"Tod eines Kritikers" als Medienskandal

Torsten Gellner analysiert die publizistische Kontroverse um Martin Walser

Von Andrea GeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Geier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Muss man sich mit Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers" überhaupt beschäftigen, um die publizistische Debatte zu verstehen, die nach der Veröffentlichung des Romans im Sommer 2002 ausbrach? Für Torsten Gellner jedenfalls ist klar, dass es sich hier nicht um einen Literatur-, sondern um einen Medienskandal handelte.

Gellner zeigt in seiner Arbeit "Ein antisemitischer Affektsturm? Walser, Schirrmacher, Reich-Ranicki und der 'Tod eines Kritikers'" Vorbedingungen des Streits auf, zeichnet dann ausführlich den Debattenverlauf mit einzelnen Stellungnahmen nach, fragt insbesondere nach den Rollen verschiedener Beteiligter (inklusive derjenigen Walsers) und unterscheidet schließlich verschiedene Argumentationstypen: 1. "Das Buch ist nicht antisemitisch und literarisch gelungen", 2. "Das Buch ist nicht antisemitisch, aber literarisch misslungen" und 3. "Das Buch ist antisemitisch und literarisch misslungen".

Offensichtlich ist, dass es diese Debatte ohne die Kontroversen um den Autor Walser in den vorangegangenen Jahren kaum gegeben hätte. Daher bestimmte eine "Verdachtshermeneutik" (Mona Körte) den Streit ebenso wie ihn Mechanismen des Literaturbetriebs als Konkurrenz von Personen wie Institutionen forcierten; darüber hinaus überlagerte der "Skandal des Reizwortes 'Antisemitismus' alle philologischen Differenzierungsversuche" und personalisierte die Diskussion.

Die Skizze des Debattenverlaufs vor und nach der Veröffentlichung von "Tod eines Kritikers" mutet etwas langatmig an, und als Leser wünschte man sich hier einen schnelleren Übergang zu einer systematischen Betrachtung. Schade ist auch, dass sich Gellner nicht für die unterschiedlichen Fassungen des Romans, die vor der Veröffentlichung kursierten, interessiert, denn dies spielte im publizistischen Spiel von Zitat und Gegenzitat durchaus eine Rolle. Dass die eigene literaturwissenschaftliche Arbeit am Text für die Arbeit marginale Bedeutung hat, ist angesichts der Tatsache, dass es um die publizistische Kontroverse geht, nicht verwunderlich; man vermisst es jedoch umso mehr, als Gellner immer wieder auf einem Unterschied zwischen der literaturwissenschaftlichen und literaturkritischen Behandlung des Themas beharrt. Diesen Anspruch hätte man gerne eingelöst gesehen. Die kurze Darstellung der Kritikerfigur im Roman vermag immerhin zu vermitteln, dass eine Lesart des Textes als Schlüsselroman keineswegs automatisch einen Antisemitismus-Verdacht bestätigt. Dass der Roman aber in der Art, wie er antisemitische Stereotype ins Spiel bringt, durchaus als problematisch angesehen werden kann, wird nicht sichtbar und erledigt sich nicht mit dem vagen Hinweis auf seine 'Ambivalenz'. Dass der Roman einerseits als Schlüsselroman gelesen "geschmacklos" genannt werden könne, andererseits aber bei denjenigen Elementen, die als antisemitisch verstanden werden können, "Distanzierungssignale" in Betracht gezogen werden müssten, "die den Text als ideologiekritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Konstruktionen und Skandalisierungen im Medienbetrieb lesbar machen", bleibt ein unbefriedigendes Fazit, weil der Autor sich nicht festlegt, vor allem aber, weil die aufgezeigten Alternativen zu kurz greifen. Hieran zeigen sich die Grenzen der Themenstellung. Gellner hat eine informative Darstellung der Mediendebatte vorgelegt. Zur Lösung der darin gestellten Frage kann sie jedoch kaum beitragen. Sie ist daher eher eine Vorstudie zur eigentlichen textinterpretativen Arbeit.

Angesichts einer neuen Aufmerksamkeit für das Thema 'Antisemitismus im Werk Walsers' seit der jüngst erschienenen Dissertation "'Auschwitz drängt uns auf einen Fleck'. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser" von Matthias N. Lorenz wirken einige an sich harmlose Anmerkungen Gellners geradezu als Pointen. Dies betrifft neben dem Einspruch gegen Kurzschlüsse vom Text auf die Autorintention vor allem die Kritik an Versuchen, ältere Texte Walsers zu Vorboten von "Tod eines Kritikers" zu machen, in denen man die 'wahre' Gesinnung Walsers doch längst hätte erkennen können. Daran zeige sich eine "problematische Praxis des 'Belegstellensammelns'".

Gellner kritisiert in seiner Darstellung der Debatte vielfach ein "Antisemitismusspiel" in den Medien und Strategien der Skandalisierung. Nun konnte man Ähnliches auch in letzter Zeit lesen, allerdings gemünzt auf die Literaturwissenschaft. Dieter Borchmeyer etwa sprach in seiner kritischen Rezension von Lorenz' Arbeit unter dem Titel "Pranger-Philologie" davon, dass "unter jüngeren Literaturwissenschaftlern [...] die Entlarvung von 'literarischem Antisemitismus' eine bevorzugte Sportart" darstelle.

Eine solche Haltung schüttet das Kind mit dem Bade aus. Die Beschäftigung mit Antisemitismus, sei es im politischen, sei es im literarischen Diskurs, bleibt eminent wichtig. Nicht das Thema steht zur Diskussion, sehr wohl aber die Methode.

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Torsten Gellner: Ein antisemitischer Affektsturm? Walser, Schirrmacher, Reich-Ranicki und der "Tod eines Kritikers".
Tectum Verlag, Marburg 2004.
164 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3828887309

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