Geheimnisvoller Rauch steigt auf

Hartmut Langes Novelle "Der Wanderer"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich das erste Wort dieser Novelle müsste mit einem Ausrufezeichen versehen sein - "merkwürdig". Es hat nicht nur programmatischen Charakter für den neuen, schmalen Text, sondern irgendwie auch für Hartmut Langes gesamtes Œuvre. Immer geschehen unerklärliche Dinge, oft harmlose Kleinigkeiten, die die Figuren aus der Bahn werfen und in ein Gedankenchaos tauchen. Diesmal ist es der aus dem Kamin aufsteigende Rauch mit seinen unterschiedlichen Brechungen, der den erfolgreichen Schriftsteller Bamberg auf gedankliche Abwege bringt.

Plötzlich vernimmt er Stühlerücken aus dem eine Etage höher liegenden Büro eines Steuerberaters, und ebenso unvermittelt versucht er bei seiner Ehefrau Anita (einer leidlich erfolgreichen Übersetzerin) die Motive ihres Räusperns zu ergründen.

Jener Bamberg schreibt an einem Roman, der sich noch im Anfangsstadium befindet und den Titel "Der Wanderer" tragen soll. Dieses "Wanderer"-Motiv verselbstständigt sich im Laufe der Handlung und man meint, der reale Bamberg wäre selbst der Protagonist seines noch zu Ende zu schreibenden Romans. In Frankreich verabredet er sich mit seiner Frau zum gemeinsamen Relaxen an der Atlantikküste. Doch Anita erscheint nicht, sondern hat stattdessen in Bambergs Abwesenheit die gemeinsame Wohnung in Berlin verlassen - ohne Nachricht, ohne Gruß. Einfach weg, wie es bei Hartmut Lange in früheren Werken schon so oft vorgekommen ist. Mit Anita ist auch der Steuerberater aus dem Obergeschoss verschwunden und ein Notizzettel bringt den Schriftsteller vollends in Wallung: "Mit A. nach Kapstadt."

"Nichts ist wie es scheint. Oder vielleicht doch?" Unter diesem Titel hatte eine Zeitschrift ein Kapitel aus Bambergs im Entstehen befindlichen Roman vorab veröffentlicht. Und was erscheint bei Hartmut Lange klar und deutlich? Ganz ohne Zweifel seine geradlinige, schnörkellose, zur Lakonie neigende Sprache, nicht aber das Handeln seiner "merkwürdigen" Figuren.

Bamberg, den es zwischendurch nach Wien zum Handlungsort des von ihm bewunderten von-Doderer-Romans "Die Strudlhofstiege" gezogen hat, bricht auf nach Kapstadt, um dem Steuerberater und seiner Frau zu folgen, obwohl es für deren Aufenthalt in Südafrika keinerlei rationale Hinweise gibt.

"Sie war ständig frustriert, und mir war es auf die Dauer egal", beschreibt Bamberg seine Ehe. Und doch empfindet er das Verlassenwordensein als Niederlage, als Demütigung. Der hoffnungslose Egozentriker ersehnt nicht seine Frau zurück, sondern kämpft lediglich gegen die ihn quälende Ungewissheit. In Kapstadt logiert er in einem Hotelzimmer, das ihm einen freien Blick auf die Strandpromenade gewährt. Es wirkt schon einigermaßen verrückt und hilflos, wie der Schriftsteller - mit einem Fernrohr ausgerüstet - in einer Millionenstadt nach zwei Personen sucht. Das Bild des Protagonisten auf seinem skurrilen Observationsposten erinnert stark an die unvergesslichen Sequenzen aus Hitchcocks "Fenster zum Hof". Das Unbewusste diktiert längst Bambergs Handeln. So gibt es auch keine plausiblen Motive dafür, warum er (das Rückflugticket bereits in der Tasche) mit einem Mietwagen ziellos ins Landesinnere aufbricht und so lange weiterfährt, bis ihm das Benzin ausgeht. Da steht Bamberg einsam in der Steppe, noch einmal kurz in ein grelles Scheinwerferlicht getaucht, ehe Hartmut Lange seinen Protagonisten dort endlos verharren lässt. Ein Schicksal, das dem Andreas Völlenklees aus der Lange-Novelle "Die Wattwanderung" (1990) nicht unähnlich ist. Wieder einmal liegt bei dem 68-jährigen Berliner Autor das "Geheimnis im Verschwinden" und die Wahrheit in den unzähligen, ungeschriebenen Kapiteln, die sich der Leser zwischen den Zeilen dieser schlanken Novelle erarbeiten muss.


Titelbild

Hartmut Lange: Der Wanderer. Novelle.
Diogenes Verlag, Zürich 2005.
117 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3257064802

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