Von der Konstanz der Welt

David Humes Hauptwerk in erschwinglicher Neuausgabe

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

David Humes Frühwerk stieß bei seinem damaligen Publikum auf wenig Interesse. Beinahe wäre es auch so geblieben. Hätte der Schotte die drei Bücher seines in Frankreich geschriebenen und anonym veröffentlichten Erstlings- und zugleich Hauptwerks "A Treaties of Human Nature" (1739/40) nicht jeweils noch einmal in überarbeiteter Fassung erscheinen lassen, er wäre wohl als Historiker, nicht aber als Begründer des spezifisch angelsächsischen Empirismus im Gedächtnis der Geistesgeschichte haften geblieben. Berühmtheit erlangte Hume vor allem durch die 1748 veröffentlichten "Philosophical Essays Concerning Human Understanding" (ab der 6. Auflage 1758: "An Enquiry Concerning Human Understanding"). Diese "Untersuchung über den menschlichen Verstand" wurde bereits 1755 erstmals ins Deutsche übertragen und machte Hume auch hierzulande schlagartig berühmt. Es stellt eine Überarbeitung des ersten Buchs seines Traktats "Über den Verstand" dar. Das zweite Buch, "Über die Affekte", erschien überarbeitet 1757 und wurde noch im gleichen Jahr übersetzt; das dritte, "Über Moral" bereits 1751 als "An Enquiry Concerning the Principles of Morals" (dt. 1756: "Sittenlehre der Gesellschaft"). Wie auch in Humes Geschichte Englands (1754-1761), die bis heute in über 170 Auflagen erschienen ist und ihn zu einem der bestbezahlten Autoren seiner Zeit machte, geht er in seinen Abhandlungen keine Kompromisse ein: Hume ist ein Freidenker, der ein gänzlich neues Paradigma begründet: Verstand und Glaube sind für ihn keine Gegensätze, sondern stehen in einem begründenden Zusammenhang. Von daher ist ihm Skepsis kein Hindernis der Erkenntnis, sondern Vorbedingung für methodisches Arbeiten. Hume zielt damit ab auf die Verbindung von wissenschaftlichem Verstand und menschlicher Vernunft in ihrem (menschlichen) Ursprung: Verstandesmäßig ziehen wir Schlüsse, die über die Erfahrung hinausgehen. Eben an dieser Stelle ist ein Glaube oder eine Setzung nötig, nämlich die Konstanz der Weltabläufe. Es wird dies genau jener Gedanke sein, den Kant dann in die deutsche Philosophie einbringen kann und der sie noch bis über Husserl hinaus beschäftigen wird: Wissen gründet in Meinen; und die Rechtmäßigkeit des Glaubens ist wiederum dem Zweifel unterworfen. 1761 werden deshalb auch alle Werke Humes auf den Index librorum prohibitorum der katholischen Kirche gesetzt.

Dem jungen Berliner Verlag Xenomos, der sich auf die Publikation fremdsprachiger Gesetzestexte (vornehmlich aus dem Spanischen) spezialisiert hat, ist es nun zu verdanken, dass die Übersetzung von Theodor Lipps in einer erschwinglichen Dünndruckauflage erhältlich ist. Die postum erstmals 1790 übersetzen Bücher des Traktats wurden von Lipps 1894 in einer Neuübertragung vorgelegt, die bis heute ihre Gültigkeit bewahrt hat. Vor allem die Erläuterungen zu Humes Vokabular und seinen Entsprechungen im Deutschen sind vorbildlich. So kann etwa Humes Ausdruck "notion" nur ungenau mit "Begriff" wiedergegeben werden. Handelt es sich doch um eine subtilere Situation des Wissens, die Hume an den Anfang der Erkenntnis setzt: Lipps entschied sich daher für "Bild". Es bezeichnet mehr als "Ahnung", etwas anderes als "Vorstellung" und kommt in etwa dem nahe, was zu Lipps Zeit "Gestalt" hieß, sich aber nicht nur auch auf einen wahrgenommenen Sachverhalt bezieht, sondern auch auf die daran angeschlossen Reflexion. Es ist der Begriff in seinem landläufigsten Sinn. Auch die kommentierenden Hinweise, das Register und Zusammenfassungen einzelner Gedankengänge durch Lipps machen die Ausgabe zu einer noch heute brauchbaren Arbeitsgrundlage. Herauszustellen ist ferner die Leistung des Verlegers Wolfgangt Sohts, der den gesamten Text neu gesetzt sowie in Orthografie und Ausdruck modernisiert hat.

Der Umfang des Buches mag Leser damals wie heute vor der Lektüre zurückschrecken lassen. Dennoch ist sie besonders für Studierende der Philosophie unerlässlich. Finden sich im Traktat doch auch Gedanken, die Hume in den späteren Überarbeitungen nicht mehr explizit wiederholt. Im Besonderen handelt es sich dabei um Humes Erörterungen der Vorstellungen von Raum und Zeit. Steht später vor allem die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Status des Skeptizismus im Vordergrund, sind es hier noch die Grundlagen der Erfahrung, um die es Hume geht. Das Subjekt konstituiert sich im Zusammenhang seiner Erfahrungen. Raum und Zeit sind für Hume daher weder dem Menschen angeborenen Behältnisse für die Inhalte seiner Anschauung, noch physikalische Realia, sondern der Natur kontingent entnommene Vorstellungen. Hier tritt am deutlichsten hervor, was Deleuze ausgehend von Hume als "transzendentalen Empirismus" bezeichnet hat: Die Erfahrung selbst ist die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis und nicht etwa umgekehrt.

Titelbild

David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur. Vollständige, überarbeitete Neuauflage. 3 Bde. Bd. 1: Über den Verstand. Bd. 2: Über die Affekte. Bd. 3: Über die Moral.
Herausgegeben von Wolfgang Sohst.
Übersetzt aus dem Englischen von Theodor Lipps.
Xenomos Verlag, Berlin 2004.
620 Seiten, 32,80 EUR.
ISBN-10: 3936532419

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