Gluck, gluck, gluck

Zwei neue Bücher vom Trinken: Nick Flynns "Bullshit Nights" und Augusten Burroughs' "Trocken!"

Von Maik SöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maik Söhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Gemeinsamkeiten gleich vorweg: Sowohl die Lektüre von Augusten Burroughs "Trocken!" als auch die von Nick Flynns "Bullshit Nights" ist nüchtern schwer zu ertragen. In beiden Romanen wird unglaublich viel getrunken, bei Burroughs Wodka-Martinis und Whiskey ("Dewar's") in Hektolitern; bei Flynn Bier ("Rolling Rocks") und Whiskey fass- bzw. kistenweise. In beiden Büchern tauchen auch andere Drogen auf, nicht gerade weiche und nicht gerade wenige. Doch im Vergleich zur Menge des gesoffenen Schnapses wirkt selbst Burroughs kurzer Ausflug in die Welt des Crack so harmlos wie ein alkoholfreies Radler.

Wer aber meint, beim Lesen der Romane fröhlich einen mitpicheln zu können, wird ebenfalls nicht glücklich. So sehr es ums Trinken geht, so sehr sind auch die Folgen zu besichtigen: Sucht, Isolation und Verfall. Wo Burroughs Ich-Erzähler in die Entziehungsklinik und anschließend zu den täglichen Treffen der Anonymen Alkoholiker (AA) in Manhattan muss, begegnet Flynns Erzähler seinem Vater, den er Jahrzehnte nicht gesehen hat, plötzlich auf seiner Arbeitsstelle, einem städtischen Nachtasyl für Obdachlose in Boston. Vorher wusste Flynn Jr. von Flynn Sr. nur, dass er jahrelang Taxifahrer war und irgendwann im Suff den Führerschein verlor.

Als sie sich wiedersehen, können Vater und Sohn die plötzliche Nähe nicht gut ertragen, und sie werden sich auch als Betreuer und Betreuter auf Dauer nicht näher kommen. Was sich durch das Wiedersehen verändert, ist allein die Einstellung von Flynn Jr., bei dem bisher kein Bier schal wurde und der seine Jugendzeit folgerichtig so zusammenfasst: "Ich trinke, um mich zu betrinken. Es gefällt mir, betrunken zu sein, ich fühle mich mehr wie ich selbst, wenn ich außerhalb von mir bin. Als ich siebzehn bin, trinken meine Mutter und ich manchmal zusammen, und manchmal zeigt sie mir einen Zettel mit einem Zitat, den sie in ihrem Geldbeutel aufbewahrt - 'Trau keinem, der nicht trinkt'. Wer nicht trinkt, hat ein schreckliches Geheimnis zu verbergen, das ihm entschlüpft, wenn er sich jemals betrinkt. Indem wir zusammen trinken, beweisen wir, dass wir nichts zu verbergen haben."

Die gesamte Familie Flynn besteht aus Trinkern, selbst die Großmutter schickt den Enkel los, ihr die übliche Zweiliterflasche "Turner's Special Blend" im Spirituosenladen zu holen. "Mach dir im Leben keine großen Hoffnungen, dann wirst du auch nicht enttäuscht. Spar dir die Hoffnung für das Leben nach dem Tod auf" - schon früh macht sich Flynn Jr. dieses Motto zu Eigen. Mit "Bullshit Nights" ist ihm denn auch ein ruhiges, illusionsloses Romandebüt gelungen, das zwischen der Tragik und der Komik des Scheiterns stets und souverän die Balance hält. Wäre das Buch ein alkoholisches Getränk, so müsste es ein guter Wodka sein: kalt, klar, hart, und bei nicht übermäßiger Menge hält sich der Kater am nächsten Tag in Grenzen.

Burroughs "Trocken!" hingegen wäre, um im Bild zu bleiben, eindeutig ein mittelalter Whiskey - anfangs leicht brennend, dabei aber weich und ein bisschen rauchig, später nur noch wärmend. Man kann es nicht bei zwei, drei Gläschen belassen, und der nächste Morgen beginnt alles andere als gut. Dabei ist der Kater für Burroughs Erzähler-Ich, einem in der Werbung erfolgreichen Mittzwanziger, das geringste Problem. Ihm reichen selbst nach einem Vollsuff nur wenige Stunden Schlaf, um wieder in Form zu kommen. Auch im Trinken selbst sieht er kein Problem: "Ich weiß, dass ich zu viel trinke, beziehungsweise nach Meinung anderer Leute zu viel trinke. Aber das Trinken ist so sehr Teil von mir, dass man mir auch vorhalten könnte, meine Arme seien zu lang. Kann ich das etwa ändern?"

Erst als seine Vorgesetzten der Kundschaft die Dauerfahne ihres Werbefachmanns nicht länger zumuten wollen und ihn vor die Wahl "Entzug oder Kündigung" stellen, verzichtet er aufs Saufen und begibt sich in eine Suchtklinik für homosexuelle Alkoholiker. Das Trockenwerden fällt ihm erst dann schwer, als der stationäre Entzug schon längst vorbei ist und der Alltag in New York wieder beginnt. Denn "irgendwie dachte ich, der Entzug würde bewirken, dass ich nicht mehr wie ein Alkoholiker trinke. Ich dachte, ich würde lernen, so zu trinken wie normale Menschen."

Doch allein die Rückkehr in seine Wohnung wird ihm zum Erlebnis voller Grauen, schon vor dem Klinikaufenthalt wusste er: "Dass ich trinke, ist kein Geheimnis. Mein Geheimnis ist meine Wohnung. Sie ist voll mit leeren Schnapsflaschen. Nicht bloß fünf oder sechs. Dreihundert trifft es eher. Dreihundert Literflaschen Scotch, die sich überall dort angesammelt haben, wo kein Bett oder Stuhl steht." Erst recht aber merkt er, wie sehr der Alkoholismus über Jahre seine sozialen Kontakte geprägt hat. Kaum ein Freund ist ihm geblieben, nur Trinkerkumpels, mit denen er als Abstinenzler nicht mehr viel anfangen kann.

Was bleibt, sind drei Vertraute. Ein alter Freund, der nicht mehr lange zu leben hat, und zwei neue, die wie er den Kampf gegen den Alkohol (und gegen diverse andere Drogen) aufgenommen haben und sich dabei mal besser, mal schlechter schlagen. Burroughs ist ein Roman gelungen, der launisch und lakonisch (und manchmal auch ein wenig seicht) davon erzählt, dass es leicht ist, trocken zu werden, aber mehr als einen Entzug, ein paar AA-Meetings und Gruppentherapien braucht, um trocken zu bleiben.

Ähnlich wie bei Flynn sind auch seine Trinkerfiguren komisch und tragisch zugleich. Beide Schriftsteller verarbeiten offensichtlich biografische Erlebnisse, und beide haben eine Erzählerperspektive gewählt, die sich genau darin nicht erschöpft. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie sich weigern, tolle Geschichten vom Saufen und traurige von den Folgen zu berichten. In "Trocken!" und "Bullshit Nights" ist das eine ohne das andere nicht zu haben. Flynn bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: "Alkohol ist der Fluss, an dessen Ufern wir sitzen und nachdenken. Manchmal sehen wir uns vorbei treiben, manchmal sehen wir uns untergehen."

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel erschien zuerst in der "Jungle World" vom 8. Juni 2005. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.

Titelbild

Nick Flynn: Bullshit Nights. Die Geschichte mit meinem Vater.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel.
Mare Verlag, Hamburg 2005.
337 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 393638441X

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Titelbild

Augusten Burroughs: Trocken!
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Volker Oldenburg.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
383 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3498006339

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