Deine Frau, das ungalante Kreuzworträtsel

Isolde Schaad versucht sich an elf LiteratInnen- und KünstlerInnen-Porträts

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man "vom Einen" reden hört, denkt man gewöhnlich zunächst einmal an das Eine, weniger an den Einen. Der Titel von Isolde Schaads "Porträts aus der Gefahrenzone", welche die Lieb- und Partnerschaften von elf AutorInnen und KünstlerInnen ins Augen fassen, meint beides.

Bei zehn der elf Texte handelt es sich um leicht überarbeitete Fassungen von Beiträgen für Wochen- und Tageszeitungen. Einzig der Text über Martin Walser, den "reifen Meister der Reflexion und der Formulierkunst", ist ein Originalbeitrag.

Noch bevor man beim ersten der Portraits angelangt ist, stößt man sich bereits am angestrengt originell-schnoddrigen Stil der Vorrede. So erwähnt Schaad alleine auf der ersten Seite eine "Ladung Comming-out", ein "schön verkorkstes Sex-Life", und spricht davon, dass sich Jacques Derridas Erkenntnis "ausschweifend theoretisch poetisch aus seiner phänomenalen Gehirnwindung wickelt". Dazwischen propagiert sie eine biografische Lesart von Literatur, denn "das Autoren-Ich [...] gurgelt in allen Sätzen" und "an der Seele baumelt der Leib". Das ist nun wahrhaftig zu viel des nicht einmal Guten auf gerade mal sechzehn Zeilen.

Immerhin, so arg geht es denn doch nicht weiter. Und später, das soll nicht verschwiegen werden, unterlaufen Schaad sogar einige gelungene Aperçus.

Zwar handeln die Portraits dankenswerterweise durchaus nicht ausschließlich von 'dem Einen' zwischen den Geschlechtern, doch nimmt die Autorin immer wieder die Schlüssellochperspektive ein, um einen Blick auf den "erotischen Subtext der Literatur" zu erhaschen. Wobei sie davon ausgeht, dass "das Werk" die "verbindlichste Antwort" auf die Frage gebe, "wer diese Autoren als Menschen und Partnerinnen sind". Damit den lesenden VoyeurInnen auch recht gedient werden kann, nimmt sie zudem wie selbstverständlich "das Recht auf Spekulation" in Anspruch. Abgerundet wird das Ganze mit gelegentlichen kleineren Invektiven gegen die "schnöde Postmoderne" und dann und wann mit einer Prise Antiamerikanismus.

Die von Schaad porträtierten Autorinnen - Simone de Beauvoir, die Sartres "Ungebundenheit" "nicht im genügenden Maße" besessen habe, "um als Denkerin autonom zu sein" und deren Hauptwerk sich daher der "Abhängigkeit von ihren Männern" verdanke, Hannah Arendt, "die Inkarnation der Emanzipation", Elfriede Jelinek, in deren Buch "Lust" die Autorin eine "Todesfuge für die grüne Witwe" sieht, Ingeborg Bachmann, die "Entertainerin der Superklasse", Susan Sonntag, "eine letzte Universalintellektuelle" und schließlich Barbara Sichtermann, eine "Denkhausfrau", "die das Richtige zur falschen Zeit sagt" - könnten, wie die Autorin versichert, "unterschiedlicher nicht sein". Aber, fährt sie fort, "eins teilen sie alle: die Abkehr von der Norm". Hierdurch seien sie, "ohne zu [sic!] es zu wissen, zu Vorläuferinnen einer neuen erotischen Identität [geworden], die zu ihrer Zeit noch keinen Namen hat. Gender, das Geschlecht, das sich sozial definiert." An diesen wenigen Zeilen wäre allerlei auszusetzen. Es sei hier jedoch nur auf zweierlei aufmerksam gemacht. Zum einen ist der Begriff Gender weit davon entfernt, eine "erotische Identität" zu bezeichnen. Als, wie sie sich selbst kennzeichnet, "erschöpfte Altfeministin" und bekennende Anhängerin des "klassischen Feminismus", der "nicht cool ist und nicht hip, und schon gar nicht hybrid, dafür aber mehr denn je berechtigt", glaubt sich die Autorin jedoch offenbar von der Anstrengung enthoben, den Entwicklungen der feministischen Gender-Theorien der Töchtergeneration nachzugehen und füllt den Begriff lieber mit einem eigenen Inhalt. Zum Zweiten war und ist dieser Begriff zu Lebzeiten der genannten Autorinnen durchaus nicht unbekannt. Susan Sonntag etwa verstarb erst kürzlich, Elfriede Jelinek und Barbara Sichtermann leben und schreiben noch munter weiter. Doch die Autorin rechnet sie alle - ebenso wie die von ihr behandelten Herren (neben Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Peter Handke und Marcel Duchamp) - nicht der "Gendergesellschaft" zu, sondern einem "Zeitalter [...], als Mann und Frau aufs Himmlischste oder Teuflischste in einem erotischen Dualismus verstrickt sind, wenn nicht in eine süße Antinomie". So zumindest zu Anfang des Buches. Gegen Ende heißt es hingegen von Marcel Duchamp, er sei der "erste Darsteller der Gendergesellschaft" gewesen, da er sich als Frau namens Rrose Sélavy verkleidete. In Handke wiederum entdeckt sie einen "Vorläufer des Genderdiskurses". Hierfür reichen ein paar Sätze, die seiner Feder Mitte der 1970er Jahre entflossen: "Eine Flucht: eine Frau verfolgt einen Mann. Die verfolgende Frau reisst sich im Laufen die Perücke herab und entpuppt sich als Mann; der flüchtende Mann verliert den Hut und entpuppt sich als Frau, und beide fallen einander in die Arme."

So sehr Schaad Martin Walser und, mit einigen Abstrichen in Hinblick auf das Spätwerk, Hans Magnus Enzensberger auf der einen Seite sowie auf der anderen Elfriede Jelinek und Susan Sonntag auch schätzen mag, ihre Lieblingsautorin (und -feministin) ist zweifellos Barbara Sichtermann. Zwar kann Schaad auch ihr gegenüber ihren Hang zu Despektierlichkeiten nicht zügeln und fantasiert davon, dass sie im Rokoko sicherlich "eine bevorzugte Kurtisane des Königs" gewesen wäre. Doch verbietet sie sich die Vorstellung sogleich. Eine derartige "Mutmaßung" sei unzulässig, da Sichtermanns Anblick "keinerlei unkeusche Assoziationen" wecke. Auch die Titulierung als "Denkhausfrau" des "makellose[n] Common Sense" ist alles andere als herabsetzend gemeint. Bei Schaad darf sie wohl sogar als höchste Anerkennung gelten.

Die Doppel-, ja eigentlich Mehrdeutigkeit des Buchtitels bindet die Autorin in einem Satz über Simone de Beauvoir zusammen. Habe sie an 'das Eine' gedacht, so immer auch an 'den Einen'. Dieser sei nicht etwa Sartre gewesen, sondern Nelson Algren. Auch Bachmann hatte Schaad zufolge einen 'Einen'. Wiederum weiß sie zu überraschen. Nicht Max Frisch, dessen Frauenfiguren "Kreuzworträtsel[n], mit wenig Galanterie" glichen, sei das Objekt der Begierde Bachmanns gewesen, auch nicht Celan, an den man vielleicht denken könnte, der von Schaad aber kaum erwähnt wird, sondern - Hans Werner Henze. Henze aber, den Homosexuellen, "hat sie nicht haben können". Das habe sie später "mit dem One-Night-Stand kompensiert". Allerdings wolle das "niemand in der Kennerrunde" wahrhaben, es sei "zu kompliziert".

Nun, sonderlich kompliziert klingt Schaads Mutmaßung eigentlich nicht, aber sie ist wenig überzeugend. Dennoch mag es ja durchaus sein, dass Bachmann Henze tragisch liebte, wobei Schaad der österreichischen Autorin das Tragische allerdings nachdrücklich abspricht. Vielleicht kam Henze für Bachmann sogar tatsächlich dem nahe, den Schaad als 'den Einen' apostrophiert. Nur sind die hierfür offerierten Belege allzu dürftig. In der Erzählung "Undine geht" - "Es ist klar, dass Undine das Alter Ego von Ingeborg B. ist." - etwa heiße die männliche Figur Hans. Für Schaad ein deutlicher Hinweis auf Hans Werner Henze. Wenn man den Namen überhaupt biografisch lesen will - die Autorin beharrt darauf: "Nun komme man mir nicht mit dem neunmalklugen Einwand, dass Namen nichts zur Sache tun, literarisch" -, so ist noch lange nicht klar, dass Henze gemeint ist. Man könnte vielleicht sogar mit mehr Recht - und dies wurde von literaturwissenschaftlicher Seite auch getan - an Hans Weigel denken, mit dem Bachmann in jungen Jahren eine Affäre hatte. Wenig überzeugend sind auch die weiteren von Schaad ins Feld geführten Belege. Henze, so erklärt sie etwa, habe nicht nur das "Vorbild" für die Figur Trotta in der Erzählung "Drei Wege zum See" abgegeben, sondern stecke "ganz bestimmt" auch in den Figuren Malina und Iwan aus Bachmanns einzigem vollendeten Roman. Sogar dass sie trotz aller Fantasie nicht recht fündig wurde, versteht Schaad in ihrem Sinne zu deuten: "Worüber würde eine promovierte Philosophin am wenigsten diskutieren wollen, wenn nicht über ihre Liebe zu einem Homosexuellen." Das allerdings ist wirklich ein unschlagbarer Beweis.

Titelbild

Isolde Schaad: Vom Einen. Literatur und Geschlecht. Elf Portraits aus der Gefahrenzone.
Limmat Verlag, Zürich 2004.
187 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3857914653

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