Grün von Galle die Brust, von Gift unterlaufen die Zunge

Marie-Jeanne Augustins Ratgeber für neidische Frauen

Von Christine KanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Kanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ovid erzählt in seinen "Metamorphosen" nicht nur von Narzissus, dem selbstverliebten, schönen, jungen Mann, sondern er berichtet auch von Invidia, der missgünstigen Göttin des Neides, die von einer abstoßenden Hässlichkeit und Boshaftigkeit war:

"Bleich sind Wangen und Mund, die Dämonin ist mager am ganzen

Leib, stets schielt sie querüber, von Rost sind dunkel die Zähne,

Grün von Galle die Brust, von Gift unterlaufen die Zunge;

Lachen kann sie nur dann, wenn sie Schmerzen bei anderen erblickt hat;

Schlaf ist ihr fremd, da wache Gedanken sie quälen; der Menschen

Unwillkommne Erfolge betrachtet sie, und im Betrachten

Zehrt sie sich ab; denn andere benagt sie und nagt an sich selber

Und so ist ihre eigene Pein."

(Ovid, Metamorphosen, Zweites Buch)

Im Alltag ist Invidia meist nicht so deutlich auszumachen wie bei Ovid. Oft manifestiert sich Neid sogar in besonders freundlichen Komplimenten. Oder in intriganten Machtspielchen, die lange im Dunkeln bleiben, möglicherweise sogar nie aufgedeckt werden. Nicht selten auch in bösem Getuschel - natürlich hinterm Rücken.

Frauen sind besonders neidisch, und dies vor allem auf ihre Geschlechtsgenossinnen. Bevorzugt trifft der Neid diejenigen, die einem am ähnlichsten sind - so lauten die Thesen der Psychoanalytikerin Jeanne-Marie Augustin in ihrer populärwissenschaftlichen Studie über "Neid, Neugier und weibliche Kreativität".

Die Ursachen des aus ihrer Sicht geschlechtsspezifischen Neids liegen für sie weniger in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft und Umwelt oder in einer geschlechtsspezifischen Sozialisation als in der (gescheiterten) Mutter-Tochter-Beziehung mit ihren ganzen ungelösten Konflikten. Plakativ auf den Punkt gebracht, heißt dies: Je schwieriger das Mutter-Tochter-Verhältnis, desto neidischer wird sich die Tochter durch das Leben zehren.

Interessant ist neben Augustins Unterscheidung zwischen dem in schädlichem (Selbst-)Destruktionstrieb ausartenden pathologischen Neid und dem gesundem Neid, der letztlich zu mehr Ehrgeiz und Kreativität in der Sache, also zu gesundem Wettbewerb führt, vor allem ihre Differenzierung zwischen dem Neid gegenüber anderen und dem gegen sich selbst. Letzterer manifestiert sich, so Augustin, in einer Verweigerungshaltung dem Leben gegenüber. Eine sich dem Leben verweigernde, also sich selbst beneidende Frau isst und schläft zu wenig, gönnt sich keine Parties, keine schöne Kleidung, keinen guten Sex. Statt dessen ist sie überehrgeizig und arbeitet zu viel...

Viel Energie und Kreativität aber lässt sich nach Augustin durch die positive Umwertung der (selbst-)destruktiven Neidgefühle gewinnen. "Weibliche Kreativität" kann sich äußern in einem "Schreibkurs für Laien oder in einem Tanzworkshop" sowie in "Töpfern, Nähen, Malen, Schreiben, Tanzen, Musizieren." Wirklich kreativ ist frau jedoch nur dann, wenn sie "emotionalen Kontakt zu den tiefsten Schichten der Persönlichkeit" gefunden hat, zu ihrem "eigenen wahren Selbst". Bei Frauen heißt das, den Zugang "auch zu den unbewussten aggressiven Phantasien aus der frühen Tochter-Mutter-Beziehung" zu finden. Ist der Zugang blockiert, gebe es auch keine weibliche Kreativität.

Mit welchem Ziel nun sollen die Frauen nach Ansicht der Psychonalytikerin künftig ihre negativen Neidgefühle in positive Kreativität und Neugier wandeln? Dies demonstriert sie anhand der Fallbeispiele zweier ehemaliger, inzwischen gesundeter Neid-Patientinnen: Die positive Integration des Mütterlichen und Weiblichen in sich selbst muss stattfinden, damit jede Frau irgendwann ein so glückliches Leben führen kann wie die beiden vorgeführten Frauen es inzwischen tun: als Ehefrau und Mutter. Für die meisten der hervorragend ausgebildeten, ehrgeizigen, selbstbewussten und lebenshungrigen Frauen der jüngeren Generation dürfte der Wunsch nach einer positiven Umwandlung ihrer Neidgefühle damit hinfällig sein.

Titelbild

Marie-Jeanne Augustin: Neid, Neugier und weibliche Kreativität.
Patmos Verlag, Düsseldorf 1999.
200 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3491724163

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