Schnellsprechexperimente

Alfred Guldens ungekürzte Lesung seines Romans "Die Leidinger Hochzeit"

Von Wolfgang HaanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Haan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1944 im Saarland geborene Autor und Filmemacher Alfred Gulden veröffentlichte bereits 1984 seinen Roman "Die Leidinger Hochzeit". Dieses Kleinod deutscher Sprache ist jetzt als Hörbuch erhältlich. Gulden trägt sein Werk selbst vor - und dies ist ein absolutes Hörvergnügen. Bereits als Printausgabe vermochte sein wortgewaltiges Buch zu faszinieren. Durch seine pointierte Lesung wird diese Wirkung jedoch noch einmal potenziert. Diese Hörausgabe muss man genießen wie ein Gourmet einen alten Wein: langsam und schluckweise. Trinkt man zu hastig, beraubt man sich selbst des Genusses. So sollte jeder Hörer mehr als die auf der Hülle angegebenen ca. 5 Stunden Spielzeit einplanen, um jede Nuance des Vortrags auszukosten.

Erich Hautz, 30-jährig, weitgereisteter Journalist, verliebt sich bei seiner Rückkehr ins heimatliche Dorf Leidingen auf der deutsch-französischen Grenze in die 23-jährige Schaufensterdekorateurin Jeanne Beaumont, die seine Neigung erwidert und ihn heiratete. Der Roman erzählt von ihrem Freudentag, den sie gemeinsam mit Freunden und der Familie verbringen möchten.

Unter der Oberfläche des Festes brodeln jedoch zahlreiche Konflikte, sowohl zwischen den Eheleuten als auch in verschiedenen Konstellationen unter den zahlreichen Gästen. So sieht Jeanne in der Heirat mit Erich die Chance, Ihrem tristen Dorfleben zu entkommen. Sie will in die Großstadt, Karriere machen, es allen zeigen, sieht sich als die Grace Kelly des Dorfes. Erich hingegen ist froh, endlich wieder zu Hause angekommen zu sein. Er verarbeitet gerade die jüngste Vergangenheit des Dorfes in einer Artikelreihe und kommt damit seinem Vater, dem ehemaligen Dorflehrer, in die Quere. Dieser ist auch ein Bewahrer der Vergangenheit, setzt aber andere Prioritäten als sein Sohn. Er sieht sich als Heimatforscher, geht jedoch mit der Vergangenheit sehr selektiv um. Wer möchte schon an die schlechten Zeiten, an das Übel erinnert werden? Auch er selbst möchte nicht an seine Fehler erinnert werden. Erich sagt dazu nur: "Der selbe Geist, nur andere Kleidung".

In seinem sprachlich experimentellen Roman beschäftigt sich Gulden aber auch sozialkritisch mit dem Leben in einem kleinen Dorf "auf der deutsch-französischen" Grenze vor dem Schengener Abkommen (der Roman spielt 1983). Selbst Personen wie die Haushälterin Cilla Rau, die seit über 20 Jahren im Dorf lebt, gelten immer noch als Fremde, werden von der Dorfgemeinschaft nur geduldet, sind nicht angekommen, sondern nur angenommen.

Alfred Gulden ist, im wahrsten Sinne des Wortes, kein Freund von Punkt und Komma. Dies erschwert die Lektüre, führt aber auch dazu, Neukompositionen zu entdecken, die dem Leser sonst entgangen wären.

Bei diesem Hörbuch jedoch, das übrigens eine ungekürzte Lesung dokumentiert, entfällt die Notwendigkeit für den Hörer, diese Schwierigkeit selbst zu umschiffen, aber trotzdem kommt er durch den pointierten Vortrag des Autors in den Genuss aller von ihm beabsichtigten Verknüpfungen. Alfred Gulden, berühmt für seine Vortragsabende, stellt auch hier sein Licht nicht unter den Scheffel und passt Stimmlage, Tonhöhe, Lautstärke und manchmal atemberaubende Lesegeschwindigkeit den jeweiligen Ereignissen im Roman an - als es im Roman fast zu einer Kollision zweier PKW kommt, erfolgt die Lesung in einem derartigen Tempo, dass Dieter-Thomas Heck im Vergleich dazu als langsamer Sprecher zu bezeichnen wäre. Das Bemerkenswerteste jedoch ist, dass man jedes einzelne Wort versteht; nichts wird verschluckt oder verstümmelt - und die entsprechende Passage ist lang. Allein der Hörgenuss dieses Moments rechtfertigt den Kauf dieses Hörbuchs.


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Alfred Gulden: Die Leidinger Hochzeit. 6 CDs.
Gollenstein Verlag, Blieskastel 2002.
283 Minuten, 36,00 EUR.
ISBN-10: 3935731329

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