Im Sog der Zeiten

Kate Mosses dritter Roman "Das verlorene Labyrinth"

Von Katja HesmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Hesmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Hauch von Mystik, religiös-fanatischer Sektenkult, geheimnisvolle Sagen, historische Atmosphäre und natürlich Ringe und Ringträger: Diese erfolgversprechenden Zutaten verarbeitet die englische Schriftstellerin Kate Mosse in ihrem aktuellen historischen Roman "Das verlorene Labyrinth".

Die Autorin legt ihrem Werk die Gralslegende zugrunde, die spätestens seit "Indiana Jones III" einem breiten Publikum bekannt sein dürfte. Doch im Gegensatz zu "Indi" spielen bei Mosse zwei Frauen bei der Suche nach dem Gral und dem Geheimnis der Unsterblichkeit die Hauptrolle.

Die Handlung ist in der südfranzösischen Stadt Carcassone, deren näherer Umgebung sowie in Chartres angesiedelt. Auf diesem Terrain bewegen sich die beiden weiblichen Hauptfiguren Alice und Alaïs, allerdings zu ganz unterschiedlichen historischen Zeitpunkten. Doch beider Schicksale - die ähnlich lautenden Namen weisen schon darauf hin - sind eng verwoben.

Alice Tanner, ihres Zeichens Hobby-Archäologin, macht am 5. Juli 2005 bei Ausgrabungen in den Sabarthès Bergen südlich von Carcassone eine spektakuläre Entdeckung. Sie stößt in einer Höhle auf zwei Skelette, auf die mysteriöse Zeichnung eines Labyrinths und einen Ring. Kaum ist der Fund ans Tageslicht gelangt, da wird Alice auch schon in einen Strudel aus Verbrechen, Gewalt und religiösem Fanatismus gerissen. Der Ring wird entwendet, eine Kollegin verschwindet, und ein Polizist, der ihr eine Telefonnummer zuspielt, wird brutal ermordet. Auf sich allein gestellt, begibt sich die junge Frau auf die Suche nach einer Erklärung für die ominösen Geschehnisse. Drei geheimnisvolle Bücher aus dem alten Ägypten scheinen eine Schlüsselrolle zu spielen. Alice kommt alsbald der Lösung des Rätsels um den verschwundenen Ring und das Labyrinth gefährlich nahe. Dabei gerät sie immer stärker in den Sog einer weit zurückliegenden Vergangenheit, die ihr seltsam bekannt vorkommt und ihr ein Déjà-vu nach dem anderen beschert.

Nicht viel besser ergeht es der jungen Alaïs, die 800 Jahre zuvor miterleben muss, wie die prächtige mittelalterliche Festung Carcassona vom Heer des Papstes Innozenz III. erobert wird. Innozenz begann 1209 mit der Verfolgung der in Südfrankreich angesiedelten christlichen Sekte der Katharer. Er setzte einen vom nordfranzösischen Adel unterstützten, gnadenlosen Eroberungsfeldzug in Gang, der mit der Unterwerfung des unabhängigen Südens endete.

Alaïs Vater, der dem Stadtherrn von Carcassonne dient, gehört zu den verfolgten Katharern. Er vetraut ihr kurz vor seinem Tod das Geheimnis um eine Buchtrilogie an, die vor dem Zugriff böser Mächte geschützt werden muss. Für Alaïs beginnt eine Verfolgungsjagd auf Leben und Tod, die dort endet, wo die Geschichte im Juli 2005 ihren Anfang nimmt: in den Sabarthès-Bergen. In einem fulminanten Schluss werden hier geschickt die Handlungsfäden zusammengeführt und die zeitlichen wie räumlichen Distanzen aufgelöst.

Im Verlauf der Geschichte zeichnen sich überraschende Zusammenhänge zwischen den durch etliche Jahrhunderte getrennten Personen und Ereignissen ab. Die zunächst so unterschiedlichen Lebenswege von Alice und Alaïs werden immer stärker miteinander verflochten. Die Schilderung dieser Verschmelzung zweier Schicksale gehört zu den erzählerisch starken Momenten des Romans, auch wenn sich die Hinweise auf die Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit insgesamt etwas zu stark häufen. Ständig wird Alices Unbewusstes von einer schwachen Erinnerung gekitzelt, ständig kommt ihr irgendetwas oder irgendwer bekannt vor. Das Ratespiel who is who 1209 und 2005 ist über weite Teile des Romans äußerst fesselnd, wird aber teilweise zu sehr ausgereizt und büßt deshalb an Attraktivität ein.

Der Roman lebt von der Konfrontation der Gegenwart mit der Vergangenheit. In rhythmisch aufeinander folgenden Zeitsprüngen bewegt sich der Leser mit unglaublicher Leichtigkeit zwischen den Jahrhunderten hin und her. Gekonnt beschwört Mosse die vergangene Zeit herauf. Sehr eindringlich und mit viel Liebe fürs Detail lässt sie das Mittelalter wieder lebendig werden und bringt ihre Leser auf Tuchfühlung mit dem Frankreich des 13. Jahrhunderts. Authentizität wird dabei nicht nur durch die Wiedergabe der merklich gut recherchierten historischen Begebenheiten suggeriert, sondern auch durch die Einbindung okzitanischer Wörter und Sätze in die Erzählung - das Okzitanische, die Langue d'Oc, war die Sprache des Midi von der Provence bis Aquitanien und wurde schließlich von der Langue d'oïl (Vorläuferin des heutigen Französisch), der Sprache der Eroberer aus Nordfrankreich, verdrängt. Im informativen Anhang zum Roman befindet sich ein Auswahlglossar okzitanischer Wörter, eine historische Anmerkung und eine Erläuterung zur Sprache.

Ebenso detailgetreu wie die Vergangenheit stellt Mosse aber auch die Gegenwart dar. Da Carcassonne ihr Zweitwohnsitz ist, dürfte ihr die Beschreibung der Örtlichkeiten nicht allzu schwer gefallen sein.

Dank der lebendigen Charakterisierungen der jeweiligen Epochen wird das Leben der Personen durch alle Kapitel hindurch sehr glaubhaft in Bezug zu der Zeit gesetzt, in der sie sich gerade bewegen.

Besonders hervorzuheben ist der gelungene Aufbau der Spannung sowie deren Aufrechterhaltung - und das immerhin über 750 Seiten hinweg. Absolut mitreißend geschrieben ist dieses Buch, das einen packt und nicht mehr loslässt.

Etwas enttäuschend mutet nur das Ende an, das dann doch noch à la "Indiana Jones" mit viel Krachen und Getöse daherkommt und nicht recht zu der ansonsten wenig auf Affekthascherei angelegten Handlung passen will.

Bei der Klärung des Rätsels um das Labyrinth wartet die Autorin mit einer alles andere als schnöden Variante der Gralslegende auf. Die Auflösung verbindet sich zudem mit einer zeitlos schönen Botschaft, die ein tiefes Gefühl von Achtung vor der Historie und ihren Überlieferern hinterlässt.

Titelbild

Kate Mosse: Das verlorene Labyrinth.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2005.
752 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3426196603

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