Unangreifbares Schattendasein

Ein Sammelband beschäftigt sich mit Werk und Leben Heinrich Manns

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt, darauf weisen die Herausgeber des vorliegenden Bandes, Walter Delabar und Walter Fähnders, in ihrem einleitenden Beitrag hin, "Autoren, die...im Schatten eines vermeintlich Größeren stehen und die gelegentlich sogar den Sündenbock dafür spielen müssen, daß ihr Schattendasein so unangreifbar geworden ist. Heinrich Mann ist ein solcher Fall."

Der vermeintlich Größere ist ist in diesem Fall natürlich der Bruder Thomas. Und bis heute bleibt die allgemeine Beurteilung Heinrich Manns diesem Muster verhaftet, so auch in dem im aktuellen Thomas-Mann-Jahr wiederholten Breloer-Fernsehspiel über die Manns: hier der literarisch-ökonomisch sowie privat erfolgreiche Repräsentant des anderen Deutschland, dort der im amerikanischen Exil gebrechlich-verzweifelt wirkende Heinrich, dessen erfolgreiche Zeiten in jeder Hinsicht vergangen waren. Dabei war, auch darauf verweisen die Herausgeber, nur wenige Jahre vorher die Lage noch eine ganz andere: da "galt Heinrich Mann über lange Jahre hinweg als ebenbürtig, er war zeitweise gar der Bekanntere, der Offenere, der Diskussionsfreudigere, derjenige, der sich einmischte [...] und der seine Stimme der jungen Weimarer Demokratie lieh. Dort, wo Heinrich schon lange angekommen war, dahin mußte sich Thomas erst entwickeln".

Allerdings ist auch diese Relativierung nicht frei vom Klischee der brüderlichen Konkurrenz. Diesmal dann eben mit Vorteil Heinrich. Tatsächlich ist die Beziehung der beiden Brüder zwar ein wichtiges, doch nicht das einzige Kriterium zur Würdigung Heinrich Manns als Person und Schriftsteller. Vielmehr wird man sich ihm und seinem Werk aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu nähern haben. Und eben dies versucht der 17 Beiträge umfassende Sammelband: Er verfolgt "die Absicht, einen Überblick über möglichst viele Themen und Werke Heinrich Manns zu geben."

Themen und Werke folgen zunächst der Mann'schen Lebensgeschichte. Dabei lassen sich vier wesentliche Abschnitte bestimmen: Bis 1897 ist der Eintritt des jungen Schriftstellers in die literarische Moderne vollzogen. Es folgt eine bis 1918 dauernde Phase, in der Heinrich Mann die Rolle eines modernen Romanciers und politischen Intellektuellen ausfüllt. In dieser Rolle wird er zum führenden Republikaner und Demokraten, auch nachdem die Weimarer Republik nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 zerstört ist. Bis 1940, dem Beginn des amerikanischen Exils, bleibt Heinrich Mann eine zentrale Bezugsperson für das andere, das demokratische Deutschland. Die letzten zehn Jahre seines Lebens kennzeichnen schließlich das Alterswerk.

Aufschlussreich sind Einblicke in den prägenden Italienaufenthalt Heinrich Manns in den Jahren 1896 bis 1898. Hier, so lässt sich erfahren, erlebte der junge Literat eine für ihn neuartige Nähe zum Volk, die im 1909 entstandenen Roman "Die kleine Stadt" als eine Art Demokratieideal leitbildend für ihn wird. Das abstrakte Ideal verbindet sich dabei mit einer praktischen Lebensbejahung. In ihr gründet die Vorstellung des "öffentlichen Lebens" als ein "'gesellschaftliches Lebensgefühl', das ausgeht vom alltäglichen Leben und Lieben der Menschen", wie es an anderer Stelle in diesem Sammelband heißt. Es ist interessant, in diesem Zusammenhang auch einen leider nicht weiter vertieften Verweis auf Günter Grass zu finden. Wie Heinrich Mann verstehe auch dieser sein politisches Schriftstellertum aus einer bewussten Lebensbejahung heraus.

Diese lebensbejahende, in der Tradition der französischen Aufklärung stehende Konzeption einer demokratischen Republik steht bis heute zuweilen noch unter dem Verdacht, in Wirklichkeit eine verkappte Propaganda für das sowjetische Politik- und Herrschaftsmodell zu sein. In der bundesrepublikanischen Wahrnehmung mag dabei auch die Vereinnahmung Heinrich Manns durch die DDR, die ihn noch zu Lebzeiten vielfach ehrte, eine Rolle gespielt haben. In einem anregenden Beitrag des Bands wird nun dargelegt, dass Heinrich Mann immer sehr zurückhaltend in der Lobpreisung der realen Sowjetunion war. Interessant sind die Verweise auf die unterschiedlichen Fassungen jener Texte, die beispielsweise in der sowjetischen "Prawda" als von Heinrich Mann gezeichnete Texte erschienen, und den ursprünglichen Entwürfen Heinrich Manns. Längst war eine tiefe Enttäuschung über die Entwicklung in der Sowjetunion Realität geworden. Hoffnung hatte dem Modell gegolten - nicht zuletzt, weil es Tragpfeiler einer so notwendigen Anti-Hitler-Koalition sein sollte. Die Hoffnung trog, doch Heinrich Mann sprach weiterhin "Ermutigungen" aus. Sie dienten der Selbstbehauptung als Schriftsteller ebenso wie der Ermutigung anderer.

Weitere Beiträge widmen sich einzelnen Aspekten des schriftstellerischen Werks Heinrich Manns. Neben dem wohl bekanntesten Werk "Der Untertan", in welchem die Figur des Diederich Heßling als Prototyp des gesellschaftlichen Aufsteigers jener 'Modernisierungsepoche' Ende des 19. Jahrhunderts geschildert wird, wird insbesondere das Spätwerk Heinrich Manns betrachtet und gewürdigt. Bemerkenswert sind auch die vergleichsweise erfolgreichen Stücke, die Heinrich Mann für das Theater schrieb. Sie bewiesen eine außergewöhnliche Popularität Heinrich Manns, die sich auch an anderer Stelle zeigt: Kaum ein deutscher Schriftsteller wurde bis heute so oft verfilmt wie Heinrich Mann. Das meint nicht nur die berühmten Filmadaptionen wie "Der Untertan" oder "Der blaue Engel" (für den Carl Zuckmayer das Drehbuch nach Heinrich Manns "Professor Unrat" schuf), sondern auch die vielen Fernsehbearbeitungen. Auf diesem Feld traten sowohl das ostdeutsche als auch das westdeutsche Fernsehen in einen anregenden Wettbewerb.

Titelbild

Walter Delabar / Walter Fähnders (Hg.): Heinrich Mann (1871 - 1950).
Weidler Buchverlag, Berlin 2005.
494 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-10: 3896934376

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch