Beliebte Kronzeugen

Hans Sarkowicz hat differenzierte Porträts von Künstlern gesammelt, die unter Hitler Karriere machten

Von Jörg SundermeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Sundermeier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt im Deutschen eine merkwürdige Wortfügung: sich entschuldigen. Wer sich entschuldigt, erwartet keine Absolution mehr von seinem Gegenüber, er gibt sie sich selbst. Insofern fällt es leicht, sich zu entschuldigen. Man gesteht zwar eine Verfehlung ein, zugleich schließt man jedoch jede weitergehende Verantwortung aus, schließlich entschuldigte man sich ja bereits.

Diese Konstruktion nutzte der rotgrünen Regierung, die Fragen der Moral ja erstmals technokratisch behandelt hat, in vielfacher Hinsicht - man entschuldigte sich als erste deutsche Regierung für das den Hereros in der Kolonialzeit zugefügte Leid, konnte allerdings, eben weil man das tat, alle Entschädigungsansprüche zurückweisen. Ebenso konnten dieser Staat und seine Regierung, inzwischen entschuldigt und geläutert, auch den so genannten Kosovokrieg moralisch rechtfertigen, die Legitimation bezogen sie gerade aus dieser sich selbst attestierten Läuterung: die Nachfahren und Rechtsnachfolger der einstigen Täter müssten und könnten ein "neues Auschwitz" verhindern.

Seither haben viele Deutsche diese Vorgehensweise übernommen. In den letzten Jahren gingen daher auch einige, die NSDAP-Mitglieder waren oder aber den Nazis zugearbeitet haben, an die Öffentlichkeit und schämten sich. Es wurde ihnen verziehen, wenn ihnen "nichts" nachzuweisen war. Der Coup gelang jedes Mal wieder: Man lobte sie für ihre Aufrichtigkeit.

Nur wenige noch können sich bis heute an nichts erinnern. Johannes Heesters etwa hat sich bislang nicht öffentlich geschämt. Wolfgang Benz stellt fest: "Das Publikum blieb Hitlers Künstlern treu, wollte nach 1945 meist nichts davon wissen, dass sie im politischen Raum agiert hatten. Johannes Heesters feierte 2003 seinen 100. Geburtstag. Bei der ARD-Gala war natürlich keine Rede davon, dass er auch einmal das KZ Dachau besucht und dort für die SS gesungen hatte. Und die Berliner Akademie der Künste feierte ihn ein halbes Jahr später noch einmal, ebenso begeistert wie diskret: Die wenigen, die bei allem Jubel vom greisen Sänger nur ein Wort des Bedauerns hören wollten, blieben in der Minderheit."

Das Zitat findet sich in dem Buch "Hitlers Künstler", das im vergangenen Jahr im Insel Verlag erschien. Es basiert auf einer Sendereihe des Hessischen Rundfunks. In nahezu allen Beiträgen werden "Hitlers Künstler" differenziert porträtiert. Richard Strauss etwa, der große Komponist, der von Goebbels zum Präsidenten der Fachkammer Musik in der Reichskulturkammer gemacht wurde, behauptete später, er sei von dem Ruf überrascht worden. Jan-Pieter Barbian weist in seinem Beitrag jedoch nach, dass Strauss sich um den Posten riss.

Dabei, schreibt Barbian, hätte sich Strauss auch verdient gemacht. Seinetwegen kam es zu einer "Neuorganisation des Systems zur Verwertung von Aufführungsrechten an urheberrechtlich geschützten Kompositionen", auch war es Strauss gelungen, die "urheberrechtliche Schutzfrist für musikalische Werke von bis dahin dreißig auf fünfzig Jahre nach dem Tod des Komponisten auszudehnen, was ebenfalls eine uralte Forderung der Komponistengilde war und bis heute geltendes Recht ist". Strauss verschaffte also in seinem NS-Amt seiner "Gilde" einen Vorteil und damit sich selbst.

Gleichzeitig war er nicht bereit, sich von seinem Librettisten Stefan Zweig, der emigriert war, zu trennen, überhaupt zeigte sich Strauss - in privaten Briefen an Zweig, die die Gestapo abfing - als ein Gegner des Antisemitismus. Daher wurde Strauss als Kammerpräsident schließlich abgelöst, gleichwohl konnte seine Oper "Die schweigsame Frau", deren Libretto von Zweig stammte, im Juni 1935 uraufgeführt werden, einen Monat darauf dann trat Strauss zurück - offiziell aus "gesundheitlichen Gründen". Er behauptete in einem Brief an Zweig er "mime" lediglich den Kammerpräsidenten, um "größeres Unglück zu verhüten". Dass er, ein Komponist von Weltruf, der Propaganda diente und dies auch nach seinem Rücktritt noch tat - warum macht ihn das zu "auch" einem Opfer der nationalsozialistischen Kulturpolitik? Barbian bleibt eine Erklärung schuldig. Zweig nahm sich im Exil das Leben, Strauss lebte bis 1949 in Garmisch, bleib nicht nur weitgehend unbehelligt, sondern zugleich erfolgreich.

Einzig Volker Kühn, der sich in seinem Beitrag mit Unterhaltung und Kabarett beschäftigt, kann für all die Opportunisten keine guten Worte finden. Er hält es mit Erich Kästner, einem der wenigen, bei denen das Wort von der "inneren Emigration" wirklich Sinn macht. Kästner meinte: "Das interessante und traurigste Buch, das über das Dritte Reich geschrieben werden muss, wird sich mit der Verderbung des deutschen Charakters zu beschäftigen haben. Niemals in unserer Geschichte hat ein solcher Generalangriff auf die menschlichen Tugenden stattgefunden. Nie zuvor sind Eigenschaften wie Zivilcourage, Ehrlichkeit, Gesinnungstreue, Mitleid und Frömmigkeit so grausam und teuflisch bestraft, nie vorher sind Laster wie Rohheit, Unterwürfigkeit, Käuflichkeit, Verrat und Dummheit so maßlos und so öffentlich belohnt worden." Sieht man einmal von dem für Kästner typischen Pathos ab, so findet man hier eine interessante Aussage - mit der Formulierung "deutscher Charakter" nämlich redet Kästner über etwas, was die meisten Beiträge dieses Buches lieber nicht zu thematisieren versuchen.

Die Beiträger des Buches neigen gemeinhin nicht dazu, das "Dritte Reich" zu verklären, doch wenn man sich mit den Biografien der einzelnen Mitläufer, Opportunistinnen, Mittäter, Täterinnen oder wie immer man sie nennen möchte, ansieht, stößt man immer auf Widersprüchlichkeiten in der Biografie oder auf Identifikationsmöglichkeiten. Hans Moser etwa, der seinen Filmen allen autoritären Gastwirten, Postbeamten oder Vätern immer auch ein rührendes Element verlieh, war "jüdisch versippt" mit seiner Gattin, für die er sich mehrfach um Schutz bemühte, Brigitte Horney bewies auf der Beerdigung eines von den Nazis in den Tod getriebenen Schauspielers Schamgefühl, Helene Riefenstahl hatte sich nichts bei alledem gedacht, Gerhardt Hauptmann war vieles an den ihn verehrenden Nazis zuwider. Gottfried Benn ging auf Distanz und erhielt Schreibverbot. Und sicherlich wurde Heinz Rühmann von seinem Freund Goebbels auch einmal beleidigt.

Doch die Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt wird - Was hättest Du getan? - ist die falsche. Ebenso wie die Frage, inwieweit die Täterinnen und Täter auch Opfer waren, zu einem Urteil über den Nationalsozialismus nichts beiträgt.

Dennoch steht der verdienstvolle Wolfgang Benz mit seiner Frage nach dem möglichen Bedauern der Künstler leider nicht allein. Wem aber würde ein solches Bedauern nützen? Dieweil der steinalte SS-Bänkelsänger Heesters noch heute von jener Popularität profitiert, die er vor allem dadurch erlangen konnte, dass ein Grossteil seiner Konkurrenten ausgeschaltet wurde, sind all jene Künstlerinnen und Künstler, die vertrieben worden sind, bis heute nicht wieder zu einem größeren Publikum gekommen. Die Arbeiten der Expressionistinnen und Expressionisten gelten bis heute als seltsam, der deutsche Schlager konnte und wollte nie mehr an die Tradition der 20er Jahre anknüpfen, die hiesige Architektur findet Albert Speer senior bis heute interessant. Dieser Beispiele sind viele. Der Nachlass von Marika Rökk aber wird gerade im Filmmuseum Berlin präsentiert, und vor diesem Museum ist ein Denkmal für den nie bereuenden Heinz Rühmann aufgestellt.

Eine differenzierte Sicht auf die Täter lenkt weiterhin von ihren Taten ab. Ein spät bereuender Heesters würde vollends zu einem Kronzeugen für das deutsche Jahrhundert werden. Damit jedoch wäre niemandem gedient außer ihm selbst.

Titelbild

Hans Sarkowicz (Hg.): Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
454 Seiten,
ISBN-10: 3458172033

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