Ein notwendiger Beitrag zur deutsch-tschechischen Literaturgeschichte

"Literatur unter dem Hakenkreuz", herausgegeben von Peter Becher und Ingeborg Fiala-Fürst

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch immer schwelt der Streit über die Art und Weise, wie mit den Vertreibungen Deutscher aus Böhmen und Mähren umzugehen sei. Der Bund der Vertriebenen bemüht sich seit Jahren um die Einrichtung eines Zentrums, dass sich der deutschen Vertriebenenproblematik widmen soll. Die Betrachtung deutscher Bevölkerungsgruppen als Opfergruppe des Zweiten Weltkrieges ist vielen suspekt und ruft immer wieder Kritik hervor. Kann man Deutsche als Opfer betrachten ohne auch ihre Täterschaft dazu in Relation zu setzen? Ist es sinnvoll, die Vertriebenenproblematik allein unter deutschen Gesichtspunkten zu betrachten oder wäre eine internationale oder zumindest europäische Perspektive nicht fruchtbarer für die historische Aufarbeitung oder die gesellschaftliche Debatte?

Bei dieser Diskussion wird vielleicht allzu oft vernachlässigt, dass für eine Auseinandersetzung mit diesem Teil der Geschichte zu wenig - zumindest öffentlich - bekannt ist.

Einen wichtigen Beitrag zu mehr Verständnis auch über die Landesgrenzen hinweg bietet das beim Vitalis Verlag verlegte Buch "Literatur unter dem Hakenkreuz. Böhmen und Mähren 1938-1945", herausgegeben von Peter Becher und Ingeborg Fiala-Fürst. Es beleuchtet anhand der Vorträge von Wissenschaftlern aus Deutschland und Tschechien den Literaturbetrieb Sudetendeutschlands zur Zeit des Anschlusses an Deutschland. Dadurch wird eine wichtige literaturhistorische Lücke geschlossen, denn sowohl in tschechichen, als auch in deutschen Literaturgeschichten (abgesehen von Kafka und Rilke) wird diese Literatur meist vernachlässigt, weil man sich sowohl bei der sprachlichen als auch der nationalen Zuordnung der sudetendeutschen Literatur schwertut.

So ist diesen Aufsätzen zu verdanken, dass zahlreiche unbekannte Autoren wieder Beachtung finden. Oft wird dabei deutlich, dass eine konkrete Zuordnung in der Tat schwerfällt, da durch die Beeinflussung durch die tschechichen Lebensumstände und Literatur (einzelne Autoren haben zum Beispiel tschechische Literatur ins Deutsche übersetzt) eine ganz eigene Literatur entsteht. Auch die Wechselwirkungen zwischen dem Dresdner, Reichenberger und Prager Literaturbetrieb werden in einem eigenen Beitrag beleuchtet. Dabei wird stets hervorgehoben, dass sich die Prager Literatur deutlich von der weit weniger bekannten sonstigen sudetendeutschen Literatur unterscheidet, unter anderem aufgrund der in der Provinz stärkeren völkischen Klischees.

Anhand der von Andrea Hohmeyer analysierten früheren sudetendeutschen Literaturgeschichten und den von Zdenek Marecek zu Rate gezogenen sudetendeutschen Zeitungen wird deutlich, dass bereits vor 1938 ein starker Antisemitismus verbreitet war, der sich in den frühen 30er Jahren jedoch eher in Ignoranz der jüdischen und tschechischen Kultur manifestierte und erst ab 1938 an Aggresivität gewann. Gerade Marecek macht anhand zahlreicher Literatenbiografien deutlich wie sich zumehmende Radikalisierung und Opportunismus in Werken, Briefen und Zeitungsberichten dokumentieren lassen. Seiner Bewertung mag man allerdings nicht immer zustimmen, wenn er beispielsweise den Schriftsteller Karl Norbert Mrasek zitiert, der den NS-Politikers Kurt Eggers als "eine der kämpferischsten Erscheinungen des nationalsozialistischen Schriftums" beschreibt. Bei einem solch eindeutigen Zitat darüber zu mutmaßen, ob die Begriffe "kämpferische Erscheinung" und das Attribut "nationalsozialistisch" vor Literatur als Zeichen der Distanzierung gelesen werden können, erscheinen allzu spekulativ. Insbesondere, wenn man andere Informationen aus demselben Artikel mit heranzieht. Mrasek habe, obwohl vor 1938 eher unpolitischer Schriftsteller, in seinen Büchern den NS-Sprachgebrauch der Ungeziefervernichtung übernommen. Auch hier relativiert Marecek, wenn er "propagandistische Heuchelei" vermutet. Dennoch zieht der vorliegende Band gerade aus seiner differenzierten Betrachtung einzelner Autorenbiografien und der feinen Abstufungen in der Bewertung zwischen Überläufertum und Opportunismus seine Qualität.

Abstufungen sind bei dem wohl bekanntesten behandelten Schriftsteller dieses Bands dagegen kaum auszumachen. Karl Hans Strobl ist vielen Lesern als Vertreter der literarischen Fantastik im frühen 20. Jahrhundert vertraut. Weniger bekannt ist seine stringente Karriere im "Dritten Reich". Bereits zu Gymnasialzeiten im deutsch-nationalen Spektrum aktiv, wird er noch 1937 wegen Mitgliedschaft in der österreichischen NSDAP des Landes verwiesen und macht nach 1938 Karriere in der Reichsschriftumskammer der angeschlossenen Gebiete. Dabei schafft er es sogar den ständigen Zwistigkeiten zwischen Göbbels Propagandaministerium und der Reichsschriftumskammer unbeschadet zu entgehen. Nach dem Krieg wird er aufgrund seines Gesundheitszustands für haftunfähig erklärt und stirbt noch im Herbst 1945.

Auch das Weiterwirken der sudetendeutschen Geschichte wird analysiert. So beschreibt Dieter Krywalski pädagogisch fundiert die Darstellung der Protektoratszeit im deutschen Jugendbuch bis zur Gegenwart. Während Jugendbücher über das "Dritte Reich" bis in die 50er Jahre häufiger das Thema Vertreibung in den Mittelpunkt stellten als die Themen Judenverfolgung und Holocaust, so kehrte sich dieses Verhältnis in den letzten Jahrzehnten eher um. Und - erfreulicherweise - sind die Romane zunehmend weniger auf die deutsche Opferrolle fixiert. Als besonders gelungene Beispiele der Behandlung in Jugendbüchern nennt Krywalski Werke von Peter Härtling und Gudrun Pausewang, die viele autobiografische Erlebnisse aufnehmen und ein sehr differenziertes Bild vermitteln. Diese Werke lassen sich noch heute als wichtige Beiträge zur Auseinandersetzung mit der Geschichte betrachten und einsetzen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Zusammenarbeit tschechischer und deutscher Literaturwissenschaftler auch weiterhin fortsetzt und vom Deutsch-Tschechichen Zukunftsfond weiter gefördert wird.

Titelbild

Peter Becher / Ingeborg Fiala-Fürst (Hg.): Literatur unter dem Hakenkreuz. Böhmen und Mähren 1938-1945.
Vitalis Buchverlag, Furth im Wald 2005.
372 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3899190300

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