In der Müllecke der Geschichte
Will Eisners Comic über die gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion"
Von Jan Fischer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIrgendwas war da faul. Das hätte allen klar sein müssen. Es mag angehen, auf einem groß angekündigten und öffentlichen Weltkongress der Juden eine streng geheime Verschwörung zur Übernahme der Weltherrschaft zu planen. Aber das Ganze noch zu protokollieren, sodass jeder, der das Protokoll findet, den in ganz Europa verbreiteten Judenhass ordentlich schüren kann, das ist unglaublich dämlich. Jedenfalls für Leute, die eigentlich die Welt übernehmen wollten.
Nein, das war ganz anders. Die haben sich eigentlich nachts auf einem Prager Friedhof getroffen. Weil es sich da so schön verschwören lässt. Ist auch gleich viel gruseliger. Mit Nebel und Uhus und so. Und macht sich auch besser, wenn es dann doch jemand erfährt. So ein bisschen Halloween tut jeder Verschwörung gut.
Aber eigentlich war es dann doch wieder ganz anders. Weil nämlich die Veröffentlichung der Verschwörung schon ein Teil der Verschwörung war. Ist ja auch klar, dass es wieder die Juden waren. Wie damals. 1347. Das mit der Pest. Das waren die auch. Immer dieselben, richtige Verschwörungsexperten sind das.
"Das Faszinierende an den Protokollen der Weisen von Zion ist nicht nicht so sehr die Geschichte ihrer Entstehung, sondern die Geschichte ihrer Rezeption", so schreibt Umberto Eco im Vorwort zu Will Eisners "Das Komplott"- Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion". Oder anders gesagt: Seit ihrer Entstehung am Anfang des 20. Jahrhunderts fanden sich Menschen, die engstirnig genug waren, daran zu glauben, obwohl die "Protokolle" nachgewiesenermaßen eine Fälschung sind.
Das Problem ist, schreibt Will Eisner im Vorwort, dass sämliche Literatur zu den "Protokollen" sich entweder an ein Fachpublikum richtet, oder an solche, die sowieso schon überzeugt sind, dass die "Protokolle" gefälscht sind. Aber diejenigen, die eigentlich erreicht werden sollten - also alle, die der Meinung sind, der Glaube an eine zionistische Weltverschwörung wäre eine gute Idee - beziehen sich weiterhin auf die "Protokolle". Eisner sebst erlebte in seiner Jugend "schmerzvolle Zwischenfälle und Ungerechtigkeiten, die Juden damals in der amerikanischen Gesellschaft erdulden mussten". Deshalb sei es ihm ein persönliches Anliegen, die Fälschung mit dem massentauglicheren Mittel des Comics zu enttarnen. Er hoffe, schreibt er, "dass mein Werk vielleicht einen weiteren Nagel in den Sarg dieses schrecklichen, vampirähnlichen Betruges schlagen kann".
Dabei war er sich für ausgiebige Recherche nicht zu schade und er quälte sich fast 20 Jahre mit dem "Komplott" herum. "Das Komplott" ist so nicht nur eine graphic novel geworden, sondern eine non ficiton graphic novel, die versucht, die komplizierte Genese der "Protokolle" nachzuzeichnen, vom plagiierten Ausgangswerk "Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesqieu" aus dem postrevolutionären Frankreich bis zu neueren Anschlägen in Synagogen. Eisner erzählt von Hitler, der die "Protokolle" benutzte, um seinen Antisemitismus zu rechtfertigen. Davon, dass arabische Staaten die "Protokolle" entdeckt haben, um damit eine judenfeindliche Stimmung herzustellen. Von einer ägyptischen Fernsehserie, die auf den "Protokollen" basierte. Davon, dass quasi jedes antisemitische Werk seit 1900 von den "Protokollen" beinflusst ist. Er erzählt von Neuauflagen, Variationen und Passagen des Buchs, die bis in unsere Tage um die Welt gehen. Und das, obwohl die "Protokolle" 1921 das erste Mal als Plagiat enttarnt wurden, das im Auftrag einiger reaktionärer Adliger im zaristischen Russland angefertigt wurde.
So ist "Das Komplott" nicht nur eine Geschichte, sondern eine Geschichtsstunde über antisemitische Ideologie, die zwischen Zeiten und Orten springt und am Ende einen Zeitraum von 200 Jahren sowie drei Kontinente überbrückt hat. Für einen solchen highspeed-drive durch die Geschichte enfalten die Zeichnungen allerdings erstaunlich wenig Dynamik: Ruhiges Schwarz-Weiss, die Hintergründe sind nur angedeutet, die Figuren zwar liebevoll ausformuliert, aber zeichnerisch trotzdem erstaunlich statisch. Stellenweise wird sogar die Handlung bis zum Stillstand verlangsamt. Es kann durchaus vorkommen, dass über 17 Seiten nur Textvergleich zwischen den "Protokollen" und den "Gesprächen in der Unterwelt" betrieben wird.
Um so etwas in dem urdynamischen Medium Comic tun zu können, muss man sich sehr sicher sein. Man muss wissen, dass man das Publikum schon gewonnen hat, wenn es nur den Autorennamen liest. Was nicht bedeutet, dass "Das Komplott" ein schlechter Comic ist. Der leider 2005 verstorbene Will Eisner war ein Meister seiner Kunst. Einer, der fast im Alleingang den Comic aus der Ecke des 'Zwischendurchspaßfastfood' holte und ihn zu gehaltvoller Kost machte. Und im Alter immer ambitionierter wurde, bis er sich letzendlich an das harte Thema des Antisemitismus wagte. Eisner hat nichts von seinen Fähigkeiten eingebüsst. Zeichnerisch und erzählerisch ist "Das Komplott" gewohnt virtuos, es ist das Werk eines Menschen, der genau weiß, was er tut. Die Zeichnungen sind nicht nur statisch, sondern dem Thema angemessen unaufdringlich. Die Verlangsamungen sind nicht nur langsam, sondern stehen im Dienst der historischen Genauigkeit.
Andererseits hat "Das Komplott" solche stilistische Rechtfertigung kaum noch nötig. Es rechtfertigt sich durch seinen lockeren, aber nicht unernsten Umgang mit dem Thema Antisemitismus, durch das Vorwort, in dem Eisner sich persönlich damit in Verbindung bringt, durch die akribisch genaue Recherche, die hinter der Geschichte steckt, und letzlich auch dadurch, dass es sein letztes Werk ist. Ähnlich wie die letzten Worte eines Sterbenden sich allein dadurch rechtfertigen, dass es eben die letzten Worte sind. Letzte Worte sind immer ehrlich und wichtig. Letzte Worte sind immer ein Vermächtnis. Deshalb bleibt auch beim "Komplott" kaum mehr als überall zwischen den Seiten die letzte Botschaft Will Eisners zu hören, keine neue Botschaft, aber eine, die es sich lohnt zu wiederholen: Verschwörer, das sind immer die anderen. Nicht weil es stimmt. Sondern weil man sich selbst ein sehr schlechter Sündenbock ist.
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