Rätsel über Rätsel

Ian Rankin hat sich einen meist betrunkenen schottischen Helden zurechtgeschrieben: John Rebus ermittelt...

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Können Bücher nichts taugen, in denen der Held nebenbei und ganz selbstverständlich Musik von Van Morrison, Robert Wyatt, R.E.M., The Clash, Bob Dylan, Rolling Stones, Jethro Tull und anderen hört? Eigentlich nicht. Können Romane was taugen, in denen die Helden die meiste Zeit in Pubs sitzen und ein Pint nach dem anderen in sich hineinschütten, um gelegentlich einen Whisky nachzulegen? Eigentlich nicht. Zumindest meine Leber rät mir zu diesem Urteil. Aber höchstwahrscheinlich hat meine Leber hier überhaupt nichts zu wollen, denn in Sachen Krimi spielen andere Organe die Hauptrolle. Und solange sich nur die Hauptfigur in den Abgrund säuft, ist das für die Leser vergleichsweise gesund. Literarisches Ambiente - auch ein solches - hat jedenfalls noch zu keinen Schäden geführt. Ganz im Gegenteil, es ist heutzutage nicht weniger wichtig als die einschlägige kriminologische Handlung selbst.

Ian Rankin weiß anscheinend ziemlich genau, was er seinem Romanhelden John Rebus alles zumuten muss, damit er in und außerhalb des United Kingdom ankommt. Zumal John Rebus sein Spielfeld nicht im schönen London und auch nicht im ländlichen England hat, sondern im fernen schottischen Edinburgh. Schottische Probleme sind ja bekannt: Übergewichtige Bürger mit den dazugehörigen Zivilisationskrankheiten, verursacht von zu viel Fish-and-Chips, Alkohol und zu wenig Bewegung - bei dem Regen da kein Wunder. Angeblich hat die schottische Regierung jüngst ein Sport- und Gesundheitsprogramm ins Leben gerufen, um solcher Probleme Herr zu werden, die ja nicht nur einen hässlichen Anblick bieten, sondern auch weitere gesellschaftliche Nachteile haben. In Rankins Romanen ist davon das eine oder andere zu lesen.

Nicht zuletzt hat John Rebus damit zu kämpfen - einerseits. Andererseits aber liebt er es, in seinem Pub - dem Ox - zu sitzen, die Whisky-Flaschen anzustarren und sich nach und nach um den Verstand zu saufen. Zumindest für diese eine Nacht. In dem neu erschienenen Roman "Das Souvenir des Mörders" erinnert er sich daran, als junger Mann einen etwa Fünfzigjährigen auf der Straße gesehen zu haben, der sich volltrunken an eine Straßenlaterne geklammert hatte. Heute sei er selbst dieser Mann. Eine Vorstellung, die ihm gefällt. Nur kurze Zeit - für diesen Roman - wird er nüchtern. Immerhin muss er mit einem trockenen Alkoholiker als Partner ermitteln, und das färbt ab. Am Ende kochen die beiden Jungs sogar in Rebus' Wohnung zusammen - eine Premiere nach der obligatorischen Scheidung des ermittelnden Detective Inspector. Wie wir aus dem biografisch späteren Roman "Die Tore der Finsternis" - ebenfalls kürzlich beim Goldmann Verlag erschienen - wissen, ist das aber nicht von Dauer. Da wird dann wieder fleißig in Pubs zum Mittag das eine oder andere Bier gezischt. Solchen Belastungen muss nicht einmal Donna Leons Commissario Brunetti standhalten. Und selbst die berühmten Vorgänger bei Chandler und Hammett, die gleichfalls einen guten oder schlechten Tropfen (Hauptsache Tropfen) zu schätzen wussten, waren im Vergleich dazu eher gemäßigte Trinker. Aber in einer fiktiven Gesellschaft, in der es dem Abstinenzler misslingt, eine Kollegin abzuschleppen, weil die einem Mann, der keinen Alkohol trinkt, nicht vertrauen kann, ist anderes kaum zu erwarten. Außer, dass das hoffentlich nur ein fiktives Schottland ist.

Mittlerweile sind elf von Rankins Rebus-Romanen bei Goldmann erschienen. Wir haben also inzwischen einen einigermaßen umfangreichen Kosmos vor uns, in dem dieser Held lebt, lernen seine Freundinnen kennen, die dann seine Vorgesetzten werden, sehen DS Siobhan Clarke in seine Fußstapfen treten - für Nachfolge ist also selbst bei der unvermeidlichen Leberzirrhose gesorgt - und folgen ihm selbstverständlich auch bei der Auflösung seiner Fälle.

Rankin macht es sich mit ihnen nicht leicht, dafür es uns freilich angenehm. Die Schockeffekte halten sich in Grenzen, Gott sei Dank. Rebus ist als gleichermaßen leidenschaftlicher wie sensibler Ermittler (der eigentliche Grund seiner Trinkleidenschaft) gezeichnet und weiß deshalb stets auch seiner tiefen moralischen Abscheu Ausdruck zu verleihen, wenn es denn das Verbrechen hergibt. Aber wir müssen nicht erst noch zu Tode erschreckt werden, um solche Urteile zu teilen. Und der Niedergang der Gesellschaft braucht auch nicht unbedingt noch einen weiteren Extrembeleg. Also keine Überbietung um jeden Preis, sondern lediglich ein einigermaßen stabiles moralisches Gerüst, mit dem jeder denkbaren Missetat zu begegnen ist.

Meist werden die Fälle breit aufgestellt oder mehrere werden parallel bearbeitet, die schließlich unerwartet zu einem einzigen gemeinsamen führen. Oft besteht ein Zusammenhang zwischen einem neuen Fall und einem alten, unaufgelösten. Immer sind die Verflechtungen kompliziert, nur langsam und unter größtem, auch persönlichem Aufwand zu ermitteln. Die Fälle müssen deshalb im Kern nicht notwendig neu sein. Serienmord - selbst der eines Nachahmers - oder Polizeikorruption sind nicht wirklich unüblich. Aber Rankin gelingt es trotzdem, alles so einzupacken, dass eine höchst unterhaltsame Lektüre möglich wird. In "Das Souvenir des Mörders" etwa ist nicht nur Rebus hinter einem Killer namens Johnny Bible her, nein, auch dessen Vorbild, Bible John, findet seinen Nachfolger alles andere als legitim. Und in "Die Tore der Finsternis" bleibt es bis zum Schluss unklar, ob Rebus undercover gegen drei korrupte Kollegen ermittelt, oder ob er mit ihnen gemeinsam auf einer Zwangsfortbildung seinen eigenen Fehltritt aufdecken soll. Double bind ist immer eine schöne, die Handlung antreibende Technik. Egal was er macht, es ist falsch.

Auch die Basis, die Rankin seinem Rätselrater gibt, ist nicht der allerneuste Schrei: Im US-Western nennt man solche Figuren den "loneliner", also jemanden, der als notorischer Einzelgänger letztlich allein gegen alle antreten muss. Selbst der wenigen Freunde, die er hat, kann er sich lange Zeit nicht sicher sein - glaubt er wenigstens. Regeln sind dazu da, - falls notwendig - gebrochen zu werden, Kollegen sind zudem meist auf der falschen Fährte, Vorgesetzte ohnehin nur am schnellen Erfolg interessiert, auch wenn es der falsche ist. Aber auch hier bekommt Rankin einen eigenen Schnitt hin, der Rebus zu einer Figur macht, der man - wenigstens im Roman - immer wieder gern begegnet. Statt cool ist er bärbeißig und hilflos (ein Halbbruder von Mankells Wallander, aber weniger aufdringlich in seiner Kulturkritik). Selbst die notorischen polizeiinternen Untersuchungen gegen Rebus nimmt man hin, auch wenn man sich gelegentlich fragt, wie lernfähig die Oberen in der Polizeihierarchie sein können, wenn sie immer wieder auf dieselben blöden Ideen kommen. Und das gegen einen ihrer Besten. Die Halsstarrigkeit, mit der Rebus jedenfalls immer wieder aufgelöste Fälle ein weiteres Mal und dann erst richtig löst, ist jedenfalls der Grund, weshalb nach dem letzten dann auch der nächste Band aus dem Buchgeschäft getragen wird. Der Mann nörgelt, ist permanent betrunken und eigentlich unzurechnungsfähig; dass er sich schlecht kleidet, ist nur der Normalfall männlicher Verwahrlosung im Kriminalroman. Wahrscheinlich riecht er nicht einmal erträglich, aber er ist ein guter Krimi-Held, der für die Auflösung seiner Fälle regelmäßig mit der eigenen Haut einstehen muss. Und nur knapp mit ihr davonkommt. Das ist ok, denn der nächste Band steht immerhin noch aus, oder?

Nur noch ein Letztes: Es wird viel über deutsche Filmtitel geschimpft, was aber ist mit deutschen Buchtiteln? "Das Souvenir des Mörders" heißt im Englischen "Black & Blue" und "Die Tore der Finsternis" "Ressurection Men". Nicht dass die englischen Titel auf Anhieb irgendwas aussagen würden über die Bücher, die sie ankündigen, aber die deutschen Titel? Schaurig.

Titelbild

Ian Rankin: Das Souvenir des Mörders. Ein Inspector-Rebus-Roman.
Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini.
Goldmann Verlag, München 2005.
607 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-10: 344244604X

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Titelbild

Ian Rankin: Die Tore der Finsternis. Ein Inspector-Rebus-Roman.
Aus dem Englischen von Claus Varrelmann und Anette von der Weppen.
Goldmann Verlag, München 2005.
542 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-10: 3442458331

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