Der Dichter und der Kritiker

Erdmut Wizislas informative Darstellung der Freundschaft zwischen Bertolt Brecht und Walter Benjamin

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es wird Dich interessieren," schrieb Benjamin im Juni 1929 seinem Freund Scholem, "daß sich in der letzten Zeit sehr freundschaftliche Beziehungen zwischen Bert Brecht und mir herausgebildet haben, weniger auf dem beruhend, was er gemacht hat und wovon ich nur die ,Dreigroschenoper' und die Balladen kenne als auf dem begründeten Interesse, das man für seine gegenwärtigen Pläne haben muß". Was Benjamin einmal eine "Konstellation" nannte, bewertete Hannah Arendt: "Die Freundschaft Benjamin-Brecht ist einzigartig, weil in ihr der größte lebende deutsche Dichter mit dem bedeutendsten Kritiker der Zeit zusammentraf."

Das sahen zwei andere enge Freunde Benjamins anders. Gershom Scholem und Theodor W. Adorno befürchteten einen negativen Einfluss Brechts auf Benjamin. Scholem sah Benjamin durch Brecht auf einem Weg in die Sackgasse eines eindimensionalen dialektischen Materialismus. Adorno hingegen sah eben diesen Weg behindert, weil er befürchtete, durch Brechts Einfluss könne Benjamins Denken trivialisiert werden. Bei beiden mochte wohl auch ein gewisses eifersüchtiges Konkurrenzdenken eine Rolle spielen ... Erstaunlich aber allemal, wie rücksichtslos fürsorgend beide Benjamins eigene Motive missachteten. Benjamin galt als der sensible, lebensuntaugliche Intellektuelle - und der traf nun ausgerechnet auf den bekannt lebensausbeuterischen Bertolt Brecht ...

Sporadische Begegnungen der beiden hatte es bereits zu Beginn der 20er Jahre gegeben, doch erst seit 1929 intensivierte sich der Kontakt. 1933, nach Brechts Emigration nach Dänemark und Benjamins Flucht nach Paris, wurde der Kontakt zwangsläufig seltener, aber intensiver, vor allem dann, wenn Benjamin zu Brecht nach Dänemark reiste: "In den Jahren 1933 bis 1940 haben Benjamin und Brecht - vor allem durch die ausgedehnten Sommeraufenthalte Benjamins in Dänemark - insgesamt gut 11 Monate in unmittelbarer Nähe zueinander gewohnt und gearbeitet."

Benjamin interessierte an Brecht vor allem der gesellschaftlich-politische Bezug seines Schreibens. Es ging ihm um die Reflexion der Bedingungen kultureller Produktion. In Brechts Versuchen, mit seinen Stücken ,Wirkung' zu erzielen, sah er ein gelungenes Beispiel für die eingeforderte engagierte Literatur.

Brecht seinerseits hatte ein zuallererst praktisches Interesse an Benjamin. "Brecht sah in Benjamin vor allem einen Fürsprecher, den Kritiker, der ihn strategisch unterstützte, und er schätzte den Gesprächspartner, dessen Kenntnisse und Urteile ihm nützten." - und die sich zuweilen auch direkt ,verwerten' ließen, wie etwa in einigen "Keuner"-Geschichten. Benjamins Texte freilich blieben ihm immer dann fremd, wenn sie, wie der Baudelaire-Aufsatz oder die Kafka-Abhandlung, in jene Bereiche des Denkens vorstießen, die für Brecht ",nicht zu assimilieren'" waren. Mit stiller Genugtuung konnte aus der Ferne Scholem notieren: "Brecht störte das theologische Element an Benjamin sehr."

Ein besonderes gemeinschaftliches Projekt sollte die Zeitschrift "Krise und Kritik" werden. Die programmatischen Ziele hatte Benjamin formuliert: "Sie hat politischen Charakter. [...] Sie steht auf dem Boden des Klassenkampfes. Dabei hat die Zeitschrift jedoch keinen parteipolitischen Charakter." Und weiter: Die Zeitschrift wird "die bisher leere Stelle eines Organs einnehmen, in dem die bürgerliche Intelligenz sich Rechenschaft von den Forderungen und Einsichten gibt, die einzig und allein ihr unter den heutigen Umständen eine eingreifende, von Folgen begleitete Produktion im Gegensatz zu der üblichen willkürlichen und folgenlosen gestatten." Doch das Projekt scheiterte an der "Uneinigkeit linker Intellektueller" bevor es begonnen hatte. Schon während der Vorbereitung der ersten Nummer im April 1931 kriselte es im Herausgeberkreis. Benjamin beklagte, dass keiner der geplanten Beiträge den vereinbarten Grundsätzen gerecht würde. Seine Mitherausgeberschaft, schrieb er Brecht, wäre unter diesen Umständen kaum mehr als "die Unterzeichnung eines Aufrufs." Konsequenterweise zog er sich aus dem Projekt zurück, das wenige Wochen später endgültig aufgegeben wurde.

Benjamin schrieb insgesamt elf Arbeiten, "die sich ausschließlich oder wesentlich mit Brecht befassen". Beispielhaft für die Inhalte, aber auch für die Vermittlungsprobleme der Propagierung und Anwendung des dialektischen Materialismus auf "Fragen, die die bürgerliche Intelligenz als ihre eigensten anzuerkennen genötigt ist", ist seine Besprechung des "Dreigroschenromans". Sie sollte ursprünglich in Klaus Manns Exilzeitung "Die Sammlung" erscheinen. Doch dieser lehnte den Beitrag ab: "Ungemein ärgerlich," notierte er im Tagebuch, "bei aller Gescheitheit. Der verbissenste Materialismus auf die Literatur angewandt immer peinlich. Praktisch: Bert Brecht, der Einzige, der übrig bleibt; alles andere reaktionär." Heinrich Mann erkannte eine "kleinmütige Geistesart", die dem Wesen der eigenständigen "schöpferischen Leistung" niemals gerecht werden kann. So blieb haften: simple Parteigefolgschaft - oder im speziellen Fall: Brechtgefolgschaft.

Im Sommer 1938 trafen sich Brecht und Benjamin letztmals in Dänemark. Brecht ging bald darauf über Schweden und die Sowjetunion in die Vereinigten Staaten, während Benjamins existenzielle Lage in Frankreich immer bedrohlicher wurde. Im September 1940 nahm er auf der Flucht vor den Nazihäschern in Port Bou an der französisch-spanischen Grenze eine tödliche Dosis Morphium. Zum Tod des Freundes schrieb Brecht mehrere Gedichte.

Erdmut Wizisla, Leiter des Bertolt-Brecht-Archivs der Stiftung Archiv der Akademie, klärt umfangreich auf über die "Geschichte einer Freundschaft". Eine ausführliche Chronik und ein umfangreicher Dokumentenanhang zum Zeitschriftenprojekt "Krise und Kritik" vervollständigen dieses informative Suhrkamp-Taschenbuch.

Titelbild

Erdmut Wizisla: Benjamin und Brecht. Die Geschichte einer Freundschaft.
Mit einer Chronik und den Gesprächsprotokollen des Zeitschriftenprojekts "Krise und Kritik".
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
396 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3518399543

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch