexika zu analysieren. Die detaillierten Einzelstudien führen bereits vorhandene Debatten weiter bzw. beleuchten bisher nicht beachtete Sachverhalte. Die Promotion der als Ärztin in Quedlinburg tätigen Dorothea Erxleben (1715-1762) fand in der Vergangenheit mehrfach Aufmerksamkeit; Annette Fulda gelingt es in ihrem Beitrag jedoch, die sozialen Strukturen stärker zu gewichten, die Erxlebens bis dahin außergewöhnlichen Bildungs- und Berufsweg ermöglichten. Die "Frauenzimmer-Lexika" des 17. und 18. Jahrhunderts gehören ebenfalls seit längerem zu den Themengebieten, mit denen die historische Frauenforschung sich beschäftigt. Karin Schmidt-Kohberg präzisiert das Problem des Begriffs weiblicher Gelehrsamkeit, der diesen Sammlungen zugrunde liegt. Katherine R. Goodman versucht mittels einer Neuakzentuierung des Topos der "Gehülfin" die Zusammenarbeit von L. Gottsched (1713-1762) mit ihrem Ehemann Johann Christoph Gottsched (1700-1766) zu erläutern.

In der Einführung wird die Notwendigkeit einer doppelten Perspektive herausgearbeitet, um die Geschichte gelehrter und gebildeter Frauen rekonstruieren zu können. Die Erschließung der sozialen Strukturen mit ihren jeweils sehr unterschiedlichen Mechanismen, die Frauen sowohl förderten als auch behinderten, stellt das Hauptdesiderat zur frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte dar. "Will man sich mit Frauen im Kontext von Bildung und Gelehrsamkeit befassen, muss deshalb", so die Herausgeberinnen, "zuallererst die Frage nach den Möglichkeiten des Wissenserwerbs und der möglichen Funktion von Wissen beachtet werden". Daneben stellen jedoch nach wie vor die Bemühungen um "gut dokumentierte, außergewöhnliche Frauen" einen der Arbeitsansätze dar, der noch keineswegs erschöpft ist und dringend fortgesetzt werden muss.

Dem Beitrag von Monika Mommertz "Geschlecht als 'tracer': Das Konzept der Funktionenteilung als Perspektive für die Arbeit mit Geschlecht als analytischer Kategorie in der frühneuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte" gelingt es aufgrund seines methodischen Instrumentariums, einen Bereich der Wissensgeschichte auszuleuchten, der auf den ersten Blick kaum Material zur geschlechtergeschichtlich arbeitenden Frauenforschung beiträgt. Unter der Fragestellung nach der "Funktionenteilung zwischen dem astronomischen Haushalt der Familie Winkelmann-Kirch und der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert" kann Mommertz aber sowohl Arbeitsstrukturen einer Astronomen-Familie über zwei Generationen verfolgen als auch Strukturprinzipien der Berliner Akademie der Wissenschaften mit ihren Auswirkungen auf Männer und Frauen.

Gisela Metteles Ausführungen zur Herrnhuter Brüdergemeine ("Theologische Gelehrsamkeit versus innere Erfahrung. Narrative Theologie in der Herrnhuter Brüdergemeine des 18. Jahrhunderts"), einer pietistischen Gemeinschaftsgründung des frühen 18. Jahrhunderts, beleuchten die Chancen einer Re-Vision theologischer Denkinhalte und kirchlicher Organisationsstrukturen. In den Gemeinden der Herrnhuter konnten Frauen Leitungsaufgaben wahrnehmen, die allerdings den führenden Männern wie Graf Zinzendorf untergeordnet blieben. Indem Mettele die von den Herrnhuter Männern und Frauen favorisierte Theologie als narrativ bezeichnet, plädiert sie für eine Ausweitung des Theologiebegriffs, der seinen Ausdruck in Textgattungen wie Gebeten, Liedern, Gedichten und Lebensläufen findet. Diese von den Mitgliedern der Herrnhuter Brüdergemeine gemeinsam gestaltete Theologie bezog ihre Plausibilität aus den individuellen Glaubenserfahrungen. Wenn dieser "Wissenstyp" als Form der theologischen Traditionsbildung in unser Wissen über das Zustandekommen überlieferungsgeschichtlicher Vorgänge einbezogen wird, dann ergeben sich daraus auch Einsichten in die Beiträge anderer nicht-privilegierter Männer und Frauen zur Formulierung von Theologie in der Frühen Neuzeit.

Der gewählte Titel "Nonne, Königin und Kurtisane" dieses Buches fokussiert die herausragenden Frauengestalten, die in exponierter Weise Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit erwerben konnten und über Möglichkeiten verfügten, ihren Kenntnissen Ausdruck zu geben. Dieser Ausschnitt stellt jedoch nur einen Aspekt der enthaltenen Aufsätze innerhalb der vielfältigen Zugänge zum Thema dar, die methodische und inhaltliche Breite der interdisziplinären Zugänge wird damit nicht erfasst. Daher ist es etwas bedauerlich, dass diese Formulierung die Aufmerksamkeit der Leser und Leserinnen in eine Richtung lenkt, die das anspruchsvolle Niveau dieses Sammelbandes nicht in adäquater Weise wiedergibt.

Titelbild

Michaela von Hohkamp / Gabriele Jancke (Hg.): Nonne, Königin und Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2004.
248 Seiten, 26,95 EUR.
ISBN-10: 3897411458

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