Volkskörper und Staatshuren
Stefan Maiwald und Gerd Mischlers Sexualität unter dem Hakenkreuz
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Es gibt nichts Schöneres, als sich ein junges Ding zu erziehen: Ein Mädchen mit achtzehn, zwanzig Jahren, das biegsam ist wie Wachs." Machosprüche eines Verklemmten. "Meine Braut ist Deutschland", lautet ein weiterer Spruch Hitlers, der nicht nur aus taktischen Gründen keine feste Bindung eingehen wollte. Wirkliche Befriedigung dürften ihm allein seine "Redeorgasmen" bereitet haben.
"Sexualität unter dem Hakenkreuz" lautet der Titel einer von Stefan Maiwald und Gerd Mischler besorgten systematischen Zusammenschau zum Thema "Manipulation und Vernichtung der Intimsphäre im NS-Staat". Die Stärke dieser Studie ist, dass sie am Beispiel der Sexualität die alle Lebensbereiche unterjochende perverse Logik des Nationalsozialismus plastisch macht. Sie will keine neuen Erkenntnisse vorlegen, sondern den Versuch zu einer Synthese der vorhandenen machen und dabei manch skurrile Facette beleuchten: So schrieben fanatisierte deutsche Hausfrauen ihrem verehrten "Führer", von dessen vier Geliebten drei Selbstmord begingen, glühende Liebesbriefe, beginnend mit "Mein lieber zuckersüßer Adolf, mein Wölflein!" Einige dieser Verehrerinnen wurden daraufhin in Heilanstalten eingewiesen.
Die Gleichschaltung von Sexualität und Fortpflanzung war eines der Hauptziele der NS-Ideologen, die den Erfolg ihres Menschenzüchtungsprogramms ermöglichen sollte. Alte Geschlechterstereotype wurden zementiert, die Frau als Mutter glorifiziert. Dazu wurden Frauen gezielt aus dem Berufsleben gedrängt, da ihre "gottgewollte" Aufgabe darin bestehen sollte, an Heim und Herd Familie und Volk zu dienen. Wer unter rassischen Gesichtspunkten "wertvoll" war, hatte die Pflicht, möglichst viele Kinder dem Volk zu "schenken"; steuerliche Vergünstigungen, Urlaubsreisen und Kindergeld lockten. Kinderlose Paare oder Unverheiratete hatten sich zu rechtfertigen. Während des Krieges schlugen die Frauen an der "Gebärfront" ähnlich wichtige Schlachten wie ihre Männer. Mütter mit mehr als acht Kindern bekamen das "goldene Mutterkreuz", vom Volksmund auch "Kaninchenorden" genannt. Jungen Frauen wurde von ihren BdM-Führerinnen die "biologische Ehe" schmackhaft gemacht: "Ihr könnt nicht alle einen Mann kriegen, aber ihr könnt alle Mütter werden."
Wessen Erbgut den Nazis "wertlos" war, wurde zunächst zwangssterilisiert. Was ein solcher Eingriff für die Betroffenen bedeutete, ist schwer vorstellbar. In den KZs wurde fieberhaft nach rationelleren Sterilisationsmethoden gesucht. Frauen wurden die Eierstöcke mit Formalin verklebt, Männer mussten ihre Geschlechtsteile minutenlang Röntgenstrahlen aussetzen, anschließend wurden die verbrannten Hoden zwecks Erfolgsüberprüfung entfernt. Während Schwule, da sie laut Goebbels den "Volkskörper" wie ein Virus gefährdeten, in Konzentrationslager kamen, wurden an Lesben "Zwangstherapien" versucht: Ihre Körper sollten als Gebärmaschinen nutzbar gemacht werden. Blieben solche "Heilungsversuche" erfolglos, konnten sie immer noch als "Staatshuren" für die Aufrechterhaltung der Truppenmoral in den Frontbordellen Verwendung finden.
Es gelingt Maiwald und Mischler, das Augenmerk nachdrücklich auf die bis heute tabuisierten psychischen und gesellschaftlichen Folgen all dieser Perversionen vor allem für Frauen zu lenken: von den traumatisierten Opfern der Zwangssterilisationen der Nazis, bis zu den Opfern der von deutschen Soldaten im Osten und von russischen Soldaten im besiegten Deutschland begangenen Massenvergewaltigungen und dem Schicksal von Frauen, die sich mit Männern von der jeweils anderen Seite, Soldaten oder Zwangsarbeitern, eingelassen hatten und von der Gesellschaft stellvertretend gedemütigt wurden. Von den etwa 400.000 Opfern der Zwangssterilisationen leben heute noch etwa 50.000. Im September 1998 wurde die Rente für Zwangssterilisierte von 100 auf 120 Mark erhöht.