Der Buddha und der Philosoph

Hansjörg Pfister schreibt über die Grundlagen des Buddhismus und seine Zusammenhänge mit der kantischen Philosophie

Von Rainer ZuchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Zuch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch hat sich viel vorgenommen. Es will eine allgemein verständliche Einführung in den Buddhismus und zugleich eine philosophische Grundlegung sein, die sogar Neuland betritt. Ersteres ist im Zeitalter der Einführungen, Gesamtdarstellungen und Schnellkurse sowie eines allgemein gestiegenen Interesses an Religion und Mythologie nicht neu. Das weiß auch der Autor, und deshalb nimmt er als Rechtfertigung für eine weitere Einführung in den Buddhismus einen philosophischen Ansatz und zieht Vergleiche mit Denksystemen der europäischen Philosophiegeschichte. Buddhismus und Philosophie einerseits und ein populärwissenschaftlicher Anspruch andererseits - kann das gut gehen?

Damit ist nicht die ausgeleierte Behauptung gemeint, dass es Themen gebe, die für eine allgemein verständliche Darstellung zu kompliziert seien. Dies ist nur zu oft eine Ausrede, um die Unfähigkeit oder den Unwillen zu verschleiern, sich auf ein solches Unternehmen einzulassen. Aber es gibt Gebiete, die für Einführungen ziemlich hohe Anforderungen stellen, weil sie tatsächlich sehr komplex sind und sich nur schwer zu einer knappen Darstellung verdichten lassen. Philosophie und Buddhismus gehören dazu, obwohl es bei Letzterem vielleicht auf Anhieb gar nicht so sehr ins Auge fällt. Hier hat der zur Zeit des allgemeinen Esoterik-Booms verbreitete Häppchenbuddhismus viel Schaden angerichtet.

Der Aufbau des Buches überzeugt. Pfister beginnt mit einem biografischen Abriß Siddhattha Gotamas, des historischen Buddha, der jedoch leider extrem knapp ausfällt. Anschließend stellt er die brahmanische Vedanta-Philosophie als das geistige Umfeld dar, die der Buddha vorfand und mit dem er sich auseinander setzte. Das ist sinnvoll, da es die Gelegenheit gibt, herauszuarbeiten, was der Buddha von den Veden übernahm und wo er sich von ihnen abgrenzte.

Den größten Teil nimmt die Darstellung der Grundelemente des Buddhismus ein, wobei Pfister seine Vergleiche mit europäischen Traditionen einflicht. Hier wird es spannend. Pfister beginnt mit Buddhas Lehrern und seinem Erleuchtungs-Erlebnis. Dann geht er zur Diskussion des Konditionalnexus über, der einen Kern des buddhistischen Welt- und Seinsverständnisses darstellt. Er fragt nach dem Stellenwert des Buddhismus als Philosophie oder Religion und widmet sich anschließend verschiedenen zentralen Vorstellungen der Lehre: den verschiedenen Arten des Wissens, dem buddhistischen Leibverständnis, der Wiedergeburtslehre, der Lehre vom Nicht-Sein (Anatta), der Lehre vom Leiden, den "vier edlen Wahrheiten", dem "achtfachen Pfad" und dem Karmabegriff. Dabei zitiert er ausführlich buddhistische Lehrtexte, um sie anschließend zu erläutern. Gelegentlich findet er eindrückliche und gelungene Bilder, um komplizierte Sachverhalte darzustellen.

Dennoch ist Pfister kein besonders guter Stilist. Er pendelt manchmal unentschlossen zwischen einer wissenschaftlichen Sprache und umgangssprachlichen Wendungen hin und her. Auch irritieren seine häufigen Verweise auf spätere Kapitel und die Art, wie er Anmerkungen setzt; dass er mit ihnen sparsam umgeht, ist wiederum einer Einführung angemessen. Kritik verdient allerdings auch die Bibliografie: Sie ist formal uneinheitlich und wirkt wie im heimischen Bücherschrank zusammengesucht.

Mit dem Vergleich des Buddhismus und der europäischen Philosophie betritt Pfister ein bekanntes und nicht ganz ungefährliches Feld. Er zieht hauptsächlich deutsche Philosophen heran. Auf einer Ebene, die er allerdings nicht reflektiert, ist das durchaus schlüssig, denn die Rezeption indischer Philosophie und Religion wurde seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert vor allem in Deutschland gepflegt. Außer Romantikern wie den Brüdern Schlegel oder Novalis waren es vor allem Kant, Hegel und Schopenhauer, die die Rezeption "indischer Philosophie" in der westlichen Philosophie beförderten. Von diesen Geistesgrößen ist Kant Pfisters wichtigster Gewährsmann, weil er eine Nähe des Buddhismus zum transzendentalen Idealismus aufzuzeigen versucht.

Damit beginnen allerdings auch die Probleme. Die westliche Rezeption geht von ganz anderen Grundlagen des Denkens aus als die indische Philosophie, so dass sie von Anfang an mit einigen fundamentalen Irrtümern behaftet ist. Das betrifft vor allem das Konzept des "Nichts" und die Vorstellung von der Vergänglichkeit allen Seins, dem ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens. Der Fehlschluss, dem selbst Schopenhauer unterlag, bestand in der geschichtlichen und damit zeitlichen Einbindung dieser Konzepte: das Nichts sei wie etwa das "Jüngste Gericht" ein Endziel aller Existenz; die Kreisläufe des Werdens und Vergehens beschrieben historische Zyklen - Letzteres brachte es zu einem beliebten Topos im Geschichtspessimismus der konservativen Revolution. Damit werden buddhistische Konzepte mit einer kausalen Struktur versehen und ihnen eine historisch definierte Aufeinanderfolge unterstellt, die sie gar nicht beinhalten.

Womit wir wieder bei Pfister wären. Der hat dieses Problem nämlich erkannt und nimmt für sich in Anspruch, erstmals nachgewiesen zu haben, dass ein Grundprinzip der buddhistischen Lehre, der Konditionalnexus, gar nicht als kausal und historisch gefasst werden kann. Der Konditionalnexus oder das "Entstehen in Abhängigkeit" beschreibt über eine zwölfteilige Kette von Bedingungen, wie das "Nichtwissen" das Leiden bedingt. Die Elemente sind dabei nicht durch Ursache-Wirkungs-Beziehungen miteinander verknüpft, in denen die Ursache der Wirkung zeitlich vorausgeht, sondern die vorgeordneten Elemente sind definiert als Bedingungen der Möglichkeit der nachgeordneten. Wenn im Buddhismus etwa die Geburt als Vorbedingung des Todes oder das Sein als Voraussetzung des Leidens gilt, so bedeutet das eine Element der Beziehung die Bedingung der Möglichkeit des anderen, aber nicht dessen Ursache im Sinne einer Kausalbeziehung.

Pfister argumentiert schlüssig und einsichtig. Wenn er jedoch für den Buddhismus Entsprechungen in der westlichen Philosophie finden will und eine besondere Nähe zum kantischen transzendentalen Idealismus ausmacht, betritt er jene Straße der europäischen Rezeption, die mit Irrtümern gepflastert ist. Wie er selbst einräumt, besteht ein grundlegender Unterschied darin, dass der transzendentale Idealismus von der Existenz metaphysischer Entitäten ausgeht (etwa Kants "Ding an sich"), deren Erkenntnis durch die Begrenztheit des menschlichen Geistes beschränkt werde, während der Buddhismus gar keine Transzendenz kennt - gerade dies unterscheidet ihn ja von der altindischen Vedanta-Philosophie und generell von religiösen Systemen, obgleich es durchaus weitreichende Ähnlichkeiten gibt. Deshalb ist auch Pfisters Beurteilung des Buddhismus als Religion fragwürdig, denn abgesehen davon, dass er weder Gott noch Götter kennt, gibt es auch keine Lehrsätze, die zwingend als zu glaubende Verheißung aufzufassen sind. Pfisters Begründung, dass etwa an die Möglichkeit der Erlangung vollkommener Einsicht und vollkommenen Wissens geglaubt werden könne oder auch nicht, reicht als Begründung nicht aus.

Pfisters Vergleich des Buddhismus mit der westlichen Philosophie ist somit ein wenig unbefriedigend, zumal er die Besonderheiten der westlichen Buddhismusrezeption nicht genügend beachtet. Auch gehen seine Vereinfachungen und Gleichsetzungen manchmal zu weit, vielleicht weil er den Charakter einer Einführung bewahren wollte. Der Spagat zwischen Einführung und wissenschaftlichem Beitrag erscheint nicht ganz geglückt. Von diesen Einschränkungen abgesehen, kann man das Buch aber mit Gewinn lesen.

Titelbild

Hansjörg Pfister: Philosophische Einführung in den frühen Buddhismus.
Verlag Reith und Pfister, Bötzingen 2004.
132 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3980562999

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