Wer nie ein Nilpferd gähnen sah

Holger Jenrich schließt mit seinem Nilpferd-Buch eine gravierende Lücke in der Hippopotamologie

Von Rainer ZuchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Zuch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einer meiner Freunde sammelt Nilpferde. In seiner Wohnung sind sie überall: Sie hängen zweidimensional in Gestalt von Fotos und Zeichnungen an der Wand und machen sich dreidimensional auf jeder zur Verfügung stehenden Sitz-, Liege- und Stellfläche breit. Das ist durchaus originell, denn die Hippopotamomanie (vulgo: Nilpferdwahn) ist zwar ein schwerwiegendes, aber noch immer viel zu wenig beachtetes Phänomen. Man käme jedoch nie auf den Gedanken, dass besagter Freund mit den dickfelligen Wasserbewohnern etwas gemein habe, denn man sagt ihnen ja Langsamkeit, Faul-, Plump- und Verfressenheit nach. Was darauf verweist, wie sehr das Nilpferd in seinem Charakter verkannt wird. Es ist im Gegenteil ein äußerst anpassungsfähiges und vielseitiges Tier, was sich schon an seiner multifunktionalen Einsetzbarkeit in menschlichen Behausungen eindrucksvoll erkennen lässt.

Bisher wähnte mein Freund sich in seiner Begeisterung für die umfangreichen Zeitgenossen allein auf weiter Flur. Dem kann nun abgeholfen werden. Holger Jenrich legt mit dem "Nilpferd-Buch" ein dringend benötigtes hippopotamologisches Kompendium vor, in dem er die gewichtige Spur des afrikanischen Dickhäuters durch die Naturgeschichte und eigentlich jeden relevanten Bereich der menschlichen Kultur nachvollzieht.

Nebenbei korrigiert er eine Reihe von Irrtümern und Vorurteilen, denen das Nilpferd sträflicherweise unterliegt. Das fängt schon beim Namen an: Erstens beschränkt sich der Lebensraum des Nil- oder Flusspferds nicht auf Flüsse, zweitens kommt es wegen frevlerischer Menschenhand am Nil kaum noch vor und drittens hat es biologisch mit dem Pferd rein gar nichts zu tun, sondern eher mit dem Schwein - die alten Ägypter wussten das noch. Die anderen Irrtümer werden an dieser Stelle nicht verraten, damit es spannend bleibt.

Wie es sich gehört, sorgt Jenrich zunächst einmal für die naturkundlichen Grundlagen, um auch dem in Sachen Nilpferd Unbewanderten zu verstehen zu geben, mit welch gewichtiger Persönlichkeit er es hier zu tun hat. In lockerer Reihung und fast immer mit einer schlüssigen Überleitung versehen, folgt er der eindrücklichen Fährte des Nilpferdes durch Vereine, Politik, Musik, Malerei, Spaß, Sport und Spiel, Populärkultur, Literatur, Gastronomie, Religion, Mythologie, Film, Liebe, Tod, Anarchie usw. usf., um mit dem Zoo einen gelungenen Schlusspunkt zu setzen, an dem sich Mensch und Nilpferd Aug' in Aug' gegenübertreten können.

Nach der Lektüre dieses verdienstvollen Werks wird wohl nur der Uneinsichtige nicht begriffen haben, dass das Nilpferd eigentlich ein verkanntes Genie ist, bei dem sich der Mensch - im wohlverstandenen Sinne natürlich! - eine dicke Scheibe abschneiden kann.

Wenn der geneigte Nilpferdfreund jetzt noch nicht genug hat, findet er Angaben von Internet- und Zooadressen zur gefälligen weiteren Information. Die Adresse des Clubs der Nilpferdfreunde e. V. steht auch drin.

Titelbild

Holger Jenrich: Das Nilpferd-Buch.
dtv Verlag, München 2002.
224 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3423205326

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