Lieber runterkippen

Eine kurze Polemik gegen das Krimigenre

Von Peter O. ChotjewitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter O. Chotjewitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Befragt, wie ich heute zu einer früheren, abfälligen Bemerkung über das Genre Kriminalroman stehe, will ich mich kurz um die gebotene Relativierung meines Pauschalurteils kümmern.

Statistisch betrachtet gibt es vermutlich nicht mehr öde Kriminalromane, als öde Gedichte, Familienromane, Essays und Theaterstücke. Meine Schwierigkeiten sind eher logistischer Natur. Es gibt einfach mehr allgemeine Belletristik, sodass die Wahrscheinlichkeit, einen lesbaren Roman, der kein Krimi sein will, zu finden, erheblich größer ist, als die, einen Krimi zu finden, der ein lesbarer Roman sein will.

Hinzu kommt: Der Krimi ist ein relativ junges Genre, nur knapp 200 Jahre alt. Als Leseratte kann ich dagegen auf einen literarischen Fundus zurückgreifen, der Jahrtausende alt ist. Beim Krimi ist das nicht so einfach. Die paar alten Texte, die die Grundzüge des Krimis vorwegnehmen, im alten Testament etwa, kennt man bald auswendig. Man muss schon Dietrich von Bern für eine Krimifigur und das Nibelungenlied für einen Kriminalroman halten, um den Kanon etwas zu erweitern.

Genau betrachtet, stört mich an den meisten Krimis, dass sie literarischer Mist sind. Es gibt zwar gute, also literarisch spannende Krimis, aber davon gibt es zu wenige. Ich mag nicht andauernd den dünnen Mann lesen oder mich daran erfreuen, dass Venedig sehr kalt sein kann.

Die literarische Qualität stelle ich absichtlich in den Vordergrund. Es ist erwiesen, dass Elemente wie Handlung, Spannung, Aktualität und gesellschaftliche Realität bedeutungslos sind, wenn ein Roman gut geschrieben ist. Nehmen wir Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften". Was passiert in dem Buch?

Alles was man über diesen Roman sagen kann, ist, vereinfach gesagt, dass er verdammt schwer zu lesen ist, und dass man ihn ganz langsam lesen muss. Sobald man ihn etwas zu schnell liest, wird er verdammt langweilig. Total spannend wird er erst, wenn man ihn Satz für Satz, Wort für Wort, quasi auf der Zunge zergehen lässt. Einen einigermaßen akzeptablen Text muss man zu sich nehmen wie einen trinkbaren Wein. Also erst mal schnüffeln, dann auf der Zunge zergehen lassen etcetera. Dass die Romane von Martin Walser oder Günter Grass, um nur zwei Beispiele zu geben, für diese sozusagen literarische Weinprobe ungeeignet sind, sagt alles über ihre Qualität aus. Der Unterschied zwischen guter und schlechter Literatur ist ganz einfach festzustellen: Die eine wird besser, wenn man sie langsamer liest und die andere muss man schnell runterkippen, sonst wird einem sofort schlecht und nicht erst hinterher.

Vor einigen Jahrzehnten kam im Literaturbetrieb die Mode auf, die Bücher in Kategorien einzuteilen. Die Kategorien hießen leicht verständlich, mittelschwer, anstrengende Lektüre, verdammt schwierig, unlesbar und so weiter. Dass es Romane gibt, die gleichzeitig leicht verständlich und total unlesbar sind, entging den literarischen Einteilern damals. Heute gibt es fast nur noch solche Romane und die wenigsten von ihnen können sich damit rausreden, sie seien Kriminalromane oder für Jugendliche geschrieben oder hätten eine viel zu wichtige Botschaft, um schwer verständlich zu sein.

Erwähnte ich schon, dass man heute Verlagsprogramme sieht, die ausschließlich aus Krimis zu sein behaupten? Der Krimi entwickelt sich zum Primärsektor. Dagegen habe ich keine prinzipiellen Einwände, auch wenn ich weiß, dass es Stoffe gibt, aus denen man beim besten Willen keinen Krimi machen könnte. Es gibt einfach Fälle, wo kein Detektiv auftritt und die rumliegenden Leichen nicht obduziert werden müssen. Und auch die Beschreibungen der Zimmerpflanzen im Polizeirevier sind nicht immer abendfüllend.

Nun gut, es gibt offensichtlich Leute, die leicht verständliche Literatur nur vertragen, wenn geschossen wird. Sie sind zu faul für einen guten Text, sagen wir von Raymond Queneau oder wenigstens für ein ordentliches Sachbuch und so nehmen sie lieber einen Roman, der sie dazu auffordert, rasch über seine Seichtigkeit hinwegzuhuschen, weil es sowieso nur darum geht zu erfahren, wer die Leiche auf dem Hochsitz war und wie sie dort hinaufgekommen ist. Da kann die literarische Darstellung noch so bescheuert sein.

Habe ich mich je beschwert?

Sofern dieser Eindruck entstanden sein sollte, erkläre ich hiermit noch einmal: Es ist mir egal was die Leute mit dem Kronleuchter und dem Ferrari im Nachbarhaus lesen, welche Bücher Herr Reich-Ranicki, Frau Dorn und Frau Heidenreich empfehlen, und meinswegen können meine Kolleginnen und Kollegen die Welt mit ihren Krimis nur so zupflastern.

Das bisschen, was ich zum Lesen brauche, schreibe ich mir selber, und wenn ich zu faul bin, les ich mal wieder vielleicht Gottfried Keller oder Anton Cechov oder Grimmelshausen oder Jean de Meung oder Robert Walser. Es gibt so viele gute Bücher, und hat Arno Schmidt nicht ausgerechnet, wie viel hundert Jahre ich alt werden müsste, um sie alle zu lesen?

Peter O. Chotjewitz arbeitet seit 1965 als freier Schriftsteller. Er las in der Gruppe 47, erhielt verschiedene Preise und Stipendien, schreibt heute u. a. für den Verbrecher Verlag, die Jungle World und Konkret und veröffentlichte zuletzt:

Titelbild

Peter O. Chotjewitz: Alles über Leonardo aus Vinci.
Europa Verlag, Hamburg 2004.
448 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3203759756

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