Architekten und Künstler im Exil

Deutsche und Österreicher in Großbritannien nach 1933

Von Gerhard MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass zahllose Autorinnen und Autoren sowie Kunstschaffende und Wissenschaftler Deutschland nach 1933 verlassen mussten, ist seit Ende der vierziger Jahre bekannt und Schritt für Schritt dokumentiert worden, und die Exilliteratur im engeren Sinne gehört zu den am besten untersuchten Teilsektionen der neueren deutschen Literatur. Schon 1970 erschien die ausführliche "Bio-Bibliographie" von Wilhelm Sternfeld und Eva Tiedemann, "Deutsche Exil-Literatur 1933-1945" (Heidelberg 1970). Dort heißt es eingangs: "Hier noch ein Wort über die exilierten Wissenschaftler. Die Verzeichnung ihrer Namen und Arbeiten ist eine dringende Aufgabe. Es wird sich dabei zeigen, wie außerordentlich umfangreich diese Personengruppe war und was für einen Verlust an geistiger Substanz ihre Vertreibung bedeutete."

Mittlerweile liegen zahlreiche Untersuchungen und zudem umfangreiche Nachschlagewerke zum Exil vor, so vor allem das "Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945" von Claus-Dieter Krohn u. a. (Darmstadt 1998) und das unter Leitung von Werner Röder erarbeitete dreibändige "Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933" bzw. "International Biographical Dictionary of Central European Émigrés 1933-1945" (München/New York/London/Paris 1980-1983). Diese beiden Kompendien gehen explizit über den Bereich der Belletristik und Publizistik hinaus und beziehen "Wissenschaftsemigration" (Krohn u. a., 19 Unterteilungen) bzw. "Berufe und Tätigkeitsbereiche" (Röder u. a., 23 Unterteilungen) ein. Abgehandelt bzw. indiziert werden so beispielsweise Architektur, Biologie und Chemie, Film/Theater, Geschichtswissenschaften, Kunsthandel und Antiquare, Medizin, Militär, Pädagogik/Bildungswesen, Physik, Psychiatrie, Rechtswissenschaften, Soziologie, Staats- und Kommunalverwaltung, Verlagswesen, Wirtschaftswissenschaften.

Vielfach sind erst Anstöße gegeben und Desiderata beschrieben, doch die Exilforschung entwickelt sich differenziert weiter, in Deutschland und in anderen Staaten, dort zumal, wo die vertriebenen Intellektuellen Aufnahme fanden.

So ist hier eine Publikation aus Großbritannien vorzustellen, die als Ausgabe 6 (2004) von "The Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies" erschienen ist.

Der Sammelband "Arts in Exile in Britain 1933-1945. Politics and Cultural Identity" enthält konkrete, detailliert recherchierte und weiterführende Untersuchungen zur bildenden Kunst, "while other contributions address the spheres of photography, political satire (drawing), sculpture, architecture, artists' organisations, institutional models, dealership and conservation". Man sieht, wie sehr ins Einzelne die Forschungsbemühungen gehen, aber auch nur auf diese Weise sind neue und dann auch generalisierbare Ergebnisse möglich. Die Herausgeber formulieren indessen vorsichtig: "Since a definitive history of Arts in Exile in Britain still remains to be written, this volume seeks to make new research in the field accessible as well as to stimulate further enquiry."

Zehn Aufsätze sind hier versammelt; sie können gewiss nicht referiert werden, doch seien die beschriebenen Personen und die Themen genannt und Schlaglichter gesetzt. Sulamith Behr befasst sich mit dem Kunstkritiker Klaus E. Hinrichsen (1912-2004), dessen Essay "Visual Art behind the Wire" (1993) hier einschlägig ist. Kurt Schwitters hat Hinrichsen portraitiert. Duncan Forbes schreibt über die österreichische Fotografin Edith Tudor-Hart (1908-1973); einige ihrer politisch engagierten Bilder sind reproduziert. Rebecca Scraggs Aufsatz "Hanging Hitler" behandelt die "anti-Nazi cartoons" des Österreichers Joseph Flatter, welche er nach 1938 zeichnete. In satirischer und karikierender Weise hatte Flatter auch Hitlers "Mein Kampf" illustriert; mehrere seiner Zeichnungen sind abgebildet. Anna Müller-Härlin setzt sich mit Bildern Fred Uhlmanns (1901-1985) auseinander, die während seiner Internierung als "enemy alien" entstanden sind. Auch hier ergänzen Reproduktionen den Beitrag. Später diskutiert sie Fred Uhlmanns Eintreten für "The Free German League of Culture" ("Freier Deutscher Kulturbund"). Margarete Garlake stellt unter dem Titel "A Minor Language? Three Émigré Sculptors and their Strategies of Assimilation" die Künstler Georg Ehrlich (1897-1966), Siegfried Charoux (1896-1967) und Franta Belsky (1921-2000) vor. Abbildungen sind ebenfalls beigegeben sowie beim nächsten Beitrag: Volker M. Welter behandelt das Schaffen des jüngsten Sohnes von Sigmund Freud: "Ernst L. Freud - Domestic Architect". Dessen Entwürfe für Wohnhäuser sind in einem sachlichen Stil gehalten, der an das Bauhaus erinnert. Den Namen von Ernst L. Freud (1892-1970) findet man etwa im großen Handbuch von Röder u. a. nicht. Das Resümee trifft bei weitem nicht nur für die anderen Exilierten zu, denn vielfach sind ja Brüche und Isolation eingetreten: "[...] suggests that Freud was relatively successful in re-establishing his architectural practice, and that exile, although a dramatic junction in his life, seems not to have constituted a radicale breaking point for his professional focus on domestic architecture". Dorothea McEwan behandelt Fritz Saxl (1890-1948) und sein Eintreten für aufklärende Fotoausstellungen, anfangs in Deutschland, später in London, verbunden mit der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg: "Exhibition as Morale Boosters. The Exhibition Program of the Warburg Institute (1938-1945)". Etliche Reproduktionen sind beigefügt, desgleichen beim folgenden Beitrag: Jutta Vinzent befasst sich mit Jack Bilbo alias Hugo Baruch (1907-1967): "Muteness as Utterance of a Forced Reality - Jack Bilbo's Modern Art Gallery (1941-1948)".

Die Autorin fügt eine genaue Liste von Ausstellungen und Veröffentlichungen an. Konkret und anregend ist auch der letzte Beitrag. Ulrik Runeberg behandelt unter dem Titel "Immigrant Picture Restorers of the German-speaking World in England from the 1930s to the Post-war Era" die Gemälderestauratoren und Kunstkonservatoren Johannes Hell, Sebastian Isepp und Helmut Ruhemann (auch ihre Namen tauchen bei Krohn und Röder nicht auf). Neben Isepp (1884-1954), Hell (1897-1974) und Ruhemann (1891-1973) werden auch Hans Schubarth, Gerhart (Gerard) Frankl, Johannes Wilde und Erich Wagner einbezogen, desgleich die Diskussion um Methode der Gemälderestauration ("cleaning controversy"). Die Bedingungen für die aus Berlin und Wien gekommenen Restauratoren waren in London günstig, es kam zu Kontakten, beruflicher Eingliederung und zu interdisziplinärer Kooperation. "Such an interdisciplinary background helped to stimulate ethical discussion, and a range of fruitful controversies about the restoration of painting was played out. All this greatly enriched the field of professional education."

Ein Personenindex, dies ist bei wissenschaftlichen Monographien, zumal einem Sammelband nicht mehr die Regel, beschließt diese instruktive Veröffentlichung.

Als Band 7 des zitierten "Yearbook" ist für 2005 angekündigt: "'A Matter which touches the good name of this country': The Internment of 'Enemy Aliens' in Britain in two World Wars".

Titelbild

Shulamith Behr / Marian Malet (Hg.): Arts in Exile in Britain 1933-1945. Politics and Cultural Identity.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2005.
377 Seiten, 76,00 EUR.
ISBN-10: 9042017864

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