Der Kampf um das bisschen Dasein

Liane Schüllers Untersuchung schreibender Frauen am Beispiel der Werke Marieluise Fleißers, Irmgard Keuns und Gabriele Tergits

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie solle lieber heiraten als "hinter Aktenmappe und Schreibmaschine verwelken", rät ein 'wohlmeinender' Kollege gegen Ende der Weimarer Republik einer jungen 'Tippse'. Zwar handelt es sich bei beiden um Figuren aus Christa Anita Brücks Roman "Schicksale hinter der Schreibmaschine" (1930), doch könnte sich die erzählte Szene durchaus so oder so ähnlich in einer der zahlreichen Schreibstuben dieser Zeit abgespielt haben. Ebenso realistisch wie der ungefragt erteilte Rat ist die Reaktion von Brücks Protagonistin: "damit tut Ihr uns ab, unseren Kampf um das bisschen Dasein, zehnmal härter als der Eure [...]. Ihr sagt: heiratet doch! Und schlagt uns die Tür vor der Nase zu. Das ist so, als wollte man einem Verdurstenden sagen, iß doch Kuchen."

Den Schicksalen schreibender Frauen in der ausgehenden Weimarer Republik wendet sich die Germanistin und Medienwissenschaftlerin Liane Schüller in ihrer Untersuchung "Vom Ernst der Zerstreuung" zu, und zwar in dreifacher Hinsicht. Nicht nur von Autorinnen ins literarische Leben gerufenen schreibenden Frauen gilt ihr Interesse, sondern ebenso deren Vorbildern in der meist trostlosen Realität der Schreibstuben, um so zu überprüfen, "in welcher Form sich die Texte dieser Autorinnen mit den sich wandelnden Lebensbedingungen der (berufstätigen) Frauen auseinandersetzen, diese ver- und bearbeiten, spiegeln, verfälschen oder gar verleugnen". Doch nicht nur die literarisierten und die tatsächlichen Schreibkräfte werden beleuchtet, auch die Literatinnen selbst - namentlich Marieluise Fleißer, Irmgard Keun und Gabriele Tergit - geraten als Schreibende in den Fokus Schüllers. Zwar sei der "Schreibgestus" dieser Autorinnen weitgehend dem neusachlichen Stil "verpflichtet", doch verhielten sich ihre weiblichen Hauptfiguren - zumal in ihren "Liebesverstrickungen" - "'innen-geleitet', im Sinne von moralisch-abwägend", und zwar ungeachtet dessen, dass sie in einer "rastlosen, von Informationsüberschüssen geprägten Welt" leben und handeln.

Als "Fundament" ihrer Arbeit, die sich sowohl als Beitrag zur Frauen-Literatur-Geschichte als auch zur Soziologie der Angestelltenkultur während der Weimarer Republik versteht, dient der Autorin ein dem eigentlichen Hauptteil vorangestellter soziohistorischer Abriss der gesellschaftlichen Positionierung von Frauen in der späten Weimarer Republik. Im Zentrum der Untersuchung steht je ein im Jahre 1931 erschienenes Werk der drei genannten Autorinnen: Marieluise Fleißers "Mehlreisende Frieda Geier", Irmgard Keuns "Gilgi - eine von uns" und Gabriele Tergits "Käsebier erobert den Kurfürstendamm". Schüllers besonderes Augemerk gilt den "(Liebes-)Partnern" der Protagonistinnen, besagt eine These ihrer Arbeit doch, dass die "unterschiedlichen Paarkonstellationen" in den untersuchten Romanen, die gesellschaftliche Stellung der Frau innerhalb der gegebenen Gesellschaftsstruktur "in besonders signifikanter Weise" abbilden. Der dritte Teil der Arbeit wendet sich dem "Arbeitswerkzeug Schreibmaschine" zu, um zu klären, ob und inwieweit diese als Symbol fortschreitender Emanzipation oder im Gegenteil der wachsenden Kontrolle arbeitender Frauen zu werten ist. Abschließend verortet sie die untersuchten "Frauen(figuren) zwischen Widerstand und Anpassung".

Bevor die Autorin im Hauptteil zur Untersuchung der drei zentralen Romane schreitet, konstatiert sie einen vielleicht nicht gerade überraschenden, aber bislang noch nicht ins Licht gerückten geschlechtsspezifischen Unterschied zwischen den Darstellungen der Neuen Frau in den Werken "arrivierter männlicher Autoren" und denjenigen ihrer Kolleginnen: Während gerade die Protagonistin in den Arbeiten Letzterer oft als Vertreterin des neue Frauentypus zu erkennen sind, werden diese in den Prosawerken angesehener Autoren der 'Hochkultur' als "schmückendes Beiwerk" in Nebenrollen verbannt. Doch nicht nur weibliche Schriftsteller, auch Verfasser der zeittypischen Unterhaltungsromane stellen moderne Frauen in den Mittelpunkt ihrer Erzählung. In diesen Werken durchlaufen die Protagonistinnen jedoch anders als etwa bei Fleißer, Keun und Tergit einen "schablonenhaften Entwicklungsprozeß" von der "kleinen Sekretärin, Verkäuferin oder auch Studentin" hin zur glücklichen "Ehefrau eines reichen Geschäftsmannes oder Adeligen".

Die Untersuchungen zweier Romane leidet nicht unwesentlich daran, dass die Autorin nicht - ausschließlich - die Erstauflagen der Werke heranzieht, sondern auch diesen gegenüber veränderte spätere Auflagen, ohne dass die Unterschiede zwischen beiden analytisch oder interpretatorisch berücksichtigt würden. So weiß die Autorin zwar um die gravierenden Änderungen der 1975 unter dem Titel "Eine Zierde für den Verein" erschienenen Überarbeitung des Romans "Mehlreisende Frieda Geier". Dennoch zitiert sie auf der Suche nach passenden Belegstellen für ihre Thesen beide Versionen immer wieder kunterbunt durcheinander. Ihr Thema "Schreibende Frauen am Ende der Weimarer Republik" hätte allerdings nur die ursprüngliche Fassung zulassen sollen. Allenfalls hätte die spätere Ausgabe herangezogen werden können, um anhand der Unterschiede, das zeittypisch Besondere der Erstausgabe zu herauszuarbeiten. Ähnlich liegen die Dinge bei Keuns Roman "Das kunstseidene Mädchen". Hier benutzt Schüller eine Auflage von 1989. Diese aber folgt wie fast alle Nachkriegsauflagen des Romans der gegenüber der ursprünglichen Fassung von 1932 stilistisch wesentlich überarbeiteten ersten Nachkriegsauflage von 1951. (Die bislang einzige Ausnahme bildet eine anlässlich des 100. Geburtstags der Autorin von Stefanie Arend und Ariane Martin im Februar 2005 herausgegebene Ausgabe.) Ist eine derartige Nachlässigkeit an sich schon bedenklich, so macht sie insbesondere Schüllers Untersuchung des "zeitbedingten Sprachgebrauch[s]" im "Kunstseidenen Mädchen" nahezu wertlos.

Auch ihre Kritik an der feministischen "Vereinnahmung" der drei Autorinnen durch "Rezensentinnen und Literaturwissenschaftlerinnen" überzeugt nicht restlos. Als einzigen Beleg hierfür einen Artikel Alice Schwarzers in einer Ausgabe der Zeitschrift "Emma" aus dem Jahre 1980 heranzuziehen, ist denn doch etwas dürftig. Dies umso mehr, als Schwarzer keine Literaturwissenschaftlerin, sondern Journalistin ist. Dennoch gab es in den 1970er und beginnenden 1980er Jahren die von Schüller zu Recht monierte Vereinnahmung zweifellos. Doch dass sich ihre Kritik an der feministischen Rezeption der Autorinnen nur auf Lesarten dieses Zeitraums beziehen kann, die innerhalb des Diskurses feministischer Literaturwissenschaft spätestens seit der Inkorporation der Einsichten des Dekonstruktivismus und der Gender Studies überwunden sind, wird nicht deutlich.

Ungeachtet dieser Kritikpunke sind zentrale Ergebnisse von Schüllers Arbeit überzeugend. So etwa, wenn sie die Gemeinsamkeiten der untersuchten Romane Fleißers, Keuns und Tergits sowohl im Unterschied zu denjenigen ihrer arrivierten Kollegen als auch zur 'Unterhaltungsliteratur' hervorhebt. Gleiches gilt für den Vergleich der Romane mit den gegen Ende der Weimarer Republik in die Kinos gelangenden Filmen. Gegenüber Letzteren zeichneten sich die Werke der drei Schriftstellerinnen durch ein "realistischeres nüchterneres Bild der vermeintlich 'Neuen Frau'" aus. Vor allem stellten die autonomen Protagonistinnen der Romane die "Eindimensionalität der dem Zeitgeist huldigenden Frauenbilder von Girl, Garçonne oder Vamp" in Frage und spielten die verschiedenen Möglichkeiten "(junger) Frauen" in der Weimarer Republik "virtuos" durch, ohne allerdings "Patentlösungen für ein unabhängiges, zufriedenstellendes und selbstbestimmtes Leben" zu propagieren und ohne "[e]infache Rezepte" für "das neue, vermeintlich freiere und emanzipiertere Leben der Frau" zu offerieren. Dazu seien die Protagonistinnen der Romane viel zu sehr "den tatsächlichen Ambivalenzen des Lebens in der Zwischenkriegszeit verhaftet".

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Liane Schüller: Vom Ernst der Zerstreuung. Schreibende Frauen am Ende der Weimarer Republik: Marieluise Fleißer, Irmgard Keun und Gabriele Tergit.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2005.
373 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-10: 3895285064

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