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Edgar Hilsenraths Roman "Fuck America" ist als Taschenbuch erschienen

Von Nicole StöckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicole Stöcker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Übrigens - und das unter uns - ist es den Regierungen aller Länder auf diesem Planeten im Grunde scheißegal, ob sie Euch alle umbringen oder nicht. Das Judenproblem ist ihnen zu lästig, und keiner will wirklich was damit zu tun haben. [...] Wir haben genug von Euch Judenbastards in Amerika. Die überfüllen unsere Universitäten, drängen sich in Spitzenpositionen und werden immer frecher. Schicken Sie mir die Antragsformulare zurück, und warten Sie gefälligst dreizehn Jahre." Mit diesem kurzen, jedoch aussagekräftigen Brief des amerikanischen Generalkonsuls an Nathan Bronsky aus Halle/Saale, datiert auf 1938/39, wird dem Leser zu Beginn bereits eine jener hilsenrathschen Injektionen verpasst, die einem noch Stunden später die Nackenhaare zu Berge stehen lassen. In der darauf folgenden "Tagebucheintragung" gibt der Ich-Erzähler, Sohn des Briefeschreibers, zu, den originalen "Wortlaut [...] ein bißchen verändert" zu haben, um "die Wahrheit herauszufinden, die zwischen den Zeilen steht". Es ist das poetische Prinzip der Verfremdung und grotesken Zuspitzung, mit dem der Autor Hilsenrath der furchtbaren Realität zu Leibe rückt und sie entlarvt: Als die Bronskys schließlich nach 13 Jahren wie angekündigt ihre Einwanderungsdevisen erhalten haben, und 1952 als Überlebende der Judenvernichtung nach Amerika kommen, identifiziert Jakobs Vater spontan die Freiheitsstatue mit dem Generalkonsul, den er mit den zwei einzigen Worten Englisch begrüßt, die er kennt: "Fuck America!"

Knappe, alltagsnahe Dialoge, slapstickartige Situationen, Selbstgespräche und Fantasien variieren dieses Thema, das eigentlich über das Exil nichts anderes besagt als: "Wenn du kein Geld hast, dann geht's dir dreckig." Und so schlägt sich Jakob Bronsky eher schlecht als recht durch den Dschungel der Großstadt New York, verdingt sich als Kellner, Nachtwärter und Hundeausführer, lässt sich von billigen Nutten bedienen, klaut Eier und Kaffee seines Nachbarn, während er gleichzeitig bis in die frühen Morgenstunden in der "Emigrantencafeteria" an seinem Roman "Der Wichser" arbeitet. Lakonische Begründung für die Wahl dieses Titels, dessen Inhalt auf Hilsenraths Verarbeitung der Ghetto-Erfahrungen in seinem Debüt "Nacht" anspielt: "Ein einsamer Mann ist immer ein Wichser". Abgesehen davon passt er aber auch ganz gut zur allgemeinen, sexuell aufgeladenen Atmosphäre der Handlung, denn unter den heruntergekommenen Juden, die als Ärzte, Rechtsanwälte und Geisteswissenschaftler nach Amerika auswanderten, ist kaum einer, der sich ein "privates Mädchen" leisten kann. Wenn Bronsky ein Kapitel beendet hat, sich vom Schreiben "erschöpft, aber zugleich merkwürdig glücklich und befreit fühlt", ist alles, was zu seinem Glück noch fehlt, eine gute Nummer. Die aber kostet Dollars ("'ne Negerin fünf Dollars, 'ne

Puertorikanerin sieben, 'ne weiße zehn"), die Bronsky nicht hat. "Zu Hause nahm ich eine kalte Dusche. Es nützte nichts. Ich dachte an Auschwitz. Umsonst." "Fuck America" ist ein böses Stück Satire (nicht nur) auf die amerikanische Gesellschaft, in der Geld und (sexuelle) Macht eine unauflösliche Liaison bilden. Bronsky ist selbst Teil dieser Traumfabrik, in der man in einer billigen Kneipe sitzt, während auf der anderen Straßenseite Liz Taylor und Humphrey Bogart von den Plakaten herunterstrahlen. Sein Traum, als Schriftsteller irgendwann die gebührende Anerkennung zu erhalten, findet seine sexuelle Entsprechung denn auch in der mehrfach ausgemalten Fantasie, es der Chefsekretärin des größten amerikanischen Verlags mal richtig zu besorgen.

Bisweilen mischen sich auch ruhigere Töne in die vom täglichen Überlebenskampf geprägte, rotzige Sprache Bronskys, als er sich vorstellt, Mary Stone, Amerikas berühmteste Psychologin, steige zu ihm aus dem Fernseher und er erzähle ihr sein Leben. Ungezwungen werden hier Realität und Fiktion vermischt: So lässt er denjenigen Teil seiner Seele, den der Holocaust unwiderruflich ausgelöscht hat, in den Körper eines Vierzehnjährigen schlüpfen, um ihm bis in die Gaskammer zu folgen. Der einfache, schlichte Stil dieser Prosaminiatur, der ohne Anklage auskommt, bewirkt, dass die Grausamkeit des Geschehenen umso deutlicher hervortritt. Und obwohl sie Fiktion ist, steht sie für das Anliegen Hilsenraths, hinter der Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden auch die damit verbundenen sechs Millionen Schicksale zu sehen, jedes in seiner Einmaligkeit.

Hilsenrath hieße aber nicht Hilsenrath, würde sein Roman nicht im selben satirischen Tenor enden, in dem er beginnt; sein Talent, Tabus zu verletzen, läuft hier sogar noch einmal zu Höchstform auf: Bronsky stellt sich vor, wie er völlig mittellos nach Deutschland zurückkehrt und vom "Generalsekretär für Schuld und Sühne, der aussah wie ein alter Nazi ohne Uniform", weinend empfangen wird. Es werden ihm Kost, Logis und sogar Frauen gratis zur Verfügung gestellt - ein besseres Umfeld könnte sich Bronsky gar nicht wünschen, um endlich seinen Roman "Der Wichser" zu Ende zu bringen...

Titelbild

Edgar Hilsenrath: Fuck America. Bronskys Geständnis.
dtv Verlag, München 2005.
287 Seiten,
ISBN-10: 3423132981

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