Surfen im Grünen

Lakonisches aus den Logbüchern von Sarah Kirsch

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der DDR hatte sie einst als junge Lyrikerin ihren eigenen Ton gefunden und 1968 mit ihrem ersten Gedichtband "Landaufenthalt" auf sich aufmerksam gemacht. Peter Hacks prägte den vielzitierten spöttischen Ausspruch vom "Sarah-Sound". Marcel Reich-Ranicki lobte Sarah Kirsch über die Maßen und verlieh ihr den ehrenwerten Titel "der Droste jüngere Schwester".

1977 hatte sie im Zuge der Biermann-Ausbürgerung der DDR den Rücken gekehrt, um sich später in Schleswig-Holstein auf dem Lande niederzulassen. "Es war das Licht dort" äußerte sie sich dazu in einem Interview. Seither lebt Sarah Kirsch "in Weltrand" in einem ehemaligen Dorfschulhaus. Den Untergang des "wärmenden Ländchens" DDR hat sie aus der Ferne mit angemessener Anteilnahme und ohne politische Schmerzen verfolgt. Im Gegenteil: Aus der Distanz der Jahrzehnte zeichnet sich der poetische wie politische Weg der Sarah Kirsch in deutlicher Klarheit ab. Der scheinbare Rückzug auf das Land knüpft in Wirklichkeit an ihre Anfänge an. Schmerzhaft hatte sie als Studentin feststellen müssen, dass ein Studium der Biologie sich nicht wie erhofft mit dem Wald, sondern mit auszurechnenden Festmetern Holz beschäftigt.

Mit "Kommt der Schnee im Sturm geflogen" legt Sarah Kirsch eine weitere Sammlung Prosa vor. Sie durchfiltert die Bilder und Gerüche ihrer Wahlheimat und kommt zu eindrucksvollen Beobachtungen. Immer wieder dringt die Welt in Kirschs Eremitendasein, stellen sich Erinnerungen wie zum Beispiel an ihr "entsetzliches Hochhaus voller Genossen und Spitzel" in Ost-Berlin ein. Das Ganze eher in Form von Andeutungen. Kirschs Poesie ist nicht von maßloser Plauderei beherrscht, sondern vom Hinsehen. Genaueste Beobachtung zeitigen Notizen, die gesammelt, verarbeitet und mit lakonischen Eindrücken versehen werden. Umso erstaunlicher der gewaltige Sog, der von dieser minimalen Prosa ausgeht, die selten den Umfang von einer Seite überschreitet. Kennzeichnend ist die Leidenschaft, mit der sich Sarah Kirsch ihren Texten widmet: "Habe an Texten gesessen, Allerlei aus dem Journalergebiet herausgefischt und mit Luft verschnitten. Das ist herrlich, vergeht das Leben im Traum. Was du liest, was du denkst, was du hörst bei der Arbeit - alles in mindestens drei Etagen was du erlebst".

Diese Mehrdimensionalität der künstlerischen Verarbeitung von Eindrücken bezieht alle Sinne der Wahrnehmung mit ein. Meisterhaft versteht es Sarah Kirsch, in scheinbar dahinskizzierten Sätzen einen großen Spannungsbogen aufzuziehen. Mit Worten arbeitet sie gerne und nicht nur, wenn sie sich mit dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm beschäftigt: "Ich surfe nicht im Internet, ich surfe im Grimm. Bleibe an seltensten oder gebräuchlichen Wörtern hängen, die hellen die dunkelen Landschaften zu verschiedenen Zeiten tun sich auf über Stunden". Fernseher, Fax, Kopierer, CD, Laptop sind technische Hilfen, die in Kirschs Prosa als Hilfsmittel angedeutet sind. Und dennoch lebt die Dichterin gerne und sehr bewusst in ihrer ländlichen Einöde, der sie immer wieder aufs Neue Bilder zu entreißen vermag. Kirschs Prosa ist in ihrer genauen Beobachtung souverän genug, um auf Provokationen nicht angewiesen zu sein. Von der Schärfe ihres Blicks und der Genauigkeit, das Beobachtete ausdrücken zu können geht jener eigentümliche Zauber ihrer Poesie aus und verkörpert das Paradoxon eines fragilen Gewichts. Oft findet sich eine Konfektstruktur - mehrere voneinander unabhängige Bilder oder Beobachtungen werden in einem Text zusammengeführt und sorgen für eine beiläufige Kenntnisnahme: "Maurizio der Schneewanderer kocht halbseidene Klöße. Ich schreibe am Logbuch. Sechzehnuhrsieben versinkt eine knallrote Sonne über dem Schnee und im Eckschrank. Die Vögel haben den ganzen Tag um ihr Leben gefressen am Vogelhaus".

Sarah Kirsch, eine unpolitische Dichterin vom Lande? Als Anfang der 90er Jahre die Zusammenführung der beiden deutschen Akademien der Künste in Berlin beschlossen wurde, winkte sie ab. Dem Präsidenten Walter Jens gegenüber verwahrte sie sich über eine derartige Zuwahl. Diese sei "unter waltenden Umständen weiß Gott! keine Ehre. Ich lehne ab. Wird diese Akademie doch in absehbarer Zunkunft eine Schlupfbude für ehemalige Staatsdichter und Zuträger der Staatssicherheit sein".

Sarah Kirsch ist nicht nur eine sehr gute, sondern auch eine ungewöhnlich mutige Dichterin.

Titelbild

Sarah Kirsch: Kommt der Schnee im Sturm geflogen. Prosa.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005.
68 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3421058660

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