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Grabmalskulpturen in der Frühen Neuzeit

Von Tanja MöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tanja Möller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie lieben die bunte Welt von Klatsch und Tratsch, der Reichen, Berühmten und Mächtigen? Politische Intrigen verfolgen Sie mit Spannung? Wenn Sie darüber hinaus noch ein Faible für Grabmäler der Frühen Neuzeit haben, werden Sie wohl kaum um den von Arne Karstens und Philipp Zitzlsperger herausgegebenen Aufsatzband "Tod und Verklärung" herumkommen. Das rund 300 Seiten starke Werk stellt Ergebnisse eines von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderten und mit der Erforschung von römischen Papst- und Kardinalsgrabmälern der Frühneuzeit beschäftigten Requiem-Projekts vor.

Insgesamt 14 Aufsätze gehen den unterschiedlichsten Memoria- und Grabmalstrategien nach, wobei der Fokus der Auseinandersetzung auf der römischen Gedächtniskultur des Cinque- und Seicento liegt. Die Kombination kunstgeschichtlicher und politisch-soziologischer Fragen erweist sich dabei als höchst fruchtbar und eröffnet neue Perspektiven frühneuzeitlicher Memoria-Strategien. So zeigt die Publikation, als wie zentral und vielfältig die Frage nach Identität und Image, nach dem (häufig auseinanderklaffenden) Selbst- und (manipulierten) Fremdbild gerade in Bezug auf die Gestaltung der Grabmäler einzuschätzen ist und dass der Begriff der Memoria nicht nur eine religiöse Funktion, sondern zugleich auch eine höchst irdische Dimension besitzt.

Volker Reinhardt skizziert in seinem am Anfang des Bandes stehenden Aufsatz die Ursachen der grundlegenden Bedeutung von Grablegen, den Begräbnisstätten der römisch-kurialen Elite, für die Definition der sozialen Selbst- und Fremdwahrnehmung dieser Elite: Indem das Grabmal die Funktion übernimmt, den Nachweis über unvergleichliche Verdienste und Gottesnähe zu erbringen, wird es zum irdischen Instrumentarium der Familienpropaganda und dient fortlebenden Nepotengeschlecht.

Auf nahezu exzentrische Weise nimmt sich Birgit Emrich dem Thema der Papstmemoria an: Am Beispiel der nördlichsten Provinz Ferrara, die keinerlei päpstliche Grabmäler aufzuweisen hat, zeigt sie, dass auch eine "grabmalfreie" Zone für die Grabmalforschung von Interesse sein kann. Anhand einer Untersuchung von heraldischer Präsenz, Gedenkmünzen und Bildnissen gelingt ihr der Nachweis, dass Papstmemoria eine durchaus bedeutende Rolle im politischen Alltag spielen konnte. Und nicht nur Emrichs Herangehensweise ist ausgesprochen originell, ihr Aufsatz besticht zudem durch eine überaus klare Sprache und einen spannenden Aufbau. Eine Beurteilung, die auch für den nachfolgenden Beitrag von Daniel Büchel gilt, der sich einer weiteren Form der Memoria jenseits des Grabmals widmet. Auch sein Aufsatz geht der nachträglichen Manipulation von Vergangenheit durch die Papstfamilien und deren Instrumentalisierung im Dienste der Gegenwart nach - allerdings nicht in Form von Grabmonumenten, sondern durch aus heutiger Sicht abstrus wirkende Stammbaumkonstruktionen, deren fantasievolle Auswüchse einen aufschlussreichen Blick auf das Geschichtsverständnis der frühneuzeitlichen Gesellschaft gestatten. Diese fingierten Genealogien sollten einer als unstandesgemäß empfundenen Traditionslosigkeit entgegenwirken und als Legitimation der eigenen gesellschaftlichen Stellung gegenüber den alteingesessenen Adelsfamilien dienen. Sie bildeten somit ein wichtiger Bestandteil politischer und sozialer Propaganda. Die flüssig lesbare, souverän humorvolle und mitreißende Darstellung macht auf äußerst angenehme Art deutlich, dass eine Abkehr vom häufig drögen Wissenschaftsjargon nicht gleichzeitig das Gegenteil von wissenschaftlicher Arbeit bedeuten muss.

Dass ein Grabmal tatsächlich in der postpontifikalen Phase zu einem kunstpolitischen Schachzug werden kann, zeigt Carolin Behrmann anhand des von Gianlorenzo Bernini erschaffenen Grabmals für Urban III., dessen Stiftung letztlich erfolgreich zur Rehabilitation der ökonomisch insolventen und politisch ohnmächtigen Papstfamilie Barberini führte.

Der Formenikonografie widmen sich die folgenden zwei Aufsätze: Barbara Ullrich untersucht die Planungen Guglielmo Della Portas für ein Grabmal Kaiser Karls V. und arbeitet dabei die Dichotomie von päpstlicher und kaiserlicher Formensprache heraus. Die Ursachen der Sansovinogräber im Chor von S. Maria del Popolo zu ergründen, ist das Anliegen des nachfolgenden Aufsatzes von Philipp Zitzlsperger. Warum stiftete Julius I. della Rovere seinem ehemaligen Konkurrenten Ascanio Maria Sforza ein derart exklusives Grabmal in der römischen Kirche? Als erkenntnisbringend erweist sich auch hier die Formenanalyse: Als erstes in der römischen Geschichte rezipiert das Grabmal die venezianische Sonderform des Triumphbogenmotivs und wird so zum Dokument einer besonderen Form visueller Langzeit-Politik, die die Bündnisachse Mailand-Venedig-Rom als Schutz vor transalpiner Fremdherrschaft besiegeln, die politische Allianz fundamentieren und durch seine Prachtentfaltung veranschaulichen sollte.

Äußerst spannend entfaltet sich auch der Beitrag von Dietrich Erben zur Gattungsbestimmung und zur Rezeption des Grabmals. Ein Aufsatz, der in seinen Erkenntnissen derart grundlegend erscheint, dass es ein wenig verwundert, warum er erst in der Mitte des Aufsatzbandes platziert ist. Über einen Vergleich mit der Entwicklung der Sepulkralmusik am Beginn der Frühen Neuzeit gelingt es ihm, eine Grundtendenz zu verdeutlichen, die er im Weiteren auch für die visuelle Grabmalkultur erörtert: das dezidiert profane Verständnis von Grabmalskunst. So werden, parallel zur musikhistorischen Entwicklung, auch die Grabmäler der Frühen Neuzeit jeglicher liturgischen Funktion entbunden. Als Bauaufgabe, so zeigen die unterschiedlichsten Einblicke in die einschlägige Traktatliteratur, wird das Grabmal im Laufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts der "architectura privata" und später der "architectura civilis" zu- und somit die sakralen den weltlichen Funktionen untergeordnet. Der mit dieser Einordnung maßgeblich verbundene zeitgenössische Blick auf Grabmäler wird am Beispiel eines ikonoklastischen Vorstoßes gegen das römische Prälatengrab des Agostino Favoriti in S. Maria Maggiore (Rom) erläutert, in dem sich 1684 das profane, von der Tagespolitik beeinflusste und in diesem Fall militant gesteigerte Verständnis eines Grabmals zeigt. Dass diese zunehmend profane Konnotation des frühneuzeitlichen Grabmals negative Auswirkungen auf seine liturgische Funktion haben musste, erscheint plausibel. Der genaue Zeitpunkt der Emanzipation des Grabmals von der liturgischen Totenmemoria hin zum profanen Memoria-Monument, so der richtige und instruktive Hinweis Zitzlspergers im Vorwort, ist derzeit noch ein Forschungsdesiderat.

Einen Grenzfall zwischen den Zeiten beleuchtet der Aufsatz von Sible de Blaauw anhand des Grabmonuments des Kardinals Francisco Quiñones in S. Croce in Gerusalemme. Die Kombination von schlichtem Bodengrab und Sakramentstabernakel erscheint als Korrekturmaßnahme gegen die allzu profane persönliche Memoria römischer Würdenträger, die den Altarraum zu vereinnahmen drohte.

Der bis dato nahezu ausschließlich auf Rom gerichtete Fokus erhält durch Gregor Rohmann eine aufschlussreiche Erweiterung: Sein Blick auf das protestantische Norddeutschland - genauer: auf die Hansestadt Hamburg - macht deutlich, wie stark die Gedächtniskultur von sozio-kulturellen Bedingungen abhängig ist. So zeigt Rohmann, dass die eigenen Grabsteine als Ausdruck dynastischer Repräsentation für die Hamburger Oberschicht der Frühen Neuzeit offensichtlich weitaus weniger relevant waren als eine prestigeträchtige Grabstelle innerhalb des Kirchenraums. Und diese interessierte auch weit mehr für den ephemeren, aber propagandaträchtigen Gebrauch am Tag der Bestattung, anstatt für eine generationenübergreifende Repräsentation.

Einem weiteren Sonderfall innerhalb der römischen Gedächtnisstrategien widmet sich Arne Karsten mit seiner Betrachtung einer im Vergleich mehr als eigentümlichen Grabmalinstallation im Dienste der Gedächtnisinszenierung. So ließ sich die römische Adelsfamilie Santacroce in ihrer Patronatskirche S. Maria in Publiculis gleich zwei Grabepitaphe erschaffen: Dem der weltlichen Familienangehörigen wurde auf der gegenüberliegenden Chorseite ein entsprechendes Pendant für die Kardinäle des Hauses gegenübergestellt. Auf diese Weise entstand eine Ahnengalerie, in der die jahrhundertealte Familientradition durch den Verweis auf alle herausragenden Vertreter lückenlos dokumentiert ist und deren Prestigeakkumulation im Gegensatz zu dem üblichen Gebaren der römischen Oberschicht steht, deren Gedächtnisstrategien trotz ihrer fingierten Genealogien eher qualitativ als quantitativ ausgerichtet waren.

Wie widersprüchlich die Antworten auf die zentralen Fragen der Memoria-Forschung ausfallen können, zeigt auch der anschließende Beitrag von William Barcham mit seiner Analyse der sozialen und politischen Hintergründe, die zur Entstehung von Berninis Cappella Cornaro in S. Maria della Vittoria führten: So ließ der resignierte venezianische Kardinal Federico Cornaro in der bei hohen kurialen Amtsträgern äußerst beliebten römischen Kirche auf beiden Seiten "seiner" Kapelle seine Vorfahren präsentieren, um so durch die kollektive Leistung seiner Familie seine eigenen Ambitionen auf den Papstthron zu legitimieren und diesen Nachdruck zu verleihen.

Dem Papstgrabmal widmen sich die letzten drei Aufsätze des Bandes, und dies glücklicherweise sehr facettenreich unter unterschiedlichen Fragestellungen. Hannes Roser wirft einen interessanten Blick auf das Grabmal Innozenz' VIII., das mit seiner Integration einer Thronfigur in ein Grabmal mit Liegefigur einen Paradigmenwechsel in der Entwicklung des Papstgrabmals darstellte. In dieser ungewöhnlichen Gegenüberstellung ist der Tote dem Lebendigen übergeordnet, was von Roser als Ausdruck der Hoffnung auf Erlösung, wenn nicht gar der Heilsgewissheit gedeutet wird. Vor allem aber handelte es sich auch um einen geschickten Schachzug, denn aufgrund der innovativen Grablege gelangte einer der schwächsten und erfolglosesten Päpste des 15. Jahrhunderts zu einer Berühmtheit, die wohl in keinem Verhältnis zu seinen Leistungen zu Lebzeiten stehen dürfte.

Das Grabmal Pauls III. Farnese von Guglielmo della Porta analysiert der Beitrag von Andreas Gormans. Im Fokus seiner Betrachtung steht dabei die programmatische Konzeption der auf den beiden Bordüren des Pluviales angeordneten mosaischen Reliefs als Medium der Selbstdarstellung. Besonders interessant ist an Gormans Interpretation der Einbezug der bis dato noch relativ wenig berücksichtigten Person des Künstlers.

Und auch der abschließende Aufsatz von Nicole Hegener greift den Aspekt der Künstlerperspektive nochmals auf. Anhand der beiden Medicigrabmäler für Leo X. und Clemens VII. in S. Maria sopra Minerva gelingt es ihr nicht nur, die bewegte Planungs- und Baugeschichte der Zwillingsmonumente nachzuzeichnen, sondern auch den Einfluss des Hofbildhauers der Medici, Baccio Bandinelli, herauszuarbeiten und entsprechend zu würdigen.

Dennoch - trotz der Vielzahl der hochkarätigen und spannenden Beiträge bleibt ein Wermutstropfen: Um bei dem eingangs gewählten Bild der "Yellow Press" zu bleiben: Die leider häufig schlechten Schwarz-Weiß-Bilder erinnern zuweilen an Paparazzi-Fotografien und vermögen kaum mehr als einen schemenhaften Eindruck des Beschriebenen zu vermitteln. Ebenso unverständlich erscheint die Tatsache, dass bei den insgesamt ohnehin nur drei Abbildungen, die den Aufsatz von Gregor Rohmann zu den Hamburger Gräbern illustrieren, alle die falsche Bildlegende tragen (so gehört die Bildunterschrift der ersten Abbildung zur Abbildung 2, deren Bildlegende wiederum beschreibt eigentlich die dritte Abbildung, unter der sich jedoch die Beschriftung der ersten befindet). Hervorzuheben ist aber dafür das wirklich exzellente Literaturverzeichnis, das den insgesamt doch positiven Gesamteindruck abrundet.

Kein Bild

Philipp Zitzlsperger / Arne Karsten (Hg.): Tod und Verklärung. Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit.
Böhlau Verlag, Köln 2004.
312 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3412143030

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