Fantasien eines Unglücklichen: Die Stifter-Biografie von Wolfgang Matz als Taschenbuch

Es war einmal eine Literaturwissenschaft, die von Autoren nichts mehr wissen wollte. Sie glaubte, dass sich die Bedeutungen literarischer Texte besser ohne Informationen über die Personen ermitteln lassen, die diese Texte geschrieben haben. Manche Literaturwissenschaftler allerdings taten nur so, als ob sie der Autor nichts anging und versuchten alles, was an Kenntnissen über ihn in ihre Arbeiten einging, zu verbergen, um den Werken den Anschein zu lassen, das Subjekt des Autors sei in ihnen verschwunden. Andere wiederum mochten sich das Interesse an der Autorpersönlichkeit nicht verbieten lassen. Und von ihnen wagten einige sogar, Biografien zu schreiben. Zu ihnen gehörte der Literaturwissenschaftler und Verlagslektor Wolfgang Matz.

Vor zehn Jahren, 1995, lange bevor in der Literaturwissenschaft das Schlagwort von der "Wiederkehr des Autors" aufkam, veröffentlichte er sein Buch "Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge". Auf geradezu exemplarisch Weise führt sie vor, wie Einblicke in das Leben des Autors das Verständnis seiner Texte verändern. Das Wissen über Stifters Unglück im Leben gibt seinen literarisch bearbeiteten Fantasien des Glücks eine Spannung, ohne die seine Werke oft nur schwer zu ertragen wären. Die nicht zuletzt durch psychoanalytische Einsichten inspirierte Biografie liest sich wie eine permanente Bestätigung von Freuds Bemerkung: "Man darf sagen, der Glückliche phantasiert nie, nur der Unbefriedigte. Unbefriedigte Wünsche sind die Triebkräfte der Phantasien und jede einzelne Phantasie ist eine Wunscherfüllung, eine Korrektur der unbefriedigenden Wirklichkeit."

Zu Stifters 200. Geburtstag ist die lesenswerte Biografie in einer Taschenbuchausgabe erschienen.

K. F.