Kanon oder Organon?

Ein Sammelband bietet Studierenden grundlegende Informationen zu Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zahl der Genderstudiengänge an deutschsprachigen Universitäten wächst langsam aber immer noch stetig. Dem trägt die vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin herausgegebene Dokumentation einer Tagung aus dem Jahr 2003 zu Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum Rechnung, indem sie ausführlich über die derzeitigen inter- und transdisziplinären Studiengänge zu Gender Studies unterrichtet. Die tabellarisch aufgelisteten Informationen umfassen Schwerpunkte, Ausrichtungen und Profile der Studiengänge, eine Liste der an den jeweiligen Universitäten beteiligten Disziplinen, soweit vorhanden die berufsorientierten Studienangebote, die möglichen Abschlüsse, die Zulassungskosten, Perspektiven und Reformvorhaben sowie schließlich Kontaktadressen und Homepages. Allein schon das dürfte Grund genug für an Gender Studies interessierte StudienanfängerInnen sein, zu dem Buch zu greifen.

Die Dokumentation der Tagung beschränkt sich - mit einer Ausnahme - auf meist nur drei oder vier Seiten umfassende Einleitungen zu den einzelnen Panels (unter anderem zur Kanonfrage, zur Lehre, den Schüsselqualifikationen und den Institutionalisierungen ) und auf die ebenso kurzen Input-Referate. Nicht aufgenommen werden konnten die Diskussionen, in denen der Stellenwert der Kategorie Gender im Verhältnis zu anderen Differenzen und die Frage, in welchem Verhältnis Gender- zu Queer-Studies stehen, eine große Rolle spielte, wie Gabriele Jähnert im Vorwort mitteilt.

Breiten Raum nahm auf der Tagung die Erörterung der Chancen und Gefährdungen ein, welche die derzeitige Umwandlung des deutschen "Studienstruktursystems" für die Gender -Studiengänge bedeuten könnte. Auch wurde ein mal mehr festgestellt, dass die Realisierung der allerorten angestrebten Inter- und Transdisziplinarität "kein leichtes Unterfangen" (Bettina Mathes) ist. Einigkeit bestehe immerhin darin, so Mathes weiter, "dass die Reflexion darüber, was unter Inter- und Transdisziplinarität zu verstehen ist, noch längst nicht abgeschlossen ist".

Von den eher inhaltlichen Fragen ragte die Diskussion um einen (nicht) zu etablierenden Kanon der Gender Studies heraus. Während Mathes darüber informiert, dass der Begriff Kanon etymologisch gesehen aus dem "Bereich des Bauens" stamme und historisch "untrennbar mit der Entwicklung der Schriftkultur verbunden" sei, erfährt man einige Seiten weiter in dem Plädoyer, das Christa Binswanger und Brigitte Schnegg "für eine Kanonbildung als Traditionsbildung" halten, "die radikal zu ihrer Kontingenz steht und als Charakteristikum fortwährende Bewegung einschließt", dass der Begriff des Kanon "ursprünglich aus der Theologie" stammt. Susanne Bar weist die Referate zusammenfassen auf die "vier wichtigsten Aspekte der Kanonfrage" hin: "Kanonakzeptanz, Kanonkontingenz, Kanontransparenz und also strategische, kontextualisierte und fortdenkende Kanonbildung". Insbesondere die Kanontransparenz erzwinge eine erneute Debatte um Methoden feministischer Wissenschaft. Vielleicht, so mutmaßt sie unter impliziter Bezugnahme auf einen Diskussionsbeitrag von Michael Groneberg, stehe am Ende aber kein Kanon, sondern "ein Organon, ein Werkzeugkasten". Aus einem Werkzeugkasten, so hatte der Diskutant argumentiert, könne man sich "der Situation angemessen mit dem bedienen, was nötig ist".

Titelbild

Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum. Studiengänge, Erfahrungen, Herausforderungen. Dokumentation der gleichnamigen Tagung vom 4.-5. Juli 2003.
Herausgegeben von Zentrum f. transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin.
trafo verlag, Berlin 2004.
182 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3896263854

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