Religion als Politik

Klaus Holz erklärt, warum der islamistische Antisemitismus nichts Neues ist

Von Andrea GeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Geier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ob der islamistische Antisemitismus ein 'neuer Antisemitismus' ist oder nicht, darüber wurde in jüngster Zeit heftig debattiert. Die Antworten von Sozial-, Islam-, Religions- und Nahostwissenschaftlern fallen dabei sehr unterschiedlich aus. Zu den unstrittigen Aspekten gehört, dass der Nahostkonflikt eine zentrale Rolle für den islamistischen Antisemitismus spielt. Aber ist er tatsächlich dessen Ursache? Und lässt sich aus der Tatsache, dass sich der islamistische Antisemitismus religiös begründet, wirklich ableiten, dass ihm, verglichen mit dem säkularen modernen europäischen Antisemitismus, eine neue Qualität zukommt? Eine Antwort auf diese aktuellen Fragen gibt Klaus Holz mit seiner Abhandlung "Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft", die zur Hälfte dem islamistischen Antisemitismus gewidmet ist. Sie ist ein gelungenes Beispiel für Untersuchungen, die den islamistischen Antisemitismus im Kontext gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse verorten und nach der Wandlungsfähigkeit antisemitischer Semantiken fragen. Auf die Produktivität dieser Ansätze hat etwa Götz Nordbruch in seinem instruktiven Artikel über "Antisemitismus als Gegenstand islamwissenschaftlicher und Nahost-bezogener Sozialforschung" (im Sammelband "Antisemitismusforschung in den Wissenschaften", 2004: Vgl. literaturkritik.de 04/2005) hingewiesen.

Holz knüpft für seine Darstellung des islamistischen Antisemitismus an die Ergebnisse seiner Studie "Nationaler Antisemitismus" (vgl. literaturkritik.de 04/2005) an. Darin hatte er herausgearbeitet, dass unterschiedliche antisemitische Richtungen vom rassistischen bis zum antizionistischen Antisemitismus ein gemeinsames konstitutives Moment besitzen: die nationale Semantik.

Auch die Leitideologie des islamistischen Antisemitismus ist, so Holz' zentrale These, der Nationalismus. Es zeige sich eine strukturelle Identität des islamistischen Antisemitismus mit dem europäischen, weshalb es sich nicht um eine neuartige Form handele. Zu beobachten seien "Variationen, nicht aber [...] Transformationen" der antisemitischen Semantik. Holz leugnet keineswegs, dass es sich im Falle des islamistischen Antisemitismus um eine religiöse Ideologie handelt. Er betrachtet diesen Umstand jedoch als ein sekundäres Phänomen gegenüber dem politischen Machtanspruch des islamistischen Antisemitismus. Dieser macht den genuin modernen Zug des islamistischen Antisemitismus aus, den er mit säkularen Antisemitismen teilt.

Holz belegt die These der strukturellen Identität, indem er typische Strukturen antisemitischer Weltanschauungen im islamistischen Antisemitismus nachzeichnet: die Differenz von "Gemeinschaft und Gesellschaft", "Macht und Verschwörung", der "Figur des Dritten", "Nation und Religion". Von besonderer Bedeutung ist die antimoderne Stoßrichtung der Propaganda, wie sie in der Bekämpfung der gegenwärtigen, als verdorben betrachteten Gesellschaft und der Idealisierung einer 'authentischen', 'wahren' islamischen Gemeinschaft zum Ausdruck kommen. Die Tatsache, dass die antisemitischen Überzeugungen in ein religiöses Selbstbild integriert sind, begründet für Holz zunächst keinen grundlegenden Unterschied zu säkularen Antisemitismen, da sich in vielen antisemitischen Richtungen "Verschachtelungen von Identitätsbestimmungen" finden. Eine Vermischung von nationalen, rassistischen und religiösen Verortungen sei vielmehr für den modernen Antisemitismus typisch. Während im so genannten 'säkularen' modernen Antisemitismus die Nation oder, wie im Falle des 'Dritten Reichs', der Nationalsozialismus selbst zur Religion erhoben werde und daher eine 'Übersetzung' von Traditionsbeständen erfolge, sei etwa die Hamas ein Beispiel dafür, wie nationale und religiöse Begründungen erfolgreich integriert werden mit dem Ziel - und dies ist entscheidend -, politische Macht zu erringen.

Der Nahost-Konflikt ist vor diesem Hintergrund betrachtet ein Element, das den arabisch-islamistischen vom europäischen Antisemitismus unterscheidet: Dieser ist in konkrete machtpolitische Interessen, den Kampf um Territorien, eingebettet, der in besonders hohem Maß "einen Bedarf an nationalen respektive religiösen Selbst- und Fremdbildern" hervorruft. Doch der israelisch-arabische Konflikt ist deshalb kein "genuin antisemitischer"; der Nahost-Konflikt ist Teil, aber nicht Ursache des islamistischen Antisemitismus.

Der Nachweis, dass der islamistische Antisemitismus eine Spielart europäischer Muster ist, die adaptiert und variiert werden, um schließlich wieder nach Europa reimportiert zu werden, ist für Holz jedoch nicht nur die Bestätigung seiner These vom nationalen Antisemitismus. Der Titel "Die Gegenwart des Antisemitismus" und die Zusammenschau des islamistischen mit demokratischem und antizionistischem Antisemitismus signalisieren bereits, dass es um mehr geht. Neuartig ist nicht der islamistische Antisemitismus an sich, sondern die Entwicklungen innerhalb der unterschiedlichen antisemitischen Richtungen. Holz' Besorgnis erregende Diagnose lautet, dass sich seit den Umwälzungen der Machtverhältnisse nach 1989 unterschiedliche Antisemitismen einander im Zeichen des Antizionismus angleichen: "Die gegenwärtig dominierende Gestalt des Antisemitismus ist ein vom Stalinismus gereinigter antisemitischer Antizionismus, der die Shoah relativiert."

Der 'demokratische Antisemitismus' - gemeint sind nicht demokratische Begründungen des Antisemitismus, sondern antisemitische Äußerungen in der 'Mitte der demokratischen Gesellschaft' - äußert sich seit einiger Zeit offener und nähert sich dabei zunehmend dem Antizionismus an. Dies belegt Holz an den drei bekannten Beispielen: Martin Walsers Friedenspreisrede, Martin Hohmanns Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2003 und Erklärungen von Jürgen Möllemann. In allen Texten spielt die offene oder (im Falle Walsers) nur insinuierte Täter-Opfer-Umkehr eine herausragende Rolle. Leider richtet sich die Aufmerksamkeit von Klaus Holz bei diesen drei Beispielen zu wenig auf die Unterschiede, und die Tatsache, dass es sich um Skandale handelt, hätte man nicht nur als Zeichen für eine zunehmende Dreistigkeit und Offenheit judenfeindlicher Äußerungen, sondern umgekehrt für das Funktionieren des demokratischen Konsenses werten können. Gleichwohl ist die These überzeugend, dass sich der demokratische Antisemitismus dem Antizionismus annähert.

Im Antizionismus, schreibt Holz, können sich "der islamistische, der rechtsradikale, der marxistisch-leninistische, der globalisierungskritische und der demokratische Antisemitismus treffen." In linken Richtungen findet sich eine "Camouflage des Antisemitismus als Antizionismus", der sich derselben Stereotype bedient, aber dabei behauptet, statt "Juden" die israelische Politik zu meinen. Auf diese Weise kann sich der Antisemitismus sogar als Antirassismus tarnen. Die Bekämpfung des Existenzrechtes Israels (nicht zu verwechseln mit legitimer Kritik an Israels Politik) ist das verbindende Element aller Antisemitismen; das Potenzial des antizionistischen Antisemitismus liegt darin, dass er für unterschiedlichste Richtungen anschlussfähig ist: Dabei spielen Legitimationsstrategien eine besondere Rolle, die mit der "Figur des Dritten" sowie der schon erwähnten Täter-Opfer-Umkehr arbeiten, etwa: "Israel erscheint nicht mehr als Staat der Überlebenden, sondern Auschwitz als 'jüdisch-nazistisches Komplott', um Israel gründen zu können". Im Ost-West-Gegensatz, einer wiederbelebten identitätsstabilisierenden Differenz von Orient und Okzident, wie sie sich nach dem Zusammenbruch der Machtblöcke abzeichnet, könnte, so spekuliert Holz, die "Figur des Dritten" die Funktion eines fatalen Bindeglieds erhalten: Gegen den gemeinsamen 'jüdischen Feind' schließen sich europäische rechtsradikale und arabische Antisemiten zusammen. Einzelne Kooperationen und Vernetzungen zeichnen sich hier laut Holz bereits ab; wie weit diese tragen werden, muss die Zukunft zeigen. Alarmierende Anzeichen finden sich genügend.

Die Darstellung ist gut strukturiert und wirkt auf Grund ihrer zahlreichen Beispiele anschaulich. Lediglich die Ausführungen zum "Antisemitismus als Antirassismus" bleiben zu vage und hätten eine breitere Ausführung verdient. Jenseits der zentralen Diagnose, dass sich unterschiedliche antisemitische Richtungen einander annähern, ist der abschließende Appell besonders wichtig: Die "Reflexion und Bekämpfung des Antisemitismus [muss] mit der Reflexion und Bekämpfung der Feindschaft gegen die Muslime verbunden werden." Dem Hinweis auf islamistischen Antisemitismus darf nicht die Islamphobie entgegengehalten werden. Antirassistische und anti-antisemitische Forschung und Politik müssen an einem Strang ziehen.


Titelbild

Klaus Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft.
Hamburger Edition, Hamburg 2005.
113 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3936096597

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