Schiller - Grenzgänger der Klassik

Ein "Text + Kritik"-Band zeigt, dass der Dichter nicht nur die Freiheit gefeiert hat

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

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Ein "Text + Kritik"-Band zeigt, dass der Dichter nicht nur die Freiheit gefeiert hat

Die Autoren des Sonderbandes "Friedrich Schiller" aus der Edition "Text + Kritik" präsentieren den Dichter weder als Säulenheiligen noch als Nationaldichter, wie ihn Generationen zuvor lange Zeit gesehen und gefeiert haben, sondern zeigen ihn als Grenzgänger der Klassik, als Alltagsdichter, Leser, Theaterdichter und Kulturhistoriker. Einige der hier versammelten Autoren stellen Schillers Aktualität deutlich heraus, wie etwa Michael Hofmann, Dozent für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Paderborn. Schiller habe in seinen poetischen und philosophischen Texten nicht einfach die Freiheit gefeiert und in Szene gesetzt, sondern bereits die Aporien der Moderne und damit auch eines modernen Freiheits-Verständnisses reflektiert. Wir dürften daher nicht so sehr vermeintliche Gewissheiten, ewige Wahrheiten und zeitlose Ideale in seinem Werk suchen. Vielmehr sollten wir unsere Probleme und eigenen Ratlosigkeiten zum Ausgangspunkt einer neuen Lektüre seiner Werke machen. Immerhin habe schon Schiller mitbedacht und auch dargestellt, dass die Ideale der Aufklärung leicht in neue Unterdrückung und Barbarei umschlagen könnten, wenn versucht werde, die Wirklichkeit im Namen abstrakter Ideale zu verändern ohne Rücksicht auf die davon betroffenen Menschen. Marquis Posa beispielsweise ist in Schillers Drama durchaus bereit, seinen Freud Don Carlos für die Sache der Menschheit zu opfern. Die Aktualität Schillers sieht Hofmann mithin darin, dass der Dichter keine Gewissheiten bietet, sondern die kritische Selbstreflexion des Scheiterns menschlicher Sinnstiftung in der Moderne indiziert. Auch seine Poetik des Erhabenen, die auf einer desillusionierten Betrachtung des geschichtlichen Prozesses basiert, sei heute noch aktuell. Fordert sie doch von den Rezipienten, die Widersprüche des geschichtlichen Prozesses auszuhalten, so wie sie auch in Schillers späten Dramen vorgeführt werden.

Wir haben es bei Schiller somit, führt Hofmann weiter aus, mit einem realistischen und skeptischen Idealismus zu tun, der um die Gefährdungen der menschlichen Existenz weiß, mit einem Dichter, der die Aporien der Modernisierung reflektiert, die noch die Gegenwart bestimmen.

Zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt auch Gert Vonhoff, wissenschaftlicher Assistent an der Universität Münster. Er untersucht "Die Macht der Verhältnisse" in Schillers Erzählungen, die besonders deutlich im Dialog "Der Spaziergang unter den Linden" in Erscheinung tritt. Vonhoff sieht in Schillers Prosaarbeiten aufschlussreiche Dokumente des Wandels bürgerlichen Selbstverständnisses und erkennt, dass diese nicht mehr dem damals noch üblichen Aufklärungsoptimismus huldigen, sondern schon zum neueren Diskurs der Aufklärungskritik gehören. In der Erzählung "Eine großmütige Handlung" aus dem Jahr 1782 wird zum Beispiel das Scheitern empfindsamer Erziehungs- und Reformstrategien ständig mitreflektiert. Die 1789 publizierte Erzählung "Spiel des Schicksals" wiederum ist exemplarisch für Schicksale und Verhaltensweisen im Absolutismus. Hier werde dem Sein die Macht über das Bewusstsein zugeschrieben. Mit seiner Erzählung "Verbrechen aus Infamie" wollte Schiller vor allem die republikanische Freiheit des lesenden Publikums befördern und es dem Leser überlassen, das Geschehen einzuordnen und Partei zu ergreifen - gegen den Gang der Geschichte. Auf die Ausmalung konkreter Utopien habe der Dichter jedoch verzichtet.

Mirjam Springer hat sich dagegen der Fragment gebliebenen Erzählung "Die Geisterseher" angenommen. Diesen Text habe Schiller nie geliebt, aber beim Publikum sei er gut angekommen, da er alles geliefert habe, worüber man in jenen Tagen gern las: Wunderheiler, Agenten, Verschwörer, Intrigen, Jesuiten, zum Katholizismus konvertierte Prinzen, politische Ränke und Geheimgesellschaften. Obgleich "der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit" das erklärte Ziel der Aufklärung war, schien die Unmündigkeit zu Schillers Zeit überall fröhliche Urständ zu feiern. Okkultismus und das Unerklärliche schlechthin hatten Hochkonjunktur, also alles, was der Glaube an die Rationalisierbarkeit der Welt nicht mehr für möglich gehalten hätte. In Schillers Text werden zwar noch einmal die Instanzen der Aufklärung aufgerufen, aber gleichzeitig wird der Glaube an ihre Wirkungsmächtigkeit konterkariert. Die Auflösung habe Schiller verweigert. "Er beließ es beim Fragment eines negativen Bildungsromans." Kaum je habe Schiller so viel "Nichts" zugelassen wie im "Geisterseher", befindet Mirjam Springer. Er habe wohl Fragen gestellt, die bis an die Gegenwart heranreichten, aber auf Rettungsprogramme verzichtet. "Das Romanfragment endet ratlos."

Der Literaturkritiker Wolfgang Schneider sichtet kritisch die Schiller-Literatur im Jubiläumsjahr 2005 und kommt dabei ebenfalls zu der Einsicht, dass ein simples Freiheitspathos nie Schillers Sache gewesen sei. Seine historischen Dramen seien durchwirkt von Skepsis und führten geradezu den Beweis, dass moralische Freiheit und geschichtliches Handeln einander ausschlössen. Eine Schiller-Renaissance würde zum Zeitgeist durchaus passen. Schließlich sei Schiller gerade in unruhigen und problematischen Epochen rezipiert worden, während man in ruhigen Zeiten Goethe den Vorzug gegeben habe. Die gegenwärtige, Schiller gewidmete Bücherflut zeige, dass er auch zweihundert Jahre nach seinem Tod nicht vergessen sei. "Fast scheint es, als hätte er sogar seine Werke überlebt."

Der renommierte Schiller-Kenner Peter-André Alt stellt Schiller als sentimentalen Leser vor. Er schildert Schillers Leseabenteuer in der Karlsschule, die ihm ein unlimitiertes Reisen durch Realitäten jenseits der praktischen Erfahrung erlaubt hätten. Auch im späteren Leben bildete das Lesen für ihn eine Art von Lebenselixier und glich Erfahrungsmängel aus. Allerdings tauschte Schiller alsbald das Lesefieber der Karlsschulzeit gegen eine kontrolliertere Rezeptionsform ein. In der Weimarer und Jenaer Zeit, angeregt nicht zuletzt durch den Umgang mit Goethe und durch die Lektüre seiner "Lehrjahre", las Schiller nicht mehr mit dem Hunger des eingesperrten Eleven, der in Romanen imaginär durch die Welt wandert, sondern versuchte als Systematiker die Gesetze der ästhetischen Erfahrung mit den Mitteln des analytischen Verstandes zu erkunden.

Während Schiller für Gregor Wittkop nicht mehr ist als ein banaler Reimmechaniker ist, der für speziell poetische Gestaltung nur selten Geduld aufgebracht habe, hat Grit Dommes, Mitherausgeberin eines "Schiller-Handbuchs", ausgerechnet Schillers Geburtstagsgedicht zu Körners 29. Geburtstag und sein Hochzeitspoem für Körner nicht sehr freundlich, eher etwas abfällig unter die Lupe genommen. Bernhard Greiner, Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte, analysiert unter der Überschrift "Negative Ästhetik" Schillers Tragisierung der Kunst und Romantisierung der Tragödie anhand der Theaterstücke "Maria Stuart" und "Die Jungfrau von Orleans".

Ferner enthält der Band eine Erzählung des Schriftstellers Hugo Dittberner über Schillers historischen Beruf, einen gekürzten Vortrag von Diana Schilling über "Götter, Helden, Goethe und Schiller" aus dem Jahr 2004 sowie einen Aufsatz des Musikwissenschaftlers Axel Beer über Komponisten, die sich wie Schubert, Brahms, Liszt, Loewe, Pfitzner, Strauss, Verdi und Beethoven durch Texte des Dichters zum Komponieren haben inspirieren lassen.

Der Literaturwissenschaftler Michael Ott schildert, wie im 19. Jahrhundert das liberale deutsche Bürgertum Schiller zur Kultfigur erhob und der Dichter dabei zum Bezugspunkt unterschiedlicher kultureller Traditionen und gegensätzlicher politischer Zielsetzungen geriet.

Informativ und lesenswert sind auch der Bericht des Regisseurs Matthias Hartmann über seine Erfahrungen mit Theaterstücken von Schiller und Mirjam Springers Gespräch mit dem Schauspieler Devid Striesow über die Kunst, "Schiller zu sprechen".

Insgesamt bietet der Band mit seinen recht unterschiedlichen Aspekten eine Fülle von Anregungen. Indessen lesen sich nicht alle Beiträge leicht und flüssig. Bei dem ein oder anderen hat man des Gefühl, der Verfasser hätte in erster Linie für seine wissenschaftlich hoch gebildeten Kollegen geschrieben, aber nicht für normale Leser, die entweder ihren Schiller kennen oder erst für Schiller gewonnen werden sollen.

Titelbild

Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Friedrich Schiller. Text + Kritik Sonderband.
edition text & kritik, München 2005.
171 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3883777889

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