Bravo, Frau Hirsi Ali!

Die Drehbuch-Autorin von "Submission" hält ein flammendes Plädoyer für die Befreiung muslimischer Frauen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Glaube, in dem sie erzogen wurde, lehrte sie, "Ungläubige" seien "asozial, unrein, barbarisch, nicht beschnitten, unmoralisch, gewissenlos und vor allem obszön"; sie hätten keine Achtung vor Frauen; ihre Mädchen und Frauen seien "Huren" und ihre Männer homosexuell, außerdem hätten sie Sex, ohne miteinander verheiratet zu sein. Kurz: Die Ungläubigen seien verflucht und Gott werde sie im Jenseits bestrafen. Dennoch hat sie später erkannt, dass Gott eine "Fiktion" ist. Offenbar, so mutmaßt sie inzwischen, sei sie "von Natur aus atheistisch", nur habe es ein bisschen gedauert, bis sie ihre Überzeugung "irgendwo schwarz auf weiß wiederfinden konnte". Da sie eine Atheistin geworden sei, fürchtet sie nun, werde sie früher oder später "[i]rgendein Religionsfanatiker" töten wollen, "weil er glaubt, durch den Mord an mir in den Himmel zu kommen".

Das Jahr 2003 war gerade angebrochen, als Ayaan Hirsi Ali diese düstere Voraussage wagte. Nur anderthalb Jahre später sollte sie sich auf schreckliche Weise bestätigt sehen. Nur, dass an ihrer statt Theo van Gogh sterben musste. Denn da sie für den Mörder unerreichbar blieb, streckte er den Regisseur des harmlosen islamkritischen Videokunstfilmes "Submission", für den Ali Hirsi das Drehbuch geschrieben hatte, mit mehreren Schüssen auf offener Straße nieder und rammte ihm ein Messer in den Leib, an dem ein Brief befestigt war. Darin erklärte der Täter der somalischstämmigen Holländerin, dass der Mord eigentlich ihr gegolten habe. Nach dieser mit einem bestialischen Mord bekräftigten Morddrohung musste Hirsi Ali für einige Zeit in den USA untertauchen. Nach ihrer Rückkehr wurde der Personenschutz, unter dem sie bereits vor dem Verbrechen gestanden hatte, weiter verstärkt.

Dieselben Muslime, die sich darüber erregen, dass in dem Film "Submission" Schauspielerinnen Koranverse auf den Körper geschrieben werden, nehmen seit Jahrhunderten, "die 'konkrete Übertragung' dieser Texte auf die Körper der Frauen in der Praxis" ruhig hin, wie Hirsi Ali zu Recht betont, nämliche "die Peitschenschläge auf den Körpern 'unsittlicher' Frauen, die Vergewaltigung in der Ehe und die Verstoßung oder gar Ermordung von Mädchen und Frauen, die Inzestopfer wurden, um die 'Ehre' der Familie wiederherzustellen".

Ein dreiviertel Jahr nach dem Mord an van Gogh liegt nun die deutsche Übersetzung eines Sammelbandes mit Texten vor, die Hirsi Ali zwischen dem 9. 11. 2001 und dem Mord an ihrem Freund verfasst hat. Zuvor waren bereits Übersetzungen in verschiedenen anderen europäischen Ländern erschienen, die ebenso reißenden Absatz fanden wie die holländische Originalausgabe. Auch in Deutschland steht das Buch schon wenige Wochen nach Erscheinen an der Spitze der Spiegel-Bestseller-Liste für Sachbücher. Zu Recht: Jeder einzelne der Texte lohnt den Kauf des Buches. Für Atheisten ebenso wie für islamkritische Christen, weit mehr noch für Kulturrelativisten und Multikultis, am meisten jedoch für - nicht nur europäische - Moslems (die allerdings, wie man wohl annehmen muss, kaum zu dem Buch greifen werden) und hier insbesondere für muslimische Frauen. Gerade ihnen kann der vielleicht wichtigste Text des Bandes von großem Nutzen sein: "Zehn Tips für Muslimas, die weglaufen wollen". Insbesondere wegen dieser Ratschläge ist es ein besonderes Verdienst des Piper Verlags, neben der deutschen Übersetzung auch eine türkische unter dem Titel "Itham Ediyorum. Müslüman Kadinlara Baski Bitsin." herausgebracht zu haben.

Hirsi Alis Anklage enthält flammende Plädoyers gegen den fundamentalistischen Islam und für die Befreiung der muslimischen Frau, eher trockene politische Analysen, besonnene Urteile über die Vor- und Nachteile religiösen Glaubens und sehr emotionale persönliche Berichte ihres Leidensweges als Muslima. Bei alledem redet sie auch schon mal Klartext, wie es kaum einer der westlichen Politiker oder Intellektuellen bei diesem heißen Eisen wagt.

So radikal im besten Sinne des Wortes Hirsi Alis Islamkritik auch ist, so zögert sie doch nicht, die positiven Seiten dieser "einstmals friedliche[n], starke[n] und stabile[n] Religion" hervorzuheben, wie etwa deren Tradition der Gastfreundschaft oder der Mildtätigkeit. Doch hiernach rechnet sie umso gründlicher mit einer Religion ab, die sich selbst zum "Eichmaß der Moral", und zur "Richtschnur für das Leben" erklärt. Sie zeichnet einen wahrhaft tyrannischen Gott, der von seinen Gläubigen "völlige Hingabe" fordert und sie nur belohnt, wenn sie seine Gebote "bis in die kleinsten Einzelheiten" befolgen, während er "grausam" straft, "wenn man seine Gebote übertritt, auf der Erde mit Krankheit und Naturkatastrophen, im Jenseits mit dem Höllenfeuer". Der "größte Makel des Islam" jedoch ist Hirsi Ali zufolge "die Art und Weise, wie dort Frauen gesehen und behandelt werden".

Ihre Kritik am Islam zielt nicht auf eine "Ablehnung der Gläubigen", sondern meint alleine die "Rückständigkeit" der "islamischen Gedankenwelt", die praktisch umgesetzt "unmenschliche Konsequenzen" habe. Zweifellos trifft es zu, dass die islamische Ideologie seit Mohameds Zeiten unverändert geblieben ist, dennoch wird man den Begriff der Rückständigkeit als ein Terminus einer der ad acta gelegten großen Metaerzählungen nicht unbedingt übernehmen wollen, und auch Hirsi Ali hat inzwischen von dem Begriff Abstand genommen, wenngleich aus anderen Gründen. Auf ihn zu rekurrieren ist allerdings auch gar nicht notwendig, denn antiaufklärerisch, entmündigend und unterdrückend ist die islamische Ideologie auch so. Und das ist allemal kritikwürdig genug.

Zwar sei, führt Hirsi Ali aus, die "arabische Kultur" - die sie nicht immer scharf von derjenigen des Islam unterscheidet - "im Vergleich zum Westen in vielerlei Hinsicht rückständig", das hieße jedoch nicht, dass sie nicht fähig sei, sich zu reformieren. Vielmehr bestehe "Aussicht auf Verbesserungen". Was die muslimische Religion hierzu allerdings dringend brauche, sei eine "Epoche der Aufklärung", in der die Gläubigen ihre Religion "von innen her und mit Hilfe von außen kritisieren und reformieren", in der sie "Selbstkritik üben und die auf den Koran zurückgehenden moralischen Werte überprüfen".

War für Kant Aufklärung der Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit, so kann zumindest bei Musliminnen keine Rede davon sein, dass ihre Unmündigkeit selbstverschuldet sei. Die Schuldigen sind in diesem Fall anderswo zu suchen und klar zu benennen: Es sind die Imame, die in den Moscheen eine (Sexual-)Moral predigen, die auf Mohameds Frauenbild fußt, das von Hirsi Ali mit ebenso guten Gründen wie mit beißendem Spott kritisiert wird. Denn was Frauen betraf, so bekam der Religionsstifter immer wieder Botschaften von Allah vermittelt, "die ihm gut zupaß kamen". Etwa als er die 9-jährige Tochter eines Freundes heiraten wollte, was dieser jedoch mit der Bitte ablehnte, Mohamed möge noch ein wenig warten, bis das Kind etwas älter sei. "Also was geschieht?" fragt Hirsi Ali rhetorisch, Mohamed bekommt von seinem Gott die Botschaft, dass sich das Mädchen zur Heirat bereit machen soll. "Mit unseren westlichen Maßstäben gemessen", erklärt die Autorin lapidar, "ist Mohamed ein perverser Mann. Ein Tyrann." Als Individuum sei er zudem "verachtenswert" und erinnere an die "größenwahnsinnigen Machthaber im Nahen Osten: Bin Laden, Khomeini, Saddam".

Zwar gebe es zahlreiche Ursachen für die islamisch-arabische Crux, zentral sei jedoch die auf ihn zurückgehende "Dominanz einer Sexualmoral im Islam, die sich von den Werten arabischer Stämme aus den Zeiten ableitet, als der Prophet von Allah dessen Botschaften empfangen hat: eine Kultur, in der Frauen Besitz waren, Besitz der Väter, Brüder, Onkel, Großväter, des Vormunds". In dieser Kultur werde die Frau auf ihr Jungfernhäutchen reduziert. Diese "obsessive Fixierung" der Muslime auf das Hymen wurde in den letzten Jahren von immer mehr Musliminnen an den Pranger gestellt. (vgl. literaturkritik.de 11/2002 und literaturkritik.de 10/2003)

Eine Gemeinschaft, die sich an die sexualmoralischen Vorschriften Mohameds und des Korans hält, schreibt Hirsi Ali weiter, entwickelt sich "unausweichlich" zu einer "pathologischen Gemeinschaft". Gelten ihr Männer doch als "verantwortungslose, gefährliche Tiere, die beim Anblick einer Frau sofort jede Selbstbeherrschung verlieren". Der muslimischen Ideologie gemäß ist dies allerdings kein Grund, die Männer in ihrer Freiheit einzuschränken. Nein, es sind die Frauen, die unter Kopftücher, hinter Tschadors und in die Häuser gezwungen werden. Hirsi Ali zufolge, und dem mag wohl so sein, ist es "nirgendwo auf der Welt" um die Position der Frauen "so schlecht bestellt" wie in der islamischen Kultur, die sie zweifellos zu Recht der "geschlechtliche[n] Apartheid" bezichtigt, in der den Frauen gegenüber "grausame und schreckliche Praktiken aufrechterhalten" werden. Allerdings schert die Autorin durchaus nicht alle muslimischen Männer über einen Kamm, sondern hebt hervor, dass sich ungeachtet und entgegen der frauenfeindlichen Kultur, in der sie aufwachsen, nicht alle gegenüber Frauen respektlos und gewalttätig verhalten. Zudem machten die Fixierung auf das Jungfernhäutchen, die Unterdrückung der Frauen und die "unverhältnismäßig starken Betonung von 'Männlichkeit'" auch Männer zu "indirekt[en]" Opfern, die aufgrund der muslimischen Erziehung und der Geschlechterapartheid kaum Gelegenheiten finden können, "die für ein harmonisches Familienleben erforderliche Kommunikationsfähigkeit zu erlernen".

Einer der Aufsätze des Buches widmet sich ganz einer besonders grausamen kulturellen Praxis in islamischen Gesellschaften, die - und das weiß und betont natürlich auch Hirsi Ali - allerdings nicht genuin islamisch ist: die Genitalverstümmelung junger Frauen und Mädchen, die laut einem Bericht von Amnesty International aus dem Jahre 2002 100 bis 140 Millionen Frauen erlitten haben, und die von Hirsi Ali als die weltweit "am meisten unterschätzte Verletzung der Menschenrechte und der Rechte der Frau zugleich" beklagt wird. Doch lässt sie es nicht bei der bloßen Klage. Vielmehr unterbreitet sie auch einen praktischen Vorschlag, um zu vermeiden, dass "Mädchen aus sogenannten Risikoländern" in den europäischen Ländern weiterhin verstümmelt werden. Würden sie einmal jährlich auf eine Beschneidung hin untersucht, lautet einer ihrer Vorschläge, so sei es möglich, die Gefahr dieser "vorsätzliche[n] schwere[n] Körperverletzung" zu verringern.

Ebenso hart wie mit den sexistischen Praktiken ihrer ehemaligen Glaubensgenossen geht Hirsi Ali mit der Haltung einiger westlicher Politiker und Intellektueller ins Gericht. So moniert sie etwa, dass Bush und Blair "verkünden, der Islam sei von einer terroristischen Minderheit als Geisel genommen worden". Vielmehr, so Hirsi Ali, habe der Islam "sich selbst zur Geisel genommen". Daher wäre es hilfreicher, wenn die beiden Politiker Saudi-Arabien dafür kritisierten, dass sein "repressive[s] Regime, der demographische Druck und das einseitig religiös ausgerichtete Bildungssystem" Extremisten produzieren.

Ihre eigentliche Kritik an westlichen Politikern und Intellektuellen jedoch gilt den "Liberalen (in manchen Ländern als 'links' bezeichnet)". Zwar seien sie es gewesen, bekennt die Autorin, die ihr kritisches Denken initiiert haben. Doch litten sie an der "merkwürdige[n] Neigung, sich selbst die Schuld zu geben und den Rest der Welt als Opfer zu betrachten", sodass sich ihre berechtigte Kritik auf den Westen beschränke, während sie vor Menschen- und Frauenrechtsverletzungen in der islamischen Welt die Augen verschlössen. Wie sehr diese Kritik zutrifft, wird daran deutlich, dass einige holländische Politiker nach dem Mord an van Gogh nichts eiligeres zu tun hatten, als die strafrechtliche Verfolgung von Blasphemie und Gotteslästerung zu fordern. Kulturrelativisten, führt Hirsi Ali weiter aus, sähen nicht, dass sie die "Rückständigkeit" islamischer Kulturen "einzementieren", wenn sie sie "skrupulös" mit Kritik verschonten. Eine Haltung, die sie als "Rassismus in Reinform" geißelt, denn eigentlich fühlten sich diese westlichen Kulturrelativisten überlegen und nähmen Muslime nicht als "ebenbürtige Gesprächspartner" ernst, sondern betrachteten sie als "die 'anderen', die geschont werden müssen". Man dürfe sich auch nicht dazu verführen lassen, "die 'gekränkten' Muslime" in Schutz zu nehmen, denn "[s]olange Muslime hier nicht den Ton angeben, werden sie sich permanent verletzt fühlen". Zudem läge es ebenso im Interesse der islamischen wie der westlichen Welt, "eine "blühende Kultur der Kritik" unter den Muslimen wo immer möglich zu fördern und zu unterstützen.

Statt multikulturalistisch verbrämte Gleichgültigkeit zu leben, gilt es der Autorin zufolge, "alle Sozialisationskanäle" von der Familie über die Schule bis hin zu den Medien einzusetzen, damit die muslimischen Frauen selbstständig und finanziell unabhängig werden. Und sie zeigt sich optimistisch: "Die dritte feministische Welle ist nur noch eine Frage der Zeit. Ich kann es kaum erwarten. Emanzipation heißt Kampf". Wie man weiß, zögert Hirsi Ali nicht, diesen Kampf aufzunehmen und ihn zu führen, auch wenn sie eigentlich "am liebsten" irgendwann Philosophin werden möchte. Es wäre ihr von ganzem Herzen zu gönnen. Doch so wie die Dinge stehen, wird bis dahin für uns alle noch viel, sehr viel zu tun sein.

Titelbild

Ayaan Hirsi Ali: Ich klage an. Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Anna Berger und Jonathan Krämer.
Piper Verlag, München 2005.
213 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3492047939

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Titelbild

Ayaan Hirsi Ali: Itham Ediyorum. Müslüman Kadinlara Baski Bitsin.
Piper Verlag, München 2005.
190 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3492048366

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