Schauplatz weiblicher Verborgenheit

Ellen Graßmanns Untersuchung schaufelt vergeblich in der deutschen Trümmerliteratur

Von Ester SalettaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ester Saletta

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Des Weibes Natur ist Beschränkung, Grenze, darum muß sie in's Unbegrenzte streben [...]." (Friedrich Hebbel)

"Das Weib ist ein Rätsel: - So sagt man! Was für ein Rätsel wären wir erst für das Weib, wenn es vernünftig genug wäre, über uns nachzudenken." (Arthur Schnitzler)

Zwei Zitate. Zwei Autoren. Zwei Epochen. Ein einziges Motiv: das Weibliche. Das Interesse der Literatur für das Weibliche geht bis in die antike Mythologie zurück, aber die literarischen Darstellungsstrategien haben sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt und verändert. Besondere historische und soziale Ereignisse sowie auch wissenschaftliche Strömungen haben die Frauenfrage in ihrer Natur, Position und künstlerischen Darstellung beeinflußt und konnotiert. Von matriarchalischen und patriarchalischen Strukturen über emanzipatorische Bewegungen bis hin zu den Perspektiven der Gender-Studies ist das Studium des Weiblichen in der Literaturgeschichte immer wieder aktuell. Die literarische Funktion von Frauengestalten sowohl in der Hochliteratur als auch in der Trivialliteratur wird von der Literaturwissenschaft mit verschiedenen Methoden untersucht. Historisch-soziale, sprachliche und inhaltliche Textanalyse sind auf der Suche nach realen und imaginären Frauentypologien, die die Frau in ihrem Alltag bzw. Beruf, in Familie und Ehe meistens durch klischeehafte männliche Stereotypisierungen skizzieren. Seit der Jahrhundertwende hat sich die Frau in der Literatur zwischen "femme fatale" und "femme fragile" einerseits und zwischen "femme fonctionelle" und "femme enfant" andererseits bewegt, mit dem Resultat, dass sie von männlichen Augen entweder als Madonna oder als Hure betrachtet wird. Von der Verkörperung der idealen, perfekten Mutter und Ehefrau oder Bild der sexuellen Verführung und des dämonischen Bösen hat die Frau versucht, sich im 20. Jahrhundert zu emanzipieren. Die historischen Ereignisse in der Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit haben dazu geführt, dass die moderne Frau selbstständig wurde und sich emanzipierte. Sie arbeitete außerhalb ihres Hauses, konnte Hosenanzüge und kurze Frisuren tragen, Zigaretten und Zigarren rauchen, Fahrrad und Auto fahren, Tennis und Golf spielen. Aber in den Augen des Mannes ist sie immer noch das damalige "süße Mädel" aus vielen Erzählungen Schnitzlers geblieben - ein schönes Lustobjekt in Besitz des noch herrschenden patriarchalischen Gesellschaftssystems. Das war in den 20er und 30er Jahren, aber es scheint sich auch danach nicht geändert zu haben, wenn man Ellen Graßmanns Studie über die Frauenbilder in der deutschen Literatur der 50er Jahre liest. Graßmanns Arbeit, die das Thema der Imagination des Weiblichen durch eine Reihe von literarischen Beispielen von bekannten und unbekannten Autoren der deutschen Literatur nach 1945 zu dokumentieren versucht, erscheint mehr als traditionell historisch-soziale denn als innovative literarische Untersuchung, die die interessanten - wenn auch nicht aktuellen - theoretischen Voraussetzungen der Einleitung nicht in der Praxis bzw. in verschiedenen Textanalysen konkretisiert. Zu traditionell und klassisch für ein so modernes Motiv wie die Imagination des Weiblichen ist auch die Struktur und die Untersuchungsmethode von Graßmanns Arbeit, wenn in jeder Sektion des Buchs eine Frauentypologie wie z. B. die Mutter, die Ehefrau oder die Prostituierte nur durch eine historisch-soziale Kontextualisierung beleuchtet wird. Eine solche monadische Struktur, die an eins der "Stationendramen" Bertold Brechts erinnert, lässt keinen Raum für die literarische Kontinuität des Themas, dessen Merkmale sich - wenn auch unter anderen Bedingungen - in der Literaturgeschichte wiederholen. Der Mangel einer angemessenen Arbeitsmethode wird sowohl in der Wahl der Sekundärliteratur als auch in der Interpretationstechnik der Studie deutlich. Nicht verwendet als Interpretationsmittel, sondern nur im Vorwort erwähnt sind z. B. die Werke von Silvia Bovenschen über die imaginierte Weiblichkeit. Unberücksichtigt bleiben auch die Texte von Judith Butler über den Geschlechterdiskurs und die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Sprachkonnotationen. Schwach, ziemlich oberflächlich und disharmonisch erscheint einerseits die Textanalyse der gewählten Romane, die nur in Bezug auf die Biografie des Autors sowie inhaltlich nur in Bezug auf eine Kontextualisierung im Rahmen der Primärliteratur untersucht werden - das wird auch von den kaum vorhandenen Fußnoten bestätigt - und andererseits die Kontextualisierung des Werks in der Zeit, wobei Geschichte und Literatur auf getrennten Ebenen verharren. Zu wenig - obwohl hoch interessant - und nicht genug wissenschaftlich vertieft sind zudem die interdisziplinären Bezüge. Die Rolle der Mode in Gerd Geisers Roman "Eine Stimme hebt an" für den emanzipatorischen weiblichen Prozess sowie die Bedeutung der Spiegelmetapher in Heinrich Bölls Roman "Und sagte kein einziges Wort" und des Traums in Marlene Haushofers "Die Tapetentür" werden nicht mit Hilfe der einschlägigen Theorien (etwa von Barthes, Freud oder Lacan) analysiert. Interessant wäre auch eine Vertiefung der Gattungsfrage in Bezug auf die Darstellung der Frauenbilder bei Hoch- und Trivialliteratur gewesen sowie eine geschlechtsspezifische Untersuchung im Rahmen des Romanverfassers, da Ellen Graßmann Prosatexte von weiblichen und männlichen Autoren, die über Frauenbilder erzählen, ausgewählt hat. Graßmanns Arbeit rettet sich erst am Ende bzw. im fünften Kapitel, wenn die Autorin die bislang von der Literaturwissenschaft noch nicht intensiv bearbeiteten literarischen Gestalten von Trümmerfrauen, ,Ami-Liebchen' und ,Ami-Huren' in den Romanen "Off limits" (1955) von Hans Habe, "Tauben im Gras" (1951) von Wolfgang Koeppen oder "Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind" (1958) von Erich Kuby darstellt. Trotz dieses partiellen Rettungsversuchs; trotz einiger guter intertextueller Bemerkungen, denen man aber nicht die richtige Aufmerksamkeit geschenkt hat; trotz der Wahl eines faszinierenden, aktuellen und pluridisziplinären Themas des Frauenbildes in einer hoch interessanten und spannenden Zeit wie der deutschen Nachkriegszeit bleibt Ellen Graßmanns Arbeit nur die Anmaßung einer vermeintlich "emanzipatorischen", literarischen Interpretation der deutschen Frauenfrage in den 50er Jahre. In diesem Sinn spiegelt Graßmanns Studie die Schwierigkeit einer konkreten und selbstbewussten Verwirklichung der Frauenemanzipation in Leben und Kunst Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg auf Grund der noch herrschenden patriarchalischen Atmosphäre wider.

Titelbild

Ellen Graßmann: Frauenbilder im deutschen Roman der fünfziger Jahre.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
203 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-10: 3631523548

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