Gegen die Resignation

Jorge Bucay therapiert mit Geschichten

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der schweizerische Schriftsteller Adolf Muschg hielt in Frankfurt einst Poetik-Vorlesungen unter der Fragestellung "Literatur als Therapie?" "Meine Analyse", resümierte Muschg vor einem Vierteljahrhundert, "war ein Spiel mit vertauschten Rollen, das nicht der Komik entbehrte."

Der argentinische Gestalttherapeut und Psychiater Jorge Bucay (Jahrgang 1949) beschreitet mit "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", 1999 in Argentinien erschienen, den umgekehrten Weg. Der Band, vom Verlag zu Recht nicht mit einer Gattungsbezeichnung versehen, besteht aus 50 kleinen Geschichten samt einem Epilog. Sie werden Demian, einem liebenswürdig-hypochondrischen 'Großstadtneurotiker', der meint, eine Analyse helfe ihm aus seinen alltäglichen Schwierigkeiten, vom Psychiater Jorge erzählt. Der "Dicke", wie der Protagonist ihn nennt, ist Gestalttherapeut und arbeitet in seinen Sitzungen mit Aperçus, Anekdoten, Fabeln, Parabeln, Märchen und Gleichnissen. Jorge hat auf fast jede Stimmungs- und Lebenslage seines Patienten Demian eine passende Geschichte auf Lager. Ihm geht es darum, Demian anzuleiten, seine Stärken und Schwächen, seine Gegenwart zu akzeptieren, ohne dabei zu resignieren.

Humoristisch und im locker-leichten Plauderton nimmt der Autor auch die eigene Gestalttherapie auf die Schippe - das macht den literarischen Psychoratgeber Bucay wieder sympathisch. Denn er lässt Demian anhand eines "Hosenscheißers" den Unterschied der Therapie-Schulen erklären. Die Psychoanalyse lenke den Blick auf das Verstehen der Vergangenheit, so dass der "Hosenscheißer" die Wurzelns eines Übels kenne. Die behavioristische Richtung lenke den Blick auf die Zukunft, weshalb der Patient dann Gummihosen trage, während die Gestalttherapie den Blick in die Gegenwart richte: die Symptome sind nicht verschwunden, aber sie sind dem Patienten egal.

Das alles ist recht gefällig erzählt und entbehrt - ähnlich wie bei Muschg - oft nicht der Komik. Am Ende bleibt die umgekehrte Frage aber leider unbeantwortet: Therapie als Literatur?

Titelbild

Jorge Bucay: Komm, ich erzähl dir eine Geschichte.
Ammann Verlag, Zürich 2005.
288 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3250600776
ISBN-13: 9783250600770

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch