Drei Herren, einander in höherer Stellung vermutend
Angelika Abel untersucht die Konstellation Thomas Mann - Adorno - Schönberg im Exil
Von Axel Schmitt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin Bild von Paul Klee, das ein zauberhaftes Rollenspiel der Verbeugungen zeigt, trägt den Titel: "Zwei Herren, einander in höherer Stellung vermutend". Die Versuchung liegt sehr nahe, auch in Theodor W. Adornos Verhältnis zu dem fast dreißig Jahre älteren Thomas Mann vor allem den diplomatischen Verkehr zweier meisterlicher Stilisten zu sehen, die sich in einem regelmäßigen Zeremoniell wechselseitig ihrer Bedeutung versicherten. Spätestens seit der Publikation des ebenso geistreichen wie bedeutungsvollen Briefwechsels von Mann und Adorno werden die intellektuellen Meridiane, auf denen sich beide bewegten, noch deutlicher sichtbar. Wer befürchtet haben mochte, diese Korrespondenz werde uns konfrontieren mit den komplizierten Gedankengängen eines subtil dialektisch gewitzten musischen Kulturphilosophen - also Adorno - und den seriösen, väterlichen Höflichkeiten des mit seiner Berühmtheit kokettierenden Schriftstellers Thomas Mann, der sah sich getäuscht. Die Beziehung Manns zu Adorno war eine Jahrhundertkonstellation, deren ästhetischer und philosophischer Reiz noch lange nicht verstanden ist.
Begonnen hatte der intellektuelle Verkehr in den frühen vierziger Jahren. Adorno und Horkheimer arbeiteten an der "Dialektik der Aufklärung", Thomas Mann schrieb an dem Musiker-Roman "Doktor Faustus", einer Parabel des deutschen Weges ins Verhängnis des Nationalsozialismus, ein Teufelspakt, von dem Musikkenner und -liebhaber Thomas Mann gespiegelt in der Geschichte des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von dessen Freund, dem hilflosen bürgerlichen Humanisten Serenus Zeitblom, dem nichts anderes zu tun bleibt, als den Weg in die Katastrophe als Chronist zu begleiten. Die Intellektuellen der zwanziger Jahre werden von Mann gnadenlos intertextuell in das Romangeschehen verwoben: Karl Wolfskehl und Oskar Goldberg vertreten im Roman das frivole Spiel mit der Irrationalität in der Gestalt des prophetischen Chaim Breisacher. Und immer spielt die Gegenwart hinein, in der Serenus Zeitblom seine Erinnerungen an den verstorbenen Leverkühn niederschreibt: die Aktualität des langsamen, zerstörerischen Untergangs Deutschlands im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs.
Unschwer zu erkennen ist aber, dass vor allem die Musik das Zentrum des Textes bildete, die Beschreibung des deutschen Mythos verlangte neben den Einschriften von Luther bis Dürer zwingend nach ihr. Was die Musik des 19. Jahrhunderts anbelangte, war Mann erfahren genug, für die Kompositionstechnik des 20. Jahrhunderts und vor allem der Schönberg-Schule aber fand sich erst mit Adorno ein sachkundiger Berater und Mit-Schreiber, vielfach sind seine Ideen in die Kompositionen des Hauptprotagonisten Adrian Leverkühn eingegangen. Adorno skizzierte Entwürfe für die Kammermusik Leverkühns und zur Kantate "Doktor Fausti Weheklag", die das letzte Treffen Fausts mit den Schülern als "negatives Abendmahl" deutet.
Der Begriff der Melancholie, an Walter Benjamins Trauerspiel-Buch erinnernd, das Mann, wenn auch nicht begeistert, zur Kenntnis nahm, spielt eine große Rolle: Eine seelische Haltung war damit beschrieben, die aus der Verzweiflung keinen Ausweg mehr in die rettende Tat fand. Auch die uneingeweihten Leser wurden bald durch Thomas Manns Werkstattbericht "Die Entstehung des Doktor Faustus" auf den Philosophen aufmerksam, wobei Adorno selbstbewusst darum nachgesucht hatte, seinen "gedanklich-phantasiemäßigen Anteil an Leverkühns Œuvre und seiner Ästhetik mehr hervorzuheben als den stofflich-informatorischen".
Adorno, schrieb Mann später, sei "einer der feinsten, schärfsten und kritisch tiefsten Köpfe, die heute wirken. Selbst schaffender Musiker, ist er zugleich mit einem sprachlichen Ausdrucksvermögen begabt, dessen Präzision und aufhellende Kraft ihresgleichen suchen, und ich wüßte nicht, wer dem Publikum über die gegenwärtige Situation der Musik klügere und erfahrenere Auskunft zu geben wüßte als er". An anderer Stelle schilderte er Adorno als Menschen "von spröder, tragisch-kluger und exklusiver Geistesform". Wenige Wochen später begann Thomas Mann die Lektüre der Schrift "Zur Philosophie der neuen Musik", von der damals der erste Teil vorlag, der den Kompositionen Arnold Schönbergs gewidmet war. Danach erst empfand Mann "Augenblicke der Erhellung über Adrians Position. Die Schwierigkeiten müssen sich erst ganz auswachsen, bevor sie überwunden werden können. Die verzweifelte Lage der Kunst: stimmigstes Moment. Hauptgedanke der erkauften Inspiration, die im Rausch darüber hinwegträgt, nicht aus dem Gesicht zu verlieren". Man sprach intensiv über Schönberg und die Zwölftonmusik, über das "Verhängnis [...], das die objektiv notwendige konstruktive Erhellung der Musik aus ebenso objektiven Gründen, gleichsam über den Kopf des Künstlers hinweg, in ein Finsteres, Mythologisches zurückschlagen läßt", und natürlich über Beethovens op. 11, Adornos "Beethoven-Fragmente" und die Viertonstruktur.
Vergessen werden sollte jedoch nicht, dass sich die Entstehung des "Doktor Faustus" eigentlich als Dreier-Konstellation erweist. Arnold Schönberg, der heimliche Protagonist, reagierte mit großer Erbitterung auf den Roman, fühlte er sich doch missverstanden, um sein geistiges Eigentum betrogen und sogar als Kranker denunziert - bekanntlich stirbt Leverkühn in dem Buch in geistiger Umnachtung an den Folgen einer syphilitischen Infektion - und Adorno, den er in einem Brief wenig schmeichelhaft als "informer" bezeichnete, sah er als den Hauptsünder. Von der wirklichen Zwölftontechnik habe Thomas Mann nichts verstanden: "Alles, was er weiß, ist ihm von Adorno erzählt worden, der nur das wenige weiß, was ich meinen Schülern zu erzählen vermochte. Die eigentlichen Tatsachen werden möglicherweise eine Geheimwissenschaft bleiben, bis jemand kommt, dem sie kraft einer Gabe zufallen".
Schönbergs Klage belegt ein Dilemma auch der literaturwissenschaftlichen Bemühungen um die Decodierung des Verhältnisses von Mann und Adorno: Zu deren gemeinsamer Arbeit an der Entstehung des Romans ist eigentlich schon fast alles gesagt. In den vergangenen Jahren hat man das Augenmerk primär auf die praktische Zusammenarbeit der Personen gelegt und darüber die viel substantiellere Frage vergessen: wieso sie überhaupt gelingen konnte, was den Dialog zwischen diesen beiden großen Unberührbaren des 20. Jahrhunderts in der Sache ermöglicht und begünstigt hat. Und vor allem: Welche Position nimmt Schönbergs Musikästhetik in dieser Konstellation überhaupt ein?
Dieser Lücke hat sich Angelika Abels Untersuchung zur "Musikästhetik der Klassischen Moderne" verschrieben, in der es um die im "Doktor Faustus" vorgelegte Interpretation der Zwölftontechnik geht. Nach Abels einleuchtender Annahme thematisiert der Text am Beispiel der Musik die Situation und Krise der Kunst der Moderne. Nach dem Zerfall der traditionellen Darstellungssysteme, wie sie vor allem durch die Auflösung der Dur-Moll-Tonalität vorliegen, stellt sich nicht nur in der Musik die Frage nach neuen, Zusammenhang garantierenden Strukturen. Abel kommt zu dem Ergebnis, dass die Zwölftontechnik Schönbergs von Mann und Adorno als "System" totalitären Charakters interpretiert wurde, während Schönberg die Komposition mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen als "Methode" verstanden wissen wollte, die nach Auflösung der traditionellen Tonalität einen neuen Zusammenhang etablieren sollte. Die Studie arbeitet insbesondere die Gründe heraus, aus denen Mann und Adorno zu ihrer Einschätzung gelangten. Da Schönberg die Komposition mit zwölf Tönen vor allem in der von Beethoven entwickelten motivisch-thematischen Arbeit verankert sah, erhellt vor allem der Teil der Arbeit, der Adornos "Beethoven-Fragmente" untersucht, diesen bedeutsamen Kontext. Insgesamt werden auf diese Weise wesentliche Züge einer Musikästhetik der klassischen Moderne sichtbar, die vor allem auch deshalb auf den "Doktor Faustus" zurückwirken, weil Adornos Gedanken zu Beethoven parallel zur Entstehung des Romans zu Papier gebracht wurden.
Bei dem zentralen fiktiven Werk des "Doktor Faustus" handelt es sich um ein Oratorium, das Naherwartungen endzeitlichen Charakters ebenso zum Thema hat, wie sie im Nationalsozialismus begegnen, der sich als apokalyptischer Entwurf und politische Religion präsentierte. Adorno hielt jeden Versuch, und darin fand er sich mit Mann einig, der Kunst spirituelle Bedeutung und objektiven Wert durch Heranziehung religiösen Glaubens zu verleihen, für sinnlos. Die Erneuerung kultischer Musik in profaner Zeit wurde von beiden als Zeichen eines Ästhetizismus verstanden, der als Wegbereiter der Barbarei fungierte. In systematischer Hinsicht ging es dabei vor allem um die Vorstellung vom Zerfall des traditionellen Werk-Begriffs. Die Schönberg-Schule, das verdeutlicht Angelika Abel, zog aus dieser Tatsache die radikalsten Konsequenzen: Mit der formalen Innovation wurde gleichzeitig die Autonomie des Kunstwerks in Frage gestellt. Mit dem nicht nur in der Musikästhetik, sondern auch von Benjamin konstatierten Niedergang des Begriffs der Aura erlosch der Schein der Autonomie; an die Stelle des in sich abgeschlossenen, totalen Werkes trat das Fragment. Die daraus abzuleitende Beliebigkeit und Kontingenz führte zu einer radikalen Neubegründung im Sinne einer Überwindung der überlieferten Tonalität, was im "Faustus" nur durch den fatalen Rückgriff ins Archaische zum Zweck der Restauration eines strengen Satzes zu bewerkstelligen war.
Es ist Angelika Abel auf beeindruckende Weise gelungen, die Entstehungsgeschichte des "Doktor Faustus" und die einzigartige Konstellation des 'konservativen' Dichters, der mit seinen literarischen Mitteln mehr zu philosophieren suchte als jeder andere, und des 'linken' jüdischen Philosophen, der eine Konvergenz von Kunst und Erkenntnis anzustreben schien, zu kontextualisieren und um wichtige musikästhetische Aspekte zu erweitern. Dass die Exilsituation Thomas Manns und Theodor W. Adornos eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für ihre Sicht der Kunst und Kultur der Moderne hatte und ihre musikhistorischen und -ästhetischen Auffassungen entscheidend mitprägte, wird von der Verfasserin genauso überzeugend herausgearbeitet.