Nicht von der Pfote zu weisen
Helmut Krausser kommt auf den Hund: "Die wilden Hunde von Pompeii"
Von Petra Porto
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Die wilden Hunde von Pompeii": Ein Roman, könnte man ob der Länge des Werks meinen. Eine Geschichte, behauptet der Untertitel mit einem Anflug von Understatement. Eine Übersetzung aus dem Hundischen, heißt es immer wieder im Text. Hundisch ist allerdings einiges an der Geschichte. Abgesehen von dem Erzähler, dem kleinen Mischling Kaffeekanne, gibt es noch eine Art von anonymer Erzählinstanz (Hund, Katze, Maus, Mensch?), die sich gelegentlich in den Verlauf der Geschichte einmischt. Beide befleißigen sich dabei einer naiv gehaltenen Sprache, durchzogen von Neologismen wie "Hundlichkeit", "Hampelhund" und Ausdrücken wie "das ist nicht von der Pfote zu weisen". Darüber hinaus soll es noch einen menschlichen Übersetzer aus dem Hundischen geben, der auch einiges zum Text zu sagen hatte und Kaffeekanne mehr oder minder erfolgreich davon zu überzeugen versuchte, nicht zu viele Pfotennoten in die Geschichte einzubauen. Was diesen allerdings nicht davon abhalten konnte, den von ihm erzählten Text in der ihm richtig erscheinenden Form zu kommentieren. Kaffeekanne erweist sich als ein recht eigenwilliger Hund. Eine Widerspenstigkeit, könnte man vermuten, die ein Leben unter erschwerten Bedingungen erst möglich macht - der Mischling ist eine Art Ghettokind, aufgewachsen unter eben jenen (titelgebenden) wilden Hunden von Pompeii.
"Pompeii ist eine Hundekippe", voll von ausgesetzten Vierbeinern, die in Neapel unerwünscht sind. Zu Beginn des Romans landet der junge Hundeheld in den Straßen der von Lava be- und von Archäologen wieder ausgegrabenen Stadt. Der Kleine ist, wie gesagt, eigenwillig, aber auch äußerst schlau: Schnell lernt er, sich in der Hundegesellschaft zurechtzufinden: Es gibt die über den Zaun geworfenen Welpen und die Hunde, die in Pompeii geboren wurden und die sich darum für etwas Besseres halten. Es gibt die Hunde, die die Touristen, die tagsüber die Ruinen besichtigen, um Nahrung anbetteln, es gibt die, die nachts den Schatzgräbern die ihrige ab-erpressen - als eine Art Lohn für ihr Schweigen (bzw. ihr Nicht-Lautgeben) -, und es gibt die, die den bettelnden Hunden ihre Vorräte stehlen: die "Outlaws".
Der neu über den Zaun Geworfene gehört zu den anständigen Hunden. Er erhält von Plinius, der einem Rudel von etwa zwanzig Tieren vorsteht, seine ersten Lektionen in "Draußenkunde, Menschenkunde, Ortskunde, Futterkunde und Hundekunde", er freundet sich mit dem Terrier Saxo an - und er erhält einen Namen. Plinius, der Philosoph unter den Hunden, lauscht dem allwissenden Wind den Namen ab, den der Welpe seinem Schicksal gemäß tragen sollte - da Plinius aber bereits alt ist und nicht mehr allzu gut hört, trägt der Kleine, der "Cave Canem" heißen sollte, am Ende eben den seltsamen Namen Kaffeekanne.
Kaffeekanne ist sozusagen ein Glückshund: Nicht nur, dass er von Plinius gefunden wurde, bevor eine der "radikalen Hundegruppen" entscheiden konnte, dass die Stadt nicht noch einen weiteren Hund zu ernähren vermochte, er überlebt auch noch den versehentlichen Biss von Clabauta, der Viper. Während des Todeskampfs sieht er unheimliche Visionen: Einen Geisterhund, dessen Skelett durch die Nacht läuft, "und andere unheimliche Dinge. Asche und Feuer. Fliegende Hunde. Fransige Punkte im Himmel. Sehr monströs und bizarr, ausufernd, vielstimmig, und was der vagen Worte mehr sind." Seit diesem Erlebnis sind die Tage des jugendlichen Leichtmuts vorüber.
Denn Kaffeekanne ist auserwählt, er wird Großes vollbringen. Und auserwählt heißt hier tatsächlich: Vom Schicksal auserwählt. In Pompeii, das über Unterird liegt, wo sich in ungemütlichen Höhlen zwei der drei Köpfe der Cerbera, der verlassenen Frau des mittlerweile durch Schließung des Hades arbeitslos gewordenen Cerberus, an selbst gebranntem Lava-Schnaps betrinken, wo ES in Bleikammern haust und darauf wartet, befreit zu werden, wo Geisterhunde durch die Luft fliegen und Stalaktiten und Stalagmiten 1.800 Jahre darauf warten, sich liebevoll zu einer Tropfsteinsäule zu vereinen, da ist Schicksal noch möglich. Es äußert sich sogar in besonders redseligen Orakeln.
Ebenso, wie diese sich vielstimmig nicht darauf einigen können, was später geschehen wird, so kann der Erzähler sich offensichtlich auch nicht mit sich selbst darauf einigen, was er eigentlich erzählen will. Und wie.
Nimmt er sich, seine Geschichte, die auftauchenden Figuren ernst oder nicht? Will er eine Tierfabel erzählen und dem Leser die Auslegung derselben überlassen oder traut er ihm nicht und gibt darum unmissverständliche Hinweise auf die gewünschte Deutung? Vertragen sich diese Anleitungen allerdings mit dem locker gehaltenen Stil des Romans? Und wäre es dann nicht eine gute Idee, sie so energisch zu formulieren, dass der Leser sich bereits wieder fragt, ob sie in ihrer Überdeutlichkeit nicht neuerlich etwas ganz anderes veranschaulichen sollen?
Schwierig ist vor allem der Ton, in dem "Die wilden Hunde von Pompeii" erzählt werden: Er ist künstlich simpel, man merkt ihm das Bemüht-Sein an, besonders, wenn der Erzähler mit erkennbarer Freude versucht, möglichst originell Menschenwörter zu hundischen zu machen. Kaffeekanne dagegen erscheint einmal bemerkenswert naiv, zu anderen Zeiten werden ihm Worte ins Maul oder Gedanken in den Kopf gelegt, die seinen Horizont zu übersteigen scheinen - "woher er die hat, wissen Kuckuck und Geier". Immer wieder weist der Erzähler so überdeutlich darauf hin, dass dieser Schelmenhund-Roman lediglich den Vordergrund der Geschichte ausmacht und es ihm anscheinend um Tieferes geht. Zum Beispiel darum, die Erzählung einzuschieben, in der ES näher benannt wird: Vergeblichkeit und Verfall. Und in der es heißt, die - damals noch existenten - Götter hätten ES vor Urzeiten in eine Bleikammer eingeschlossen, aus der ES nur ein Künstler befreien könne, der "die Übergröße besäße, JA zum Verfall des eigenen Werkes zu sagen, JA zum großen Recycling". Gleichzeitig jedoch "erfanden die Götter mehrere Schutzvorrichtungen", um die Künstler von der Befreiungsaktion abzuhalten: "die Selbstüberschätzung, die Eitelkeit und den Größenwahn", sodass die Kunst in der Folgezeit "immer mieser" geworden wäre. Dass Valta, der Erzähler dieser Geschichte, eben davon lebt, Geschichtenerzähler zu sein und somit ein Beispiel für die Kommerzialisierung der Kunst liefert, und dass die Erzählung selbst Teil einer größeren Geschichte ist, die ebenfalls gekauft werden will, gibt dem Ganzen zwar eine selbstironische Note, ändert aber nichts daran, dass all dies auch schon einmal subtiler formuliert wurde. Zu viel Selbstreferenz, Selbstironie und Selbstbezogenheit kann auch im Kreis herum führen. Letztlich lässt die Geschichte den Leser unbefriedigt zurück.
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